ELGA und e-card: Alles genial! Was bringt’s?

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Stefan Sauermann, Lars Mehnen

Seit Jahrzehnten errichten wir modernste IT-Infrastrukturen für das Gesundheitswesen in Österreich. Aber können wir das besser?

Große Visionen, die uns bewegen: Immer und überall wissen Ärztinnen, Pflegende, Fachärzte alles, was sie wissen müssen, um zu behandeln. Wie weit sind wir inzwischen eigentlich gekommen? Schwierige Frage! Ein Versuch auf einen Punkt zu kommen: Mittels der e-Medikation kann mit ELGA das Risiko bei Verschreibungen gesenkt werden. Das war ein wichtiges politisches Ziel, das wesentlich zum Entstehen des Gesundheitstelematikgesetzes beigetragen hat. Mittlerweile gelangen monatlich Millionen von Einträgen in die Medikationsliste in ELGA. Welche Wirkung haben wir damit erzielt? Aus 2012 kennen wir den Abschlussbericht der Evaluierung des Pilotbetriebes durch Prof. Wolfgang Dorda und Prof. Eske Ammenwerth. Seitdem gibt es keine ausführliche Untersuchung. Wollen wir das nicht genauer wissen?

Gemeinsam mit vielen Partnern im Gesundheitswesen sind wir an der Fachhochschule Technikum Wien seit Jahren aktiv in der Vernetzung medizinischer Systeme. Nach so langer Zeit müssen wir uns fragen, ob unsere Bemühungen auch Früchte tragen. Einfach weiter wie bisher? Wo finden wir Erfolge und Potenziale, welche Herausforderungen sind zu überwinden? Wo müssen wir unsere Vorgangsweisen anpassen?

Es bestehen in Österreich beeindruckende, voll integrierte IT-Infrastrukturen, vor allem e-card und ELGA, basierend auf internationalen IT-Standards und modernen Technologien. Daneben laufen weitere sehr heterogene IT-Systeme, die schwerer zu integrieren sind. Politik, Administration und Betroffene tun sich immer schwerer, die steigende Innovationsrate mitzulaufen.

Unterschätzt. ELGA und eCard zählen international zu den anerkannten Beispielen eines funktionierenden eHealth-Systems. Das Problem: Patienten und Stakeholder spüren zu wenig vom Mehrwert der digitalen Infrastruktur.

Erfolgreiche digitale Infrastrukturen in Österreich

+Das Österreichische e-card-System hat rasch und erfolgreich den Krankenschein abgelöst und die letzte digitale Meile überbrückt. Mittlerweile arbeiten die niedergelassenen Praxen überwiegend mit Software. Neue Anforderungen werden in zwei Updates pro Jahr laufend eingepflegt.

Die österreichische elektronische Gesundheitsakte ELGA hat sich als Plattform für den Austausch von medizinischen Befunden im österreichischen Gesundheitswesen mittlerweile stark etabliert. 80 Millionen e-Befunde, mehr als 26 Millionen dokumentierte Impfungen im e-Impfpass und mehr als 9 Millionen gespeicherte Abgaben in der e-Medikation sprechen für sich selbst. e-card und ELGA erfüllen die Anforderungen und nutzen moderne, gängige Technologien. Auch was den Datenschutz betrifft erscheinen beide Systeme stabil. Es sind bisher keine Cyber-Attacken erfolgreich gewesen. Weltweit sind diese Systeme anerkannt, wir werden vielfach beneidet. Mit dieser stabilen Infrastruktur war es möglich, auch besondere Anforderungen während der COVID-Pandemie rasch und erfolgreich zu erfüllen: Innerhalb weniger Wochen konnte 2020 am Beginn der Pandemie auf kontaktlose Medikation umgestellt werden, und damit die Medikamentenversorgung mit geringerem Risiko durch Sozialkontakte gesichert werden. Ein weiteres Beispiel: Durch Datenabgleich aus mehreren Quellen konnten Minister Faßmann und Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas im September 2021 genaue Zahlen zu Impfungen bei Lehrerinnen und Lehrern vorlegen.

Das Austrian Micro Data Center (AMDC) und die Plattform Registerforschung (www.registerforschung.at) arbeiten ebenfalls daran, die Datenlage im Gesundheitsbereich zu verbessern.

Gesetzliche Grundlagen in Österreich und EU

Die EU Datenschutzgrundverordnung stellt, bei aller Komplexität, die europäischen Werte zur Datenverwendung nochmals klarer und eindeutiger dar. Sie bietet damit weltweit eine wesentliche Orientierungshilfe, die auch bereits wirkt. Das europäische „Once Only Prinzip“ gibt vor, dass Daten, die bereits erfasst worden sind, für die weitere Verwendung geteilt werden müssen und nicht nochmals erfasst werden sollen. Dokumente wie Führerscheine werden per App im europäischen Raum am Handy verfügbar, elegant und enorm hilfreich.

Weitere Vorhaben der EU rund um Datensicherheit und künstliche Intelligenz sind noch in Entwicklung. Die EU Data Spaces bieten die Hoffnung, die Datenlandschaft in Europa wesentlich zielgerichteter zu erfassen und zu nutzen als bisher. Im Idealfall übernimmt Österreich mit erfolgreichen Systemen und Know-how hier rasch eine führende Rolle. Alternativ überholen uns schnellere Akteure, oder wir ersticken gemeinsam in überbordenden Regulatorien.

Interoperabilität IHE, HL7 CDA, HL7 FHIR etc

Die österreichische Gesundheitsakte ELGA schlägt den Takt für die Entwicklung von Standards zur Vernetzung von IT-Systemen. Vor 15 Jahren war der Aufwand für die ersten ELGA-Befunde und die Errichtung der Infrastruktur noch sehr groß. Mittlerweile sind die Methoden voll etabliert. Österreichische Expertinnen sind auch auf internationaler Ebene anerkannt und gestalten aktiv mit. Was früher Pionierarbeit war, ist heute gut planbare Routine. Innovative Softwarelösungen und Know-how aus Österreich sind EU-kompatibel und weltweit einsetzbar. Zunehmend werden auch mobile Anwendungen gut möglich.

Künstliche Intelligenz

Seit Jahrzehnten erleben wir dramatische Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz für die Medizin. Zahlreiche Medizinprodukte sind bereits am Markt, vor allem in der Radiologie. Die Entwicklung schreitet rasch voran, immer schneller kommen weitere Produkte auf den Markt. Generative KI wie ChatGPT erweitert die Möglichkeiten beträchtlich. In einem Beispiel haben Mehnen et al. ChatGPT an 50 klinischen Fallvignetten getestet, darunter 10 seltene Falldarstellungen. ChatGPT konnte in 90% der Fälle eine korrekte Diagnose erstellen.

Auch bei der wissenschaftlichen Analyse von Daten aus unterschiedlichen Quellen unterstützt generative KI schon heute sehr stark. Forscherinnen und Forscher nutzen ChatGPT als „digitalen Coach“, um moderne Verfahren auszuwählen und anzuwenden für die explorative Datenanalyse, die Bereinigung von Rohdaten, die grundlegende und weiterführende Datenanalyse und die Vernetzung unterschiedlicher Datenbestände. Der Aufwand von Rohdaten zur leicht verständlichen Darstellung von Zusammenhängen aus der vorhandenen Evidenz sinkt damit beträchtlich. In Österreich haben sich in diesem Bereich Teams mit herausragender Kompetenz etabliert, auch in den Bereichen Modellbildung und Simulation und Komplexitätsforschung. Es gibt viel zu ernten auf einem fruchtbar bestellten Feld!

Herausforderungen

Software wird erfolgreich, wenn Anwenderinnen und Anwender innerhalb klarer Rahmenbedingungen von den ersten Anforderungen über die Implementierung bis zu Tests aktiv mitgestalten. ELGA und e-card haben wesentliche Infrastrukturkomponenten errichtet, sind für Anwenderinnen und Anwender jedoch unsichtbar und unbekannt. Viele Projekte sind da deutlich aktiver: Das Leitprojekt LinkedCare (linkedcare.at) für die mobile Pflege ist ein Beispiel, wie intensive Benutzerbeteiligung Nutzen und Freude bewirken kann. Oberste Priorität wurde der Medikation eingeräumt. Zahlreiche Wege, Telefonate, nachfragen, Zeitverlust wurden lange diskutiert. Die LinkedCare Projektpartner konnten sich auf gemeinsame Lösungswege einigen, die Aufwand, Zeit und Frustration einsparen. Ein Pilotversuch 2024 soll zeigen, ob diese diese Erwartungen tatsächlich eintreten. Auch die jüngste Initiative des Gesundheitsministeriums und anderer Partner „digital vor ambulant vor stationär“ scheint ähnliche Ansätze zu verfolgen. Nicht nur für Anwenderinnen und Anwender, auch für Entscheidungsträger verschwimmen die Zusammenhänge. Wir können Gesundheitsstadtrat Hacker gut verstehen, wenn er am Gesundheitswirtschaftskongress 2023 bemerkt, dass Entscheidungen verschlafen werden aufgrund von fehlenden Daten.

Die eHealth-Initiative hat 2007 eine Roadmap und auch Vorschläge für Interoperabilität und Standards gemacht, die wir nun in ELGA umgesetzt finden. Ähnliche Dialoge zwischen Politik und Expertinnen sind heute kaum erkennbar. Das geht vielleicht besser? 

Erfolgsfaktoren und Empfehlungen

Modulare, interoperable Lösungen
Wir wollen die unhandlichen Software-Monolithen verändern zu modularen Lösungen mit standardisierter IT-Infrastruktur. Gestalten wir aus Österreich die EU-Lösungen aktiv mit, dann werden wir internationale Erfolge einfahren.

Bestandsdaten sofort nutzen
Machen wir die Erfolge unserer IT-Innovationen sichtbar, indem wir mit KI-unterstützter Datenanalyse Verläufe in den sofort verfügbaren Bestandsdaten zeigen. Wir können nicht auf die perfekten Daten der Zukunft warten.

Anwenderinnen und Anwender gestalten Bottom-Up mit
Anwenderinnen und Anwender, die aktiv mitgestalten, werden die Ergebnisse mit Freude verwenden. Wir brauchen das Wissen aus dem echten Leben, um Nutzen im Alltag zu erzielen.

Strategien Top-Down breit und allgemeinverständlich diskutieren
Breite, strukturierte Diskussionen können innovative Ideen in allgemein verständ­liche, glaubwürdige Strategien integrieren, hochrangige Stakeholder gemeinsam mit Expertinnen und Experten und Betroffenen. Radikale Umbrüche werden erträglich, wenn wir gemeinsam, schrittweise und mit Übersicht weiterdenken.

FH-Prof. DI Dr. Stefan Sauermann (li.) ist Studiengangsleiter Master Medical Engineering & eHealth und Vizerektor der Fachhochschule Technikum Wien.

FH-Prof. DI Dr. Lars Mehnen ist Senior Lecturer/Researcher für Computer Science an der Fachhochschule Technikum Wien.

Quellen und Links:

Wissenschaftliche Evaluierung des Pilotprojekts e-Medikation im Auftrag der ELGA GmbH

ChatGPT as a medical doctor? A diagnostic accuracy study on common and rare diseases

Österreichische e-Health Strategie 2007

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