Fürsorgezentrum in Bad Hall: mia san mia

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Autor: Josef Ruhaltinger

Im oberösterreichischen Bad Hall bietet das Fürsorgezentrum „mia – Miteinander Auszeit“ besonders belasteten Familien die Gelegenheit, sich drei Wochen lang unter therapeutischer Anleitung fit für den Alltag zu machen. Die Wartezeiten für die Kassenleistung betragen keine zwei Monate.

Die Rollenverteilung in der Familie verändert sich langsam. Sehr, sehr langsam. „Es sind fast ausschließlich Mütter, die die Initiative ergreifen und mit ihren Kindern zu uns kommen“, beschreibt Helga Pollheimer die überwiegende Klientel ihres Hauses. Nur drei bis vier Väter würden sich über das Jahr in ihr Haus einquartieren. Helga Pollheimer ist Leiterin der Einrichtung „mia – Miteinander Auszeit“, kurz mia genannt – „einem Haus zur präventiven Stärkung der psychischen Gesundheit und Eltern“, wie es etwas sperrig auf der Homepage heißt. mia liegt mitten im schmucken Kurpark des oberösterreichischen Weilers Bad Hall und ist Teil der pro-mente-Reha-Gruppe: Helga Pollheimer empfängt in ihrem Haus Mütter und – deutlich seltener – Väter mit deren Kindern, die gefährlich nahe an ihre Belastungsgrenzen gekommen sind. „Wir helfen, wenn einer Familie durch bestimmte Belastungsfaktoren der Zusammenbruch droht“, wobei sie unterstreicht, „und zwar, bevor der Akku leer ist.“ mia sei eine präventive Einrichtung, die Rahmenbedingungen bietet, um Familien zu entlasten, und nicht erst eingreift, wenn es etwas zu reparieren gibt.

Vorbeugen statt reparieren. Das Haus der pro-mente-Reha-Gruppe unterstützt Familien, die außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt sind – und daran gesundheitlich zu zerbrechen drohen.

Vor dem Wellenberg

Das Angebot von mia ist in Österreich einzigartig: Während eines dreiwöchigen Aufenthalts suchen Mütter oder Väter und deren Kinder – in der Regel wird nur ein Obsorgeberechtigter angesprochen – Abstand zu den Alltagssituationen, die der Familie zu schaffen machen. Dabei steht unter Leitung von Therapeuten und Pädagogen die Erarbeitung von Bewältigungsstrategien im Vordergrund, um wieder Kraft für den familiären Alltag zu tanken. Helga Pollheimer: „Ein wichtiger Teil des Angebotes ist die Vorbereitung auf Situationen nach dem Aufenthalt bei uns. Der Alltag kommt ja wieder.“ Dabei geht es vor allem um die Anleitung, wo die Familien Hilfe erwarten dürfen, wenn die Situation wieder eskaliert. „Es gibt viele Hilfseinrichtungen, von denen unsere Klienten meist keine Ahnung haben.“

Kinder zwischen 3 und 12 Jahren können Mutter oder Vater in ihren drei Wochen bei mia begleiten. Für jüngere und ältere Kinder reichen die Strukturen des Hauses nicht aus. Helga Pollheimer begründet die Altersschranken mit den speziellen Bedürfnissen von Babies oder Teenagern: „Es fehlen uns die pädagogischen und therapeutischen Ressourcen, um den speziellen Bedürfnissen dieser Altersgruppen entsprechen zu können.“ Neben dem therapeutischen Angebot für die Eltern stehen auch gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern auf der Tagesordnung. Die gemeinsame Auszeit soll helfen, psychischen Erkrankungen vorzubeugen, und gleichzeitig zur Stärkung der psychischen Gesundheit beizutragen.

Der Zugang zu mia ist einfach: Die Betroffenen stellen über den betreuenden Arzt einen Antrag auf Rehabilitations-, Kur- bzw. Erholungsaufenthalt. Wichtig ist dabei der Vermerk: mia – Miteinander Auszeit. Ein überschaubares, aber erwähnenswertes Problem besteht darin, dass mia vorbeugend aktiv werden will. Die Patienten sind zum Zeitpunkt des Antrags noch nicht krank. Manche Medizinerinnen und Mediziner diagnostizieren ungern drohende und noch nicht bestehende Krankheiten. Die Kostenübernahme für Therapie, Verpflegung und Unterbringung muss im nächsten Schritt vom Chefarzt des jeweiligen Sozialversicherungsträgers bewilligt werden. Ein letztes Gespräch zwischen dem beantragenden Elternteil und einem Mitarbeiter von mia stellt sicher, dass die Einrichtung in Bad Hall der Familie helfen kann. „Wir müssen leisten können, was wir versprechen“, so Pollheimer. Manchmal seien die psychischen Probleme andernorts besser zu behandeln. Als schwierig zu beurteilen erweisen sich Belastungsstörungen, die mit Suchtverhalten einhergehen. In derartigen Fällen werden besonders intensive Vorgespräche geführt, um auf allen Seiten die richtigen Erwartungshaltungen zu definieren. In dem Kennenlerngespräch wird aber auch verdeutlicht, dass eine Mitwirkungspflicht der Erwachsenen bei den Therapien besteht, denn – dies ist der Leiterin Helga Pollheimer wichtig zu unterstreichen: „Wie bieten keinen Urlaub an.“ Schließlich werde der Aufenthalt aus Geldern der Allgemeinheit bezahlt. „Wir arbeiten daran, Menschen auf Kassenkosten zu helfen, damit sie gesund bleiben – und dafür fordern wir deren Mitarbeit.“

Einander stützen. Leiterin Helga Pollheimer beobachtet bei den Familien starke Nachwehen aus der Zeit der Lockdowns. Ein besonderes Ziel der mia-Therapien ist die Vermittlung der Einsicht, dass es auch andere Betroffene gibt, die aus den gleichen Gründen am Alltag verzweifeln.

Kein Zeichen der Schwäche

Das therapeutische Angebot findet in Kleingruppen und im Einzelsetting statt. Sowohl Entspannungs-, Meditations- und Bewegungsangebote als auch Elterngruppen und Workshops zum Thema Gewaltfreie Kommunikation und Physiotherapie werden in der Kleingruppe abgehalten. Ebenfalls am Programm stehen Themen wie Stressbewältigung, Muskelentspannung, Ernährungsberatung und ein Vortrag der Sozialarbeit. Pro Aufenthalt sind 1 – 2 psychologische Einzelgespräche und bei Bedarf ein Beratungsgespräch im Bereich Sozialarbeit vorgesehen.

Das Einzugsgebiet von mia kennt keine Bundesländergrenzen. Familien aus ganz Österreich können das Bad Haller Angebot in Anspruch nehmen. Dem war nicht immer so. 2015 wurde das Angebot zur Familienstärkung von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in Zusammenarbeit mit pro mente – „dort gibt es seit jeher speziellere Angebote“, so Pollheimer – für die Versicherten ob der Enns eingeführt. Seit der Kassenzusammenlegung 2020 gilt das mia-Angebot österreichweit – eine der positiven Effekte der Reform.

Die Pandemie hat die Belastungsgrenzen der Familien oft überdehnt. „Die Lockdowns mit Homeoffice und Home-Schooling haben tiefe Spuren hinterlassen. Das hat etwas mit den Menschen gemacht“, beobachtet Pollheimer. Speziell bei den Kindern erkenne sie soziale Defizite, die früher nicht so stark zu bemerken gewesen seien: „Den Kindern fehlt aus dieser Zeit der soziale Umgang mit anderen Kindern“, erzählt sie. Das sei nicht so einfach aufzuholen. Das Ergebnis sei manchmal ein schwieriges Eltern-Kind-Verhältnis, an dem „viele Eltern verzweifeln“. Häufige Gründe für außergewöhnliche Belastungen finden sich im Zusammenspiel von Familie und Beruf, die viele Menschen in den nahenden Burn-out treiben. Kommen zu den alltäglichen Anforderungen weitere Belastungen hinzu, wie etwa finanzielle Probleme, Trennungen oder Pflegefälle in der Familie, gelangen viele Erziehende an ihre Grenzen. Pollheimer: „Viele Betroffene haben Hemmungen, sich an uns zu wenden, weil sie glauben, ihre Probleme seien ein Zeichen ihrer Schwäche.“ Dies gehe so weit, dass „Scham empfunden wird, weil sie glauben, an Herausforderungen zu scheitern, die alle anderen bewältigen.“ Eines der wesentlichen Ziele der mia-Angebote sei daher, deutlich zu machen, „dass es viele andere mit den gleichen Problemen gibt.“ Etliche Lösungen kämen aus den Gesprächen in der Gruppe. „Es ist oft so, dass eine Mutter, deren Kind schwere Schlafstörungen hat, von einer anderen Mutter gute Tipps erhält, die mit den gleichen Problemen ein oder zwei Jahre früher konfrontiert war.“

mia läuft auf Volllast: Pro Jahr werden 17 Turnusse zu jeweils drei Wochen angeboten. Ein spezieller Turnus im Sommer ist dabei einem echten Mutter-Vater-Kinder-Programm vorbehalten: Da dürfen beide Erziehungsberechtigte gleichzeitig mit ihren Kindern nach Bad Hall. Dabei hilft die Dichte des mia-Angebotes, die Wartezeiten überschaubar zu halten: Stand Anfang Oktober hätte es für eine hilfsbedürftige Familie bereits Ende November ein Angebot gegeben. 

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