Pflege: Beruflicher Erfolg braucht keine Matura

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Autor: Michael Krassnitzer

In der Pflege kann man auch ohne Reifeprüfung Karriere machen. Das Studium der Pflegewissenschaft steht allen Fachkräften mit einschlägig beruflichen Qualifikationen offen.

Für viele Berufe im Gesundheitswesen ist die Matura notwendig. Das Hochschulstudium war lange ohne eine erfolgreich abgeschlossene Reifeprüfung versperrt – es sei denn, man wählt den Umweg über die Studienberechtigungsprüfung. Und der gehobene Pflegedienst zierte sich bei Kandidaten ohne Matura ebenfalls, die Karriereleiter aufzustellen. Laufbahnen im Gesundheitswesen waren in dem Punkt besonders pingelig. Die Pflege kennt viele Tätigkeiten, für die man keine Matura braucht – doch wer kein Maturazeugnis vorweisen kann, stößt schnell an Grenzen. Eine Fachkarriere oder die Übernahme von Führungsaufgaben waren in vielen Bereichen ohne Matura (oder gar Studium) so gut wie ausgeschlossen.

Aber Zeiten ändern sich. Die gläserne Matura-Decke hat nicht nur Sprünge bekommen: Sie ist zersplittert. Markus Golla, Leiter des Instituts Pflegewissenschaft an der IMC Fachhochschule Krems, hat niemals eine Reifeprüfung abgelegt. Aber er hat die Möglichkeiten genutzt, die es im Pflegebereich gibt, um auch ohne Matura weiterführende akademische Ausbildungen zu absolvieren. „In der Pflege ist auch ohne Matura alles möglich“, bekräftigt der einstige Gymnasiumsabbrecher.

Erste Sprosse. Im Bild feiern neun Absolventinnen der Schule für
Gesundheits- und Krankenpflege am Klinikum Rohrbach ihren Karrierestart
als Pflegefachassistentinnen. Der Weg zum Studium steht damit offen.

Dreistufiges Modell

In Österreich gibt es seit dem Jahr 2016 ein dreistufiges Modell zur Pflegeausbildung: Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und gehobener Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege. Für die beiden erstgenannten Ausbildungen wird grundsätzlich keine Matura benötigt. Die Ausbildung zur Pflegeassistenz umfasst 1.600 Stunden, in denen die Grundlagen im Bereich der Pflege, Therapie und medizinischen Diagnostik gelehrt werden. Sie dauert ein Jahr (bei Vollzeit) und eineinhalb oder zwei Jahre (bei Teilzeit). Die Ausbildung zur Pflegefachassistenz umfasst 3.200 Stunden und dauert zwei Jahre (Vollzeit) oder drei Jahre (Teilzeit). Die Pflegefachassistenz kann aufbauend auf eine abgeschlossene Pflegeassistenzausbildung absolviert werden oder aber als eigene Ausbildung.

Die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege ist als dreijähriges Bachelorstudium angelegt. Anders als bei den meisten Studien ist allerdings für dieses Bachelorstudium die Matura (bzw. Berufsreifeprüfung und Studienberechtigungsprüfung) nur eine von mehreren möglichen Voraussetzungen. Das Studium steht auch Personen ohne Matura offen, sofern diese über einschlägige berufliche Qualifikationen verfügen. Dazu zählen unter anderem:
– ein Diplom über die abgeschlossene Ausbildung zur Pflegefachassistenz
– ein Diplom über eine abgeschlossene Ausbildung im medizinisch-technischen Fachdienst-f ein Diplom über eine abgeschlossene Ausbildung zum Sozialfachbetreuer
– ein Lehrabschluss als Augenoptiker, Bandagist, Drogist oder Orthopädietechniker

Je nach Ausbildung bzw. Diplom sind dann noch bestimmte Zusatzqualifikationen notwendig. Wer zum Beispiel eine abgeschlossene Ausbildung zur Pflegefachassistenz hat, braucht eine zusätzliche Qualifikation in Englisch auf Maturaniveau (B2), für Sozialfachbetreuer ist Englisch und Deutsch auf Maturaniveau vonnöten. Wer einen solchen Weg wählt, hat unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Möglichkeit eines verkürzten Studiums.

Einzigartige Durchlässigkeit

„In der Pflege stehen sowohl für eine Fachkarriere als auch für eine Führungskarriere alle Türen weit offen“, bekräftigt Martina Bruckner, Leiterin der Schulen für Gesundheits- und Krankenpflege der Oberösterreichischen Gesundheitsholding: „Diese Durchlässigkeit in Sachen Ausbildung ist etwas ganz Besonderes.“ Die Ausbildungseinrichtungen tun alles, um ihren Schülern die Aus- bzw. Weiterbildung organisatorisch so einfach wie möglich zu machen. An den Schulen der Oberösterreichischen Gesundheitsholding (OÖG) zum Beispiel ist die Ausbildung zur Pflegefachassistenz sowohl in Vollzeit, in Teilzeit oder berufsbegleitend möglich. Teilzeit ist vor allem für Berufsumsteiger, die schon einen Erstberuf haben, oder für Personen mit Betreuungspflichten interessant. „Das Bachelorstudium ist derzeit in Oberösterreich noch nicht berufsbegleitend möglich; dies wird aber für 2026 angedacht“, erklärt Bruckner.

In Oberösterreich gibt es auch einen neuen Ansatz, um ganz junge Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Mit einer neu geschaffenen Ausbildung namens „Pflegestarter*innen“ zum Beispiel ist ein Einstieg in eine Ausbildung an den Pflegeschulen der OÖG bereits mit 15 Jahren, also gleich nach der Pflichtschule möglich. Für Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz gilt ja ein Mindestalter von 17 Jahren. „Aus diesem Grund sind früher viele für den Pflegeberuf verloren gegangen, weil sie direkt nach dem Pflichtschulabschluss noch zu jung waren, um eine Pflegeausbildung zu beginnen“, erläutert Bruckner. Derartige neue Ausbildungsmodelle und auch die Durchlässigkeit der Ausbildung dienen vor allem einem Zweck: möglichst viele Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Die Zahl jener, die eine Ausbildung zur Pflegefachassistenz machen, hat sich in Oberösterreich vom Jahr 2018 auf 2023 vervierfacht. „Das heißt: Das Interesse an der Pflegefachassistenz ist enorm“, unterstreicht Bruckner.

Wildwuchs der Modelle

Dennoch zeigt sich Golla skeptisch, dass der notorische Personalmangel in der Pflege auf diese Weise behoben werden kann. Schuld sei die demographische Situation. „Es gibt einfach viel zu wenig Nachwuchs“, weiß Golla. In diesem Zusammenhang kritisiert der Pflegewissenschaftler ein Durcheinander bei den Ausbildungsmodellen. Dazu zählt er auch die geplante Einführung einer Pflegelehre, die in seinen Augen noch unausgegoren ist. „Die Politik versucht geradezu hysterisch, Leute in die Pflege zu bekommen. Aber auch wenn man noch 1.000 weitere Ausbildungsstellen schaffen und zehn neue Ausbildungsmodelle ins Leben rufen würde – die Zahl der jungen Menschen in Österreich wird dadurch nicht größer.“ 

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