Welche Strukturen sind zur Stärkung der Gesundheitskompetenz nötig? Welche Rolle spielen dabei die Gesundheitsberufe? Mit diesem Thema beschäftigte sich das DNGK-Webseminar „Therapeutische Berufe und Gesundheitskompetenz“ im Mai 2021. Inspiriert durch diese Veranstaltung hat im DNGK Anfang des Jahres 2022 der Fachbereich Gesundheitsberufe seine Arbeit aufgenommen. Die Sprecherinnen des Fachbereichs, Eva Denysiuk (ED) und Andrea Warnke (AW), im Gespräch.
AW: Eva, Du warst eine der Referentinnen beim Webinar im letzten Jahr. Um was ging es da?
ED: Expertinnen aus Ergotherapie, Ernährungstherapie, Logopädie und Physiotherapie präsentierten Projekte und Praxiserfahrungen zu dieser Thematik. Im Mittelpunkt stand die Diskussion zu den Fragen:
■ Welche spezifischen Kompetenzen von Therapeutinnen und Therapeuten fördern die Gesundheitskompetenz der Patienten- bzw. Klientenschaft?
■ Welche Bedeutung haben Ausbildung, Wissenschaft und Zugang zu Informationen über Gesundheitskompetenz für die therapeutischen Berufe?
■ Wie muss sich das Gesundheitssystem weiterentwickeln und welche Kooperationsformen sind nötig, um die Förderung der Gesundheitskompetenz im therapeutischen Alltag zur Routine zu machen?
■ Wie kann das Potenzial der therapeutischen Berufe im Bereich Gesundheitskompetenz gefördert werden?
AW: Ja, das war ein inspirierendes und gut besuchtes Webinar, in dem viel diskutiert wurde. Mit diesem Schwung ging es dann in die konstituierende Sitzung des Fachbereichs Gesundheitsberufe Ende Januar 2022. Mitglieder mit unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen – darunter Ergotherapie, Logopädie, Pflege, Physiotherapie, Podologie, Ökotrophologie – wollen die Rolle der verschiedenen Gesundheitsberufe bei der Vermittlung von Gesundheitskompetenz verstehen und stärken. Alle vereint der Wunsch nach interdisziplinärem Austausch und die Frage, wie die Förderung der Gesundheitskompetenz durch die Angehörigen der Gesundheitsberufe verstärkt werden kann.
❝Wir treffen uns regelmäßig alle zwei Monate. Aktuell systematisieren wir für die Berufsgruppen den Stand „rund um Gesundheitskompetenz“ und haben schon einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede festgestellt. (Andrea Warnke)
ED: Beim ersten Austausch haben wir uns erst einmal kennengelernt und Arbeitsschwerpunkte festgelegt:
■ Die Vermittlung von Wissen zur Gesundheitskompetenz in der Aus- und Weiterbildung stärken und strukturieren
■ Vorhandene Initiativen zur Gesundheitskompetenz in den Gesundheitsberufen systematisch erfassen und vernetzen
■ In öffentlichen Foren und Veranstaltungen neue Konzepte und den aktuellen Wissensstand zu Gesundheitskompetenz in den Gesundheitsberufen beleuchten und diskutieren
■ Gesundheitskompetenz bei Angehörigen aller Gesundheitsberufe fördern
AW: Wir treffen uns regelmäßig alle zwei Monate. Aktuell systematisieren wir für die Berufsgruppen den Stand „rund um Gesundheitskompetenz“ und haben schon einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede festgestellt.
ED: Die Ergotherapeutinnen können sich mit einem umfassenden Begriff von Gesundheitskompetenz (GK) identifizieren. Wir haben große Übereinstimmungen mit der Definition des DNGK zur organisationalen GK mit dem Modell PEO (person, environment, occupation) der Ergotherapie festgestellt. International wird in der ergotherapeutischen Literatur GK (health literacy) bereits diskutiert und beforscht. In Deutschland befinden wir uns noch am Anfang, auch in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung ist GK noch nicht verankert.
AW: Eine entsprechende Novellierung steht ja schon lange aus. Vielleicht tut sich dann die Chance auf, GK einzubringen, wenn es so weit ist?
ED: Das ist zu hoffen. Der Deutsche Verband Ergotherapie (DVE) hat GK bereits im Kompetenzprofil verankert. In der Ergotherapie wird GK z.B. im Rahmen von Alltagsbewältigung mit chronischer Erkrankung fokussiert. Die Ergotherapeutinnen „übersetzen“ mit ihren Klienten Informationen zu GK in die konkrete Anwendung und bringen sie somit in die Aktivitäten des täglichen Lebens.
AW: Ein wenig anders sehen es die Kolleginnen und Kollegen der Physiotherapie. Aus ihrer Sicht ist das Konstrukt GK oft noch nicht bekannt – daher ist eher von einer impliziten Förderung von GK in der physiotherapeutischen Praxis auszugehen. Hier fehlt allerdings noch eine Bestandsaufnahme – also was wird in der Versorgungspraxis implizit und was explizit an GK-Förderung unternommen? Wichtig wäre auch, die Professionellen für diese Vermittlung zu sensibilisieren und das Thema mehr ins Bewusstsein zu rücken.
ED: Genau. Z.B. durch die Fokussierung einer Ressourcenaktivierung statt Technikorientierung. Auch in der Physiotherapie sollte diese Kompetenzzuschreibung im Berufsgesetz und der Ausbildungs- und Prüfungsordnung verankert werden. Die Physiotherapie wäre prädestiniert für die Vermittlung von GK. Aber das benötigt Zeit, die im engen Behandlungstakt nicht vorgesehen ist. Die Vermittlung läuft – wie ja eigentlich in allen Gesundheitsberufen – „on top“. Wobei wir bei der Entlohnung wären.
AW: Der Stellenwert der GK ist hoch, aber es muss expliziert werden und es bedarf einer entsprechenden Entlohnung – z.B. durch eine Abrechnungsposition. Wir konnten einige Gemeinsamkeiten der Berufsgruppen feststellen:
■ In der Vermittlung von GK könnten die Gesundheitsberufe „Leuchttürme“ werden.
■ GK wird implizit statt explizit vermittelt. Hier sollte eine Verankerung in den Berufsgesetzen erfolgen.
■ GK-Vermittlung muss erlernt werden, eine Aufnahme in die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Gesundheitsberufe ist erforderlich.
■ GK muss honoriert werden – kein „nebenbei und on top“, sondern „verankert durch Abrechnungsposition“.
ED: Es gibt viele Gemeinsamkeiten in diesem Kontext zwischen den Vertretern der Gesundheitsberufe. Aber wir haben auch schon Unterschiede extrahiert und diskutiert. Z.B. dass die Klienten der Logopädie eine besonders vulnerable Gruppe darstellen, wenn es um Kommunikation geht. Denn sie sind ja gerade wegen Sprach- und Sprechstörungen in Behandlung. Dadurch haben die Kolleginnen und Kollegen der Logopädie aber auch ein großes Repertoire, von dem die anderen Gesundheitsberufe wiederum lernen können.
Aktuell ist der Fachbereich dabei, Gemeinsames und Besonderheiten der einzelnen Bereiche zu sammeln, zu ordnen und zu diskutieren. In den kommenden Monaten wollen wir weitere Professionen unter die „GK-Lupe“ nehmen.
AW: Da haben wir noch viel vor: Pflege, Logopädie, Ernährungstherapie, …., aber auch die Medizinischen Fachangestellten (MFA) und die Soziale Arbeit als Berufsgruppen wollen wir in den Blick nehmen.
ED: Ja und dafür würden wir uns freuen, wenn wir den Kreis der aktiven Fachbereichsmitglieder noch erweitern könnten – um Menschen und Professionen.
AW: Genau. Wir suchen noch weitere Aktive, sowohl aus den bereits vorhandenen Professionen der Therapieberufe und der Pflege als auch aus Professionen, die noch nicht vertreten sind, wie z.B. MFA und Rettungssanitäter. Auch Personen aus dem Sozialwesen sind herzlich willkommen. Bei Interesse gerne formlose Mail an die DNGK-Geschäftsstelle: office@dngk.de
Zu den Personen:
Eva Denysiuk und Andrea Warnke sind die Sprecherinnen des FB Gesundheitsberufe des DNGK. Die Inhalte des Gesprächs beruhen auf Inhalten, die alle Mitglieder des FB Gesundheitsberufe erarbeitet und diskutiert haben.
Weiterführende Informationen:
https://dngk.de/gesundheitsberufe-und-gesundheitskompetenz