Healing Architecture: Heilende Wände in Krankenhäusern

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Michael Krassnitzer

Gut geplante Krankenhäuser fördern die Genesung ihrer Patienten. Das ist die Idee von „Healing Architecture“. Eine Ausstellung in München widmet sich der „heilenden Architektur“.

Spitalspatienten, die vom Krankenzimmer auf einen Park blicken, werden schneller gesund als Patienten, die durch das Fenster auf die Mauer eines gegenüberliegenden Gebäudes starren. Nicht nur das: Jene Patienten, die den schöneren Ausblick genießen, brauchen deutlich weniger Schmerzmittel, sind weniger missmutig und daher leichter zu pflegen. Das zeigte eine kleine, aber bahnbrechende Studie, die 1984 in dem renommierten wissenschaftlichen Journal „Science“ veröffentlicht wurde. Die bis heute immer wieder zitierte Untersuchung war der Startschuss für eine ganz neue Disziplin: „Healing Architecture“ – heilende Architektur.

Orange ist das neue Weiß. Das Utrechter Prinses Maxima Centrum für Pädiatrische Onkologie ist das größte pädiatrische Krebs­zentrum Europas. Das architektonische Konzept enthält „Ablenkungs- und Bewegungsoberflächen“, in denen Kinder, Jugendliche und Familien ihre eigenen stressfreien Räume schaffen.

Mehr als ein Schlagwort

Eine aktuelle Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM) hat sich dieses Themas angenommen („Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft“, Architekturmuseum der TUM, München, bis 21. 1. 2024). Weil „Healing Architecture“ mancherorts zum bloßen Schlagwort verkommen ist, verwenden die Ausstellungsmacher lieber den Begriff „evidence based design“, also evidenzbasierte Gestaltung. Denn die architektonischen Maßnahmen, um die es geht, beruhen nicht auf Bauchgefühl oder Intuition, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine der Kuratorinnen der Ausstellung ist die Architekturpsychologin Tanja C. Vollmer, die gemeinsam mit der Architektin Gemma Koppen seit 15 Jahren an dem Thema forscht (lesen Sie hier das Interview). Sie unterstreicht, dass die Krankenhausumgebung einen Einfluss auf die Stresswahrnehmung schwer und chronisch Kranker hat. Und sie hat herausgefunden, welche Faktoren einen günstigen Einfluss auf die Stresswahrnehmung dieser Patienten haben. „In den letzten Jahrzehnten wurde der Bau von Kliniken immer stärker von Effizienz, Ökonomie, Flexibilität und Rationalisierung geprägt“, erklärt Lisa Luksch, ebenfalls Kuratorin der Münchener Schau über gesundheitsfördernde Architektur: „Wesentliche Bedürfnisse und Empfindungen von Kranken und Pflegenden sind dabei zunehmend in den Hintergrund getreten.“ Das möchte sie ändern.

Die „heilenden Sieben“

Geht es nach der Ausstellung bzw. nach Vollmers Erkenntnissen, so sind es sieben Faktoren, die beeinflussen, ob schwer und chronisch Kranke im Krankenhaus schädigenden Stress erleben: Orientierung, Geruchskulisse, Geräuschkulisse, Privatheit und Rückzugsraum, „Kraftpunkte“, Aussicht und Weitsicht sowie Menschliches Maß. Luksch nennt sie die „heilenden Sieben“. Demnach trägt es positiv zum Genesungsprozess bei, wenn sich Patienten im Krankenhaus intuitiv orientieren können.

Das heißt: ohne kognitive Anstrengung ihr Ziel zu finden oder den aktuellen Standort zu bestimmen.
Gesundheitsfördernde Architektur sorgt auch dafür, dass die Geruchskulisse stimmt. Das bedeutet: angenehme Gerüche aus möglichst natürlichen Quellen und eine natürliche Belüftung. Die Architektur soll auch sicherstellen, dass unangenehme Gerüche schnell entweichen können oder gar nicht erst entstehen. Vor 20 oder 30 Jahren etwa wurden Cafeterias gerne direkt neben Wartebereichen platziert. „Das war zwar gut gemeint, doch wenn von rechts der Geruch des Frittenfettes und von links der Geruch des Kaffeeautomaten kommt, dann führt dies zu Stressempfindungen bei den Wartenden“, erläutert Luksch.

Die Faktoren Geräuschkulisse sowie Privatheit und Rückzugsraum gehen oft Hand in Hand. Bekanntlich leistet ein ruhiger Schlaf einen wesentlichen Beitrag zur Heilung. Die Aufgabe von „Healing Architecture“ ist es daher, die optimalen Voraussetzungen für Ruhe zu schaffen. Erreicht wird dies durch den Einsatz von schallabsorbierenden Materialien, aber auch durch breitere, unterbrochene Gänge. „Ideal sind natürlich Ein-Bett-Zimmer“, bekräftigt Luksch. Allerdings sind Ein-Bett-Zimmer bei Krankenhausneubauten nur in wenigen Ländern wie in Schweden oder den Niederlanden Standard. Wenn der Patient allein in einem Zimmer liegt, wirkt sich das auch nachgewiesenermaßen auf die Behandlungsqualität aus: Ärzten unterlaufen weniger Behandlungsfehler, weil sie offener mit den Patienten sprechen können.

Einfach mal ausschnaufen

Unter „Kraftpunkte“ („Power Points“) fasst die Ausstellung kleine Räume, Unterbrechungen von Gängen sowie Nischen zusammen, in denen Patienten kurzzeitig innehalten können, um sich auszuruhen oder abzulenken. Während der ambulanten Chemo­therapie verbringen Krebspatienten bis zu sieben Stunden am Stück im Krankenhaus und legen dabei bis zu vier Kilometer oder mehr zurück. „Daher besteht ein Bedürfnis nach Punkten, wo man einfach mal durchschnaufen kann“, sagt Luksch. In Kinderkrankenhäusern sorgt gesundheitsfördernde Architektur dafür, dass auch die begleitenden Eltern Rückzugsräume und Entspannungsorte haben und sich nicht fehl am Platz fühlen, sobald sie das Krankenbett ihres Kindes verlassen.

Aussicht und Weitsicht bedeutet nicht nur den eingangs zitierten Blick ins Grüne, sondern auch möglichst viel natürliches Licht im Inneren der Krankenhäuser: Hier können Lichthöfe Abhilfe schaffen. Unter „Menschlichem Maß“ schließlich versteht die gesundheitsfördernde Architektur die Verwendung von Proportionen und Dimensionen, die den Patienten vertraut sind. Zu diesem Zweck bieten sich natürliche Baustoffe an: Anhand der Maserung von Holz oder Ziegelsteinen mit den typischen Fugen dazwischen lässt sich die Größe eines Gebäudes von jedem Patienten im Handumdrehen intuitiv erfassen. 

Quelle und Link:

Architekturmuseum der TUM in München – Ausstellung – Das Krankenhaus – Wie Architektur heilen hilft

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