OP-Logistik: Die Kunst der kurzen Wege

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Josef Ruhaltinger

OP-Säle sind die teuersten Stationen eines Krankenhauses. Spezielle OP-Logistik optimiert die Bereitstellungsprozesse und hält die Fallzahlen hoch – trotz Personalmangels.

Jeder Reisende kennt das Prinzip aus den Hotel-Minibars. Wenn eine Flasche oder eine Schokolade aus dem Schrank genommen werden, melden geheime Mächte dies an die Wächter an der Rezeption. Die bessern nach – den Eiskasten und die Einträge auf der Rechnung. Das gleiche Konzept funktioniert auch in den OP-Sälen unserer Kliniken: Leert sich ein Fach in einem Modulkasten, schlägt das System Alarm. Im Hintergrund läuft aber keine trottelige, weil alarmträchtige Sensortechnik wie im Hotel, sondern eine bildgestützte AI-Technologie, die jede Entnahme eines OP-Gerätes oder einer Mullbinde beobachtet, registriert und an die Lagerverwaltung meldet. Das Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML hat mit dem Konzept „AI4Demand“ eine Lösung entwickelt, die Materialanforderungen in Operationssälen mithilfe von KI erkennt, verarbeitet und – im besten Falle – in das Krankenhausinformationssystem einspeist. Die Modulschränke dienen in den OPs der Aufbewahrung von medizinischen Geräten und Instrumenten. Dafür stehen für jedes Gut jeweils zwei Körbe zur Verfügung. Gehen Tupfer oder Klemmen in Korb 1 zur Neige, fordert AI4Demand Nachschub an. Für die laufende Operation steht ausreichendes Material in Korb 2 zur Verfügung.

Umgesetzt wird das Konzept über eine am Schrank angebrachte Kamera, die mithilfe von KI-Bildanalyse in Echtzeit und mit datenschutzkonformer Bildverarbeitung automatische Materialanforderungen auslöst. Im Hintergrund der Fraunhofer IML-Entwicklung steht die Absicht, das Personal im OP-Bereich zu entlasten. Aktuell kontrollieren Pflegekräfte zwei- bis dreimal pro Woche die Modulschränke. Ist ein Korb leer, wird als Zeichen ein Barcode (meist) an die Tür geklebt, der wiederum von einem Kollegen oder einer Kollegin eingescannt wird. „Mit der Entwicklung beschleunigen wir den Workflow im OP und reduzieren die Aufgaben der Mitarbeiter“, erklärt Thomas Bredehorn, stellvertretender Abteilungsleiter Health Care Logistics von Fraunhofer IML. Er verweist auf den geringen Aufwand, den der Einsatz von AI4Demand erfordert: „Eine Kamera und ein Computer mit unserer Software reichen.“ Aktuell ist sein Institut dabei, industrielle Partner für die Umsetzung des Konzepts zu finden. Die Erfahrungen auf der Leipziger Leitmesse med.Logistica seien ermutigend gewesen: „Da wurde uns die Bude eingerannt.“

Tausenderlei Dinge. Das Bild einer Herz-OP an der Uniklinik Graz lässt ahnen, was für eine zweistündige OP notwendig ist. Schnelle und fehlerfreie Wechselzeiten sind die Maßzahl jeder erfolgreichen OP-Logistik.

Effiziente Nutzung

Operationssäle sind die Maschinenhallen der Krankenhäuser: Sie schaffen den höchsten ökonomischen Mehrwert aller Spitalseinrichtungen. Weniger prosaisch ausgedrückt: In den OPs werden nicht nur medizinische Wunder bewirkt, sondern auch die höchsten Erlöse erwirtschaftet – bei sehr, sehr hohem Personal- und Materialeinsatz. Thomas Bredehorn: „Dort wird Geld gewonnen und Geld verloren.“ Der OP ist der teuerste Bereich eines Krankenhauses. Daher spielen neben den medizinischen Prozessen auch die logistischen Anforderungen eine entscheidende Rolle. Die Situation ist schwierig: Laut Österreichischem Gesundheits- und Krankenpflegeverband sind aktuell circa 10 Prozent der heimischen Operationssäle aufgrund von Pflegepersonalmangel gesperrt. Ein Bericht des Wiener Stadtrechnungshofs aus dem Vorjahr ergab, dass zwischen 2017 und 2019 rund ein Drittel der OP-Säle des Wiener Gesundheitsverbundes werktags nur bis zu fünf Stunden genutzt wurde.

Um freie Potenziale trotz Fachkräftemangels zu nutzen, ist daher die Optimierung der Logistik im OP entscheidend. Denn die Herausforderung besteht darin, die Vielzahl von Personen- und Materialströmen zu minimieren und so aufeinander abzustimmen, dass Instrumente, Abdeckungen und Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitstehen. Jeder Handgriff, der an Maschinen delegiert oder obsolet wird, hilft der Klinik und dem Patienten. Denn mit erhöhter OP-Frequenz werden Wartezeiten für elektive Eingriffe kürzer.

Modernes OP-Management setzt ein weitreichendes Neudenken von Prozessen voraus. Viele der Konzepte bedürfen allerding einer baulichen Umsetzung – und sind daher nicht so einfach zu realisieren. „Bis auf die Reinigung können alle Vorbereitungsmaßnahmen für einen Eingriff außerhalb des Operationssaals durchgeführt werden“, erklärt Thomas Bredehorn. Allerdings braucht es dafür freie Flächen. Ein Beispiel sind freie Richtzonen zwischen den OPs, um Gerätschaft und Materialien für den Eingriff vorzubereiten. Die OP-Säle sind schneller frei für die Nutzung.

Kraft des Minimums. Thomas Bredehorn, Wissenschaftler im Dortmunder Fraunhofer IML-Institut, entwickelt Konzepte für effiziente OP-Logistik. Jeder eingesparte Handgriff und jeder obsolete Weg hilft, Personal- und Zeitressourcen zu sparen.

Schnelle Wechsel

Das Zauberwort der OP-Logistik lautet „Wechselzeit“: Der Begriff beschreibt die Zeitspanne nach dem Ende nachbereitender operativer Maßnahmen des Patientenfalls bis zur Freigabe der Anästhesie des nachfolgenden Patienten. Mit dazu gehören die Entsorgung und Reinigung des OP-Saals sowie planende Tätigkeiten für die nächste Operation. Durch die Wechselzeitverkürzung kann die Saalbelegungszeit reduziert werden, was wiederum eine Erhöhung der Fallzahlen im OP erlaubt. Allerdings ist Verkürzung der Wechselzeiten keine Sache für simples Copy & Paste. Lösungen lassen sich nicht einfach multiplizieren. Dazu variieren die Notwendigkeiten zwischen den Fachdisziplinen und zwischen einzelnen Operationen zu stark. „Es braucht zur Optimierung der Wechselzeit sowohl eine individuelle Analyse der Einsparpotenziale im Bereich der Wechselzeit als auch eine Betrachtung der bereits umgesetzten Maßnahmen“, schreiben die beiden Fraunhofer IML-Expertinnen Beate Moll und Andrea Raida in einem Beitrag für das deutsche KTM-Journal.

Ziel jeder Logistikoptimierung im OP ist, die Abläufe nicht länger nacheinander (seriell) zu gestalten, sondern sie nebeneinander (parallel) zu organisieren. Die Abläufe – Entsorgung, Saalreinigung, Einleitung und Richten im OP-Saal – werden dabei räumlich parallelisiert. Dabei müsse man aber „den Personalfaktor genau im Auge haben“, warnt Thomas Bredehorn. Um Dinge parallel zu erledigen, brauche es das nötige Personal. Um die Wechselzeiten zu verkürzen, ist eine exakte Analyse der Bereiche von Patientenbereitstellung, Personalorganisation und Materialverfügbarkeit durchzuführen. Besonders betrachtet werden muss die Patientenbestellung – Patient kommt zu spät oder ist nicht nüchtern –, die Personalorganisation – Operateure schleusen sich zu früh aus und sind für Folgetätigkeiten nicht verfügbar – und die ausreichende Verfügbarkeit von Material und Geräten. Diese Bereiche sind so zu organisieren, dass Abweichungen so gut wie unmöglich sind bzw. rechtzeitig reagiert werden kann.

In jedem OP-Logistik-Konzept gibt es die Diskussion um die Einführung von Fallwagen am Tisch. Anstatt für jeden einzelnen OP-Saal einen umfassend ausgerüsteten Materialraum vorzuhalten, wird ein Zentrallager verwendet. Die Bewirtschaftung des Lagers funktioniert nur mit IT-Unterstützung, hat aber den Vorteil, dass auch Mitarbeiter, die keine medizinische Ausbildung haben, einen Fallwagen bestücken können. Dafür braucht es allerdings eine exakte Vorgabe der Operateure, die sogenannte Stückliste. Sie listet auf, was für eine bestimmte OP exakt gebraucht wird. Mit der geeigneten IT-Unterstützung, über Barcodes an den Produkten und mit einem Tablet, werden die Mitarbeiter anhand der Stücklisten durch die Lagerfächer geleitet. Die Übertragung logistischer Tätigkeiten auf Versorgungsassistenten wirkt sich positiv auf die Wechselzeit aus, da der veränderte Ablauf das hochqualifizierte OP-Personal entlastet. 

Quelle:

Realität oder noch Illusion – Wie sich Wechselzeiten im OP reduzieren und Abläufe effizienter gestalten lassen, Beate Moll/Andrea Raida; erschienen in Krankenhaus Technik + Management, Januar/Februar 2023, Seite 42

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

Das Problem mit der EU-Medizinprodukteverordnung MDR: „Kauf uns für einen Euro“

Die EU-Medizinprodukteverordnung MDR soll die Sicherheit der Patientinnen und Patienten erhöhen. Aber sie bewirkt das Gegenteil: Produkte werden vom Markt genommen, kleine und mittlere Branchenunternehmen stehen vor dem Aus.

Weiterlesen

Wertstromdesign und Process-Mining zur Steigerung der Prozesseffizienz im klinischen Betrieb

Im Spagat zwischen steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen und beschränkten personellen sowie finanziellen Ressourcen stehen Österreichs Spitäler vor der herausfordernden Aufgabe, eine hochwertige Versorgungsleistung sicherzustellen. Ein vielversprechender Ansatz zur Bewältigung dieser Aufgabe ist die Prozessoptimierung im Bereich der Wertschöpfung.