Wohnen ohne Alterslimit

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Autor: Josef Ruhaltinger

In Wien Favoriten entsteht ein Bauprojekt, das architektonisch und organisatorisch völlig neue Wege geht. Ziel ist, Boomern ab 60 eine gesicherte vierte Lebensphase zu ermöglichen – ohne Alterslimit.

Ulrike Kobrna will keine Zweifel aufkommen lassen: „Wir planen kein Mehrgenerationen-Haus und erst recht kein Pflegeheim“, macht die Vorständin von WOAL klar. Das Kürzel steht für „Wohnen ohne Alterslimit“ und beschreibt einen Verein, der gemeinschaftliche und solidarisch organisierte Wohnformen „bis zum Lebensende“ gestaltet will.

Der Kerntruppe aus elf WOAL-Gründerinnen und Gründern ist es gelungen, einen Architekten und einen Bauträger zu finden, die ihre Idee des „Bleibens bis zum Ende“ in Holz und Stahlbeton umsetzen werden. In der Kurbadstraße an der Favoritner Endstation der U1, dort, wo einst das ehemalige Kurmittelhaus der Therme Oberlaa gestanden ist, werden nach WOAL-Überlegungen bis 2026 zwei Wohnhäuser errichtet werden: Das Familienhaus entspricht einem ambitionierten, aber konventionellen achtstöckigen Genossenschaftsbau, dessen Wohnungen durch den Bauträger „Gartenheim“ vergeben werden. Der zweite, um zwei Etagen niedrigere Baukörper wurde von Architekt Clemens Dill nach den Ideen von WOAL geplant: Hier ist es auch der Verein, der über die künftigen Bewohner und Bewohnerinnen entscheiden wird.

Architektur ohne Altersgrenzen. In Oberlaa wird ein völlig neues Baukonzept umgesetzt. Die Bewohner des WOAL-Hauses sollen in der gewohnten Umgebung leben und altern können.

Gemeinsam Altern

Das WOAL-Haus ist für „alte Leute und die, die es werden wollen“ da. Zielgruppe sind junge Senioren und Seniorinnen „ab 60 bis 100 plus“, wie Ulrike Kobrna ganz ohne Augenzwinkern präzisiert. WOAL sucht einerseits tatkräftige Boomer, die in Würde und Gesellschaft altern wollen. Aber es werden auch ältere Mitbewohner gesucht, um eine altersmäßige Durchmischung zu erreichen, wie Ulrike Kobrna betont: „Sonst durchleben wir alle gleichzeitig dieselben Lebensphasen.“ Was rüstig beginnt, darf am Ende des Lebensbogens mit der Hilfe professioneller Pflege und altersgerechter Architektur enden – aber im gewohnten Umfeld. Architekt Clemens Dill hat den Ideen des Vereins baubare Strukturen verschafft.

Er organisiert das WOAL-Haus in 12 großen Wohneinheiten mit ca. 350 m2, in denen jeweils sieben bis acht Personen wohnen. In Summe wird Platz für 89 Personen sein. Rund 150 m2 dieser Clustereinheiten sind als Gemeinschaftsräume konzipiert, die gemeinsam eingerichtet werden – mit Sofas im Wohnzimmer, einem großen Esstisch in der Küche, einem PC-Arbeitsplatz, Garderobe, Bücherregalen, Pflanzen und Schaukelstühlen auf den Loggien. Clemens Dill: „Wir haben den Anspruch, Wohnen als soziales Erleben geschehen zu lassen.“ Die individuellen Wohneinheiten mit ca. 25 m2 mit Bad sind notwendige und private Rückzugsgebiete, die „allerdings bewusst klein gehalten werden“, wie Clemens Dill erklärt. „Die Bewohner sollen Anlass und Freude haben, rauszugehen und den gemeinsamen Wohnraum im Cluster und im Haus zu nützen.“ An Gemeinschaftsräumen herrscht kein Mangel. Eine großzügige Dachterrasse ist Ergebnis des Verzichts auf zusätzliche Wohneinheiten und der unterschiedlichen Bauhöhe zum angrenzenden Familienhaus. Der gesamte zweite Stock ist Hausgemeinschaftsräumen vorbehalten, in denen eine Werkstatt, Yoga- und Bewegungsräume, Bibliothek, Ruhe- und Musikzimmer ihre Plätze finden. Diese Räume werden von den Bewohnern in Eigenregie definiert, gestaltet und verwaltet.

Ständiges Miteinander

Der modulare Zugang Dills setzt sich in der Gestaltung der Erdgeschoßzone fort. Das Konzept „verfolgt das Lebensgefühl des Grätzls“, wie der gebürtige Deutsche auf wienerisch erklärt. Die „WOAL Lobby“ wird Rezeption und Kompetenzzentrum für Beratung, Betreuung und Pflege. Im Erdgeschoß finden sich zudem Räume zur gemeinsamen Nutzung des Familien- wie des WOAL-Hauses. Bleibt das große Thema der Finanzierung. Ulrike Kobrna (und der Bauträger) bleiben dem gemeinschaftlichen Gedanken treu: „Jeder zahlt nach seinen Möglichkeiten.“ Die Kosten werden so verteilt, dass auch Menschen mit geringem Einkommen im Projekt leben können. Für Betreuung und Pflege werden Leistungen genützt, die individuell über den Fonds Soziales Wien in Anspruch genommen werden können. Im Haus angestellte Pflegedienste gibt es nicht. Ulrike Kobrna: „Das hat das Magistrat verboten.“