Tinder-App für Forschende

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Autor: Alexandra Keller

Weltweit suchen Forscher nach Testpersonen für wissenschaftliche Studien. Das Grazer Start-up Probando löst dieses Problem auf digitale Weise – mit einer Plattform, die Zielgruppe und Forscher vernetzt.

Sie sind verstaubte Relikte analoger Zeiten: die schwarzen Bretter, an denen öffentliche Einrichtungen, Schulen, Ämter oder Universitäten Mitteilungen, Ankündigungen oder anderes Wichtiges und Unwichtiges kundtun – auf Papier gedruckt und mit den obligatorischen Nadeln am Pinnbrett befestigt. Die Reichweite dieser Kundmachungen ist eindeutig auf interessierte Vorübergehende begrenzt. Vielleicht bringt Mundpropaganda noch einen kleinen Kick. Aber das war es dann schon mit der Publizität. „2017 war ich auf einem Forscherkongress in den USA und wurde gefragt, wie wir in Österreich Teilnehmer oder Patienten für wissenschaftliche Studien finden“, erinnert sich Manuel Leal Garcia. Mit einem Aushang am schwarzen Brett, lautete seine Antwort. Als der Österreicher im Gegenzug fragte, wie Universitäten oder Forschungseinrichtungen in den USA Studienteilnehmer finden, bekam er die gleiche Antwort, „und ich dachte mir, das ist ein Problem, dem ich mich gerne widmen würde“.

Partner gesucht. Testpersonen sind für viele Forschungsvorhaben ein Mangelfaktor. Das Grazer Start-up macht Studienprojekte in der Welt der sozialen Medien sichtbar – und mobilisiert potenzielle Probanden.

Inklusive Gründungserfahrung

Das Grazer eHealth-Start-up Probando begann vor drei Jahren, die schwarzen Bretter endgültig ins Museum zu schicken. „Mit unserer Machine-Learning-basierten Plattform vernetzen wir Forschende mit potenziellen Studienteilnehmern“, erklärt Garcia das simple Prinzip mit großer Wirkung. Garcia ist Ideengeber, Mitgründer und Geschäftsführer von Probando. Mit den Bildungs-Stationen Hotelfach, Profimusik, Pharmazie und Betriebswirtschaft verweist sein Lebenslauf auf viele Interessen. Nach seiner Rückkehr aus den USA überzeugte er Julia Harrer, Matthias Ruhri und Gernot Winkler von der Idee, eine Art Partnerbörse für Forschende und potenzielle Test-Probanden zu schaffen.

Ruhri ist in der österreichischen Start-up-Szene kein Unbekannter, war beispielsweise im Hintergrund von Runtastic aktiv und schnell vom Potenzial der Idee überzeugt. „In neun von zehn Studien werden die Rekrutierungsziele nicht erreicht, was zu Verzögerungen führt oder auch dazu, dass die Studien aus Mangel an Teilnehmern eingestellt werden müssen“, beschreibt Ruhri die Ausgangssituation. Sie weist nicht nur auf einen prekären Flaschenhals für jeden wissenschaftlichen Studien-Fortschritt hin, sondern auch auf die Nachfrage, der das Start-up mit seinem Angebot begegnet.

Dass die Plattform als „Tinder für wissenschaftliche Studien“ bezeichnet wird, kommt nicht von ungefähr. Suchen und Finden ist schließlich auch das Prinzip, dem Probando folgt, und auch diese Machine-Learning-basierte Plattform bedient sich treffsicherer Algorithmen, um passende Matches zwischen Forschenden und Probanden zu ermöglichen.

Der zu Beginn 2023 neu gelaunchte Studien-Marktplatz ist einfach zu bedienen. „Wir machen nichts anderes, als entsprechende Studien auf unserer Plattform in einfachen Worten darzulegen“, erklärt Ruhri. Die einfache Verständlichkeit ist ein entscheidender Clou, zeichnen sich wissenschaftliche Studienprotokolle doch durch maximale Komplexität, großen Umfang und nur für Experten verständliche Formulierungen aus. Aktuell ist beispielsweise eine Studie im Auftrag von Bayer auf Probando zu finden, wo es heißt: „Hitzewallungen aufgrund einer Anti-Hormontherapie? Gesucht werden Frauen mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs oder diesbezüglich hohem Erkrankungsrisiko, die aufgrund der Krebstherapie (Anti-Hormontherapie) an Hitzewallungen leiden.“ Knapp werden die Eckdaten der Studie – wie Zeitaufwand, Ort, Aufwandsentschädigung, Haupteinschluss- sowie Ausschlusskriterien genannt und mit einem Klick auf den Button „Für diese Studie bewerben“, können Frauen, deren Profil dazu passt, ebendies tun.

Die Studien selbst werden über Social-Media-Kanäle genauso beworben, wie – je nach Indikation – in Wartezimmern von Ärzten oder auch bei Selbsthilfegruppen. Die derart adressierten Probanden lassen sich in drei Gruppen unterteilen. „Zur ersten zählen Patienten, die an einer Verbesserung ihrer Lebenssituation oder an einem neuen Therapieansatz interessiert sind“, erklärt Garcia. Die zweite Gruppe hat ein monetäres Interesse an der Teilnahme – etwa durch die dafür gebotene Aufwandsentschädigung oder die Möglichkeit, neue Produkte testen zu können. Als dritte Gruppe wurden jene Menschen identifiziert, deren Motivation altruistischerer Natur ist, weil sie die Forschung beziehungsweise den Fortschritt unterstützen wollen.

Der Start verlief fulminant. Im ersten Jahr registrierten sich über 20.000 Probanden auf der Plattform, über die allein in diesem Zeitraum rund 70 Studien abgewickelt werden konnten. Sie nutzten für ihre Anmeldung hauptsächlich Social-Media-Kanäle. Der Trend ist ungebrochen – und das weltweit. „Wir sind ein rein digitales Produkt. Das macht es möglich, von Graz aus weltweit Studien abzuwickeln“, betont Ruhri die Vorteile der Digitalisierung, die das Start-up auszureizen versteht. Grundvoraussetzung ist, die jeweilige Landessprache auf der Plattform abdecken zu können. 19 Sprachen stehen derzeit zur Auswahl und mittels Geotagging werden automatisch jene Studien gefiltert, die für die Probanden geografisch infrage kommen, wobei die Länderauswahl Europa genauso umfasst wie die USA, Kanada oder Israel.

Match-Beginn. Manuel Leal Garcia (li) und Matthias Ruhri nutzen die
Kommunikationsstärke digitaler Medien, um geeignete Testpersonen für Forschungsvorhaben zu mobilisieren.

Nicht überall das gleiche Interesse

Noch ist die Suche nach Probanden und die Teilnahme an Studien stark standortabhängig, doch öffnet Probando ein Tor für neue Möglichkeiten. Für sogenannte multizentrische, also an mehreren Standorten durchgeführte Studien, bietet Probando das dafür nötige Netzwerk und auch für den großen Zukunftstrend der dezentralisierten klinischen Studien (Decentralized Clinical Trial – DCT) ist die Plattform schon gerüstet. Dabei geht es darum, die Studie nach einem bestimmten Protokoll beim Studienteilnehmer zu Hause durchzuführen. Ähnlich wie bei den Corona-Testkits werden die Studien-Kits nach Abwicklung an das Studienzentrum geschickt, wo die Daten ausgewertet werden. „Da geht die Reise hin“, ist Ruhri vom Potenzial dieser Dezentralisierung überzeugt, die durch die Digitalisierung befeuert wird und nicht nur Kosten spart, sondern auch den Aufwand der Teilnehmer minimiert.

Das Probando-Team hat die Digitalisierung der gesamten Studienabläufe im Blick, denkt an allen Ecken über Prozessoptimierungen nach und hat vor Kurzem erst „Probando Pay“ präsentiert, ein Bezahlsystem, mit dem Aufwandsentschädigungen der Studienteilnehmer über die Plattform und unter Einhaltung aller dafür nötigen Regularien abgewickelt werden können.

Programmiert wird inhouse, also in Graz, wo insgesamt 22 Mitarbeiter beschäftigt sind, sieben davon im Developer-Team. „Wir wachsen stetig“, stellt Garcia zur Dynamik im Team aber auch zu den Kunden sowie den auf der Plattform registrierten Teilnehmern fest – und der Geschäftsführer betont: „Wir sind sehr transparent in der Kommunikation, das heißt, die Teilnehmer wissen genau, worauf sie sich einlassen und alle Studien sind von einer Ethikkommission genehmigt.“

Die Seriosität der Studien ist genauso ein Knackpunkt wie der Schutz der Teilnehmer-Daten. Das Matchmaking selbst passiert bei Probando, doch die dafür nötigen, in der Probando-Datenbank gespeicherten Parameter werden nicht an Dritte weitergegeben. Kunden beziehungsweise Studienzentren bekommen lediglich die Namen und Kontaktdaten der potenziellen Probanden. „Wir vernetzen nur die Teilnehmer mit den Studienzentren oder Forschern, die dann aufgrund ihrer weiteren Erhebungen die Probanden in ihre Studie ein- oder sie davon ausschließen“, sagt Ruhri. Das Wort „nur“ darf als Understatement verstanden werden, steckt in der Vernetzung doch die Disruption, die Neues möglich und den schwarzen Brettern den Garaus macht. 

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