Neues KI-Labor für präzisere Verlaufsprognosen bei Krebs

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Autor: Michael Krassnitzer

An einer neuen Forschungseinrichtung in Wien werden mithilfe Künstlicher Intelligenz Vorhersagemodelle für die Diagnose und Behandlung von Lungenkrebs entwickelt.

An der MedUni Wien wurde soeben eine neue Forschungseinrichtung eröffnet, an der mithilfe Künstlicher Intelligenz verbesserte Vorhersagemodelle für Lungenkrebs und dessen personalisierte Behandlung entwickelt werden sollen: das Christian Doppler Labor für Maschinelles Lernen zur Präzisionsbildgebung. Im neuen CD-Labor werden radiologische und pathologische Bilder sowie molekulare Daten von Lungenkrebs-Patienten mithilfe neuester Methoden des Maschinellen Lernens („Machine Learning“) verknüpft. Maschinelles Lernen ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, bei dem ein Algorithmus anhand von Beispielen selbstständig Muster erkennt und gleichsam aus Erfahrung Wissen generiert. Auf diese Weise sollen präzise Vorhersagemodelle für die Diagnose und Behandlung von Lungenkrebs erforscht und entwickelt werden, die auf einzelne Patienten individuell zugeschnitten werden können.

Besser als das Wetter. Im neuen Christian Doppler Labor werden radiologische Bilder von Lungenkrebs-Patienten mit der Methode des Maschinellen Lernens miteinander verknüpft. Krankheitsverlauf und Therapieerfolg sollen so präziser vorhergesagt werden.

Muster zur Vorhersage

Auf welche Therapie wird ein Lungenkrebs-Patient ansprechen? Auf welche Therapie wird er nicht ansprechen? Funktioniert eine laufende Therapie? Oder beginnt sie, ihre Wirksamkeit zu verlieren? Das sind die Fragen, auf die das Vorhersagemodell die richtigen Antworten finden soll. Doch das Modell soll nicht die Tätigkeit der Radiologen automatisieren, sondern unterstützen – und vor allem neue Muster und Zusammenhänge erkennen, wie Georg Langs, Professor für Machine Learning in Medical Imag­ing an der MedUni Wien und einer der beiden Leiter des CD-Labors für Maschinelles Lernen zur Präzisionsbildgebung, betont: „Es reicht nicht aus, Maschinelles Lernen zur Automatisierung zu nutzen.“ Das würde bereits seit Längerem gemacht. „Der wichtigste Beitrag von Maschinellem Lernen wird sein, uns zu helfen, etwas Neues zu entdecken.“

Dabei geht es zunächst um neuartige Möglichkeiten zur Beschreibung einer Pathologie. Bei bestimmten Formen von krankem Lungengewebe wie der Lungenfibrose verwenden die Radiologen Begriffe wie „Milchglas“ oder „Honigwabe“. „Es gibt aber auch andere, noch namenlose Muster mit Vorhersagekraft“, weiß Langs. Den Zusammenhang zwischen einem solchen Muster und einer medizinischen Diagnose herzustellen, ist eines der Ziele seines CD-Labors. Vor allem aber sollen neue Zusammenhänge zwischen radiologischen Daten – in erster Linie Computertomographie, aber auch Magnetresonanztomographie – sowie mikroskopischen Bildern des Tumorgewebes und Biomarkern gefunden werden. „Vielleicht kommen wir sogar so weit, auf Basis dieser neuen Zusammenhänge zur Entwicklung neuer Therapien beitragen zu können“, sagt der Machine-Learning-Spezialist, der zwei Jahre lang als Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gearbeitet hat.

Black Box erhellen

Durch das Aufzeigen von Zusammenhängen wird ein Problem von vorneherein umschifft, das stets im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz aufpoppt: das Black-Box-Problem. Damit ist gemeint, dass selbst für die Entwickler eines Algorithmus oft nicht erkennbar ist, auf welche Art und Weise dieser zu seinen Aussagen kommt. In der Radiologie wurden schon selbstlernende Algorithmen dabei ertappt, dass sie gar nicht die vorgegebenen CT-Bilder betrachtet haben, sondern ihre Aussagen anhand von schriftlichen Anmerkungen am Rande des Bildes getroffen haben. Der nun in Wien zu entwickelnde Algorithmus ist darauf programmiert, explizit jene Muster oder jene biologischen Merkmale zu nennen, auf denen seine Vorhersage beruht.

Auch ein anderes Problem von selbstlernenden Algorithmen steht von Anfang an im Fokus: Die Modelle neigen zur Vergesslichkeit. Wenn neue Technologien auf den Plan treten – zum Beispiel eine verbesserte CT-Methode – und die Modelle damit trainiert werden, dann verlieren sie zunehmend die Fertigkeit, die älteren Bilder korrekt zu analysieren. Das ist alles andere als optimal für ein Programm, das die klinische Routine unterstützen soll, weil nicht jede Klinik die neuesten Scanner hat. Das Vorhersagemodell des Wiener CD-Labors soll so konstruiert sein, dass es mit neuesten Bildern arbeiten kann – etwa Photon-Counting-CT –, aber genauso gut mit herkömmlichen Bildern, die mit einem älteren CT-Scanner aufgenommen wurden.

Forschen und anwenden. Der Mathematiker Georg Langs (Bild) repräsentiert die Hälfte des neuen Institutsvorstandes. Mit Helmut Prosch komplettiert ein aktiver Radiologe das Leitungsteam. Dadurch soll der Wissenstransfer vom Institut in den klinischen Alltag beschleunigt werden.

Therapieerfolg verbessern

„Die zukünftigen Ergebnisse unseres Projekts werden wichtige Beiträge dazu leisten, den individuellen Therapieerfolg bei Lungenkrebs zu verbessern“, ist Langs überzeugt. Zugleich wird aber auch die Basis für Methoden geschaffen, die nicht nur Lungenkrebs-Patienten, sondern auch Betroffenen anderer Krebserkrankungen zugutekommen. Bei Brustkrebs etwa oder bei Gehirntumoren sind vergleichbare Modelle denkbar. Tatsächlich stammen gewisse Vorarbeiten für das auf sieben Jahre anberaumte Forschungsprojekt aus diesen beiden Feldern.

Das neue CD-Labor ist auf dem weiten Gelände der MedUni im Anna Spiegel Forschungsgebäude untergebracht, das auch als „Center of Translational Research“ bezeichnet wird. Translation bedeutet, dass neueste Forschungsergebnisse ohne Umwege sofort in die klinische Anwendung überführt werden – ein Ansatz, den sich die MedUni Wien auf die Fahnen geheftet hat. Auch für den Leiter des CD-Labors ist Translation ein zentraler Pfeiler: „Wir machen nicht zuerst vier Jahre Grundlagenforschung und dann drei Jahre Überführung in die Praxis, sondern die Medizin ist von Beginn an dabei“, erläutert Langs. Aus diesem Grund hat das CD-Labor auch einen zweiten Leiter, nämlich den stellvertretenden Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Radiologie und Kinderradiologie der MedUni Wien, Helmut Prosch. Diese für CD-Labore ungewöhnliche Führungsstruktur soll sicherstellen, dass die Translation von der Forschung in die Klinik möglichst reibungslos stattfindet.

Recht und Ethik

Auch rechtliche und ethische Fragen sind von Anfang an Thema. Forscher im Team von Nikolaus Forgó, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Wien, zum Beispiel beschäftigen sich mit Risiko und Haftung sowie mit der Frage, was es für Patienten bedeutet, wenn auf Basis ihrer Daten andere Patienten behandelt oder neue Therapien entwickelt werden. Langs: „All das muss von Anfang an mitgedacht werden.“ 

CHRISTIAN DOPPLER LABOR

Christian Doppler Labors sind wissenschaftliche Forschungsinstitute, die an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen eingerichtet sind. Sie werden jeweils zur Hälfte durch die Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG) und Unternehmenspartner finanziert. Die CDG gilt in Österreich als Wegbereiterin für erfolgreiche Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie fördert anwendungsorientierte Grundlagenforschung und ermöglicht Unternehmen einen effektiven Zugang zu neuem Wissen. Die von der CDG geförderte Form der Kooperation sieht in der Praxis meist so aus: Eine Forschungsgruppe erarbeitet Grundlagenwissen, das beim Unternehmenspartner in die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren fließt. Dabei erfolgt ein reger Wissens-, Erfahrungs- und Fragenaustausch zwischen den Partnern. CD-Labors öffnen den Kooperationspartnern das Tor zu gemeinsamer anwendungsorientierter Grundlagenforschung mit beiderseitigem Nutzen für Unternehmen und Wissenschaft.

Quelle und Link:

Information der MedUni Wien

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