Technische Höhenflüge der Radiotherapie

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Autor: Michael Krassnitzer

Das Fachgebiet der Radiotherapie hat enorme Fortschritte gemacht. Die Entwicklung ist an Österreich vorbeigegangen.

Die Strahlentherapie – auch Radiotherapie genannt – ist neben chirurgischen Eingriffen und Chemotherapie eine der drei zentralen Säulen der Krebstherapie. Bei der Strahlentherapie werden die Krebszellen mithilfe ionisierender Strahlung oder Teilchenstrahlung zerstört. In einem sogenannten Linearbeschleuniger werden Röntgenstrahlen, Gammastrahlen oder Elektronenstrahlen erzeugt und gezielt auf die Krebszellen abgefeuert. Die Strahlen entfalten ihre Wirkung ausschließlich im definierten Bestrahlungsfeld – das gesunde Gewebe rundum oder in der Nähe liegende lebenswichtige Organe bleiben verschont.

„Die Strahlentherapie ist eine günstige Methode zur Behandlung von Tumoren“, bekräftigt Johann Feichtinger, stellvertretender Leiter der Abteilung für Radioonkologie am Ordensklinikum Barmherzige Schwestern in Linz: „Die Geräte selbst sind zwar in der Anschaffung teuer, aber man kann damit viele Menschen in kurzer Zeit behandeln.“ Auch systemische Therapien sind nicht gerade billig: Eine Chemotherapie kommt auf einen fünfstelligen Euro-Betrag monatlich. Ganz zu schweigen von den modernen zielgerichteten Therapien und Immuntherapien. Mit einem Linearbeschleuniger hingegen lassen sich bis zu 40 Patienten pro Tag mit Radiostrahlen behandeln.

Schmalkost. Der Einsatz neuer Strahlentherapien verkürzt die Behandlungszeiten von Krebspatienten von einst 40 auf heute fünf Sitzungen. Dennoch liegt Österreich beim Einsatz moderner Geräte deutlich hinter den Ländern Skandinaviens oder Deutschland.

Untersuchungszeit reduziert

Moderne radioonkologische Geräte sind deutlich schneller und präziser als noch vor einigen Jahren. Den aktuellen Stand der Technik konnte man Mitte Mai auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Strahlentherapie und Onkologie 2023 (ESTRO 2023) in Wien bestaunen.

Bei dem auf dem Kongress präsentierten hochmodernen Strahlentherapiesystem TrueBeam zum Beispiel konnte die Untersuchungszeit von insgesamt 40 Minuten auf eine Viertelstunde reduziert werden. Damit können nun deutlich mehr Patienten pro Tag behandelt werden. „Dass man früher nicht so viele Patienten pro Tag behandeln konnte, war ein Grund dafür, dass manche radioonkologische Abteilungen diese Technologie nicht implementiert haben“, erklärt Vincent Lengkeek, Senior Product Marketing Manager von Varian, dem Hersteller des Systems. „TrueBeam ist ein richtiges Arbeitstier“, berichtet Feichtinger, der das Gerät an seiner Abteilung in Linz verwendet. Es ist auch vielfältig einsetzbar – von therapeutischen Hochpräzisions-Bestrahlungen bis zu Palliativbestrahlungen, mit denen tumorbedingte Symptome verbessert oder gelindert werden.

Damit die Strahlen exakt die Krebszellen treffen, und nicht umliegendes gesundes Gewebe oder wichtige Organe, findet eine radioonkologische Bestrahlung unter Bildführung statt. Das heißt: In das Gerät ist auch ein CT-Scanner integriert (meistens; ganz moderne Geräte bieten auch die Möglichkeit einer Bildführung mittels MRT). Mit diesem Scanner werden während der Bestrahlung Bilder gemacht und so überprüft, ob sich die Lage des Zielgebietes oder der umliegenden Organe im Vergleich zu den vorab zur Therapieplanung gemachten CT-Bildern geändert hat. Denn das Körperinnere des Menschen ist in ständiger Bewegung: Die Lage von Organen kann sich von einem Tag auf den anderen ändern. Atmung und Darmbewegungen führen selbst während des kurzen Bestrahlungszeitraums zu Veränderungen im Patienten.

Die Qualität der Bilder jener CT-Scanner, die in Strahlentherapiegeräten eingebaut waren, reichte lange Zeit nicht an die Qualität der Bilder von herkömmlichen diagnostischen CT-Scannern heran. Auch das hat sich geändert. Mithilfe der sogenannten CBCT-Technologie (Cone-Beam-Computertomographie) können während der Strahlentherapie höher aufgelöste, größere Bilder mit besserem Kontrast erzeugt werden – und das zehnmal schneller als bei herkömmlichen in Linearbeschleunigern integrierten Bildgebungssystemen. Die Qualität, Präzision und Geschwindigkeit von HyperSight – so der Name des entsprechenden auf dem ESTRO 2023 präsentierten Systems – erlaubt es dem behandelnden Personal, während der täglichen Bestrahlung Bilder aufzunehmen, die zur Neuplanung und Anpassung noch während der laufenden Bestrahlungssitzung eingesetzt werden können.

Negative Ausstrahlung. Der Linzer Radioonkologe Johann Feichtinger fürchtet um die Attraktivität seines Standes. Junge Kolleginnen und Kollegen würden dort hingehen, wo sie mit modernem Equipment arbeiten können. In Österreich sei dies nicht der Fall.

Die Behandler können quasi live mitanschauen, wie es gerade im Inneren des Patienten aussieht, und den Teilchen- bzw. ionisierenden Strahl entsprechend ausrichten. Mittels sogenanntem Online-Tracking können sie auch die aktuelle Position des Strahls verfolgen. Bei einer Bestrahlung der Prostata etwa werden Goldmarker – wenige Millimeter große Spiralen aus Gold – als Orientierungspunkte in die Prostata implantiert. Dann werden je eine CT-Aufnahme von der Seite und eine CT-Aufnahme von vorne gemacht und diese Bilder mit den CT-Bildern aus der Therapieplanung überlagert. Eine zusätzliche Sicherheit für die Behandler: Sobald der Strahl aufgrund von Patientenbewegungen nicht mehr das definierte Zielgebiet trifft, unterbricht das Gerät die Bestrahlung sofort. „Das sind Riesenfortschritte“, schwärmt Feichtinger.

„Allein aufgrund der kürzeren Aufnahmezeit entstehen weniger Artefakte“, erzählt der Strahlentherapeut aus der Praxis. Artefakte sind auf radiologischen Bildern sichtbare Strukturen, die nicht real sind oder am falschen Ort zu sein scheinen, und entstehen unter anderem aufgrund von Bewegungen des Patienten oder Bewegungen der Organe im Patienten. „Je schneller die Geräte bei der Aufnahme von Bildern werden, desto besser wird auch die Bildqualität“, resümiert der Strahlentherapeut. Und je höher die Bildqualität, desto größer die Präzision.

Aufgrund dieser höheren Präzision hat sich auch die Gesamtdauer einer Strahlentherapie deutlich verkürzt. Vor 20 Jahren war die Radiotherapie eines Prostatakarzinoms oder eines Mammakarzinoms auf fast 40 Sitzungen aufgeteilt und ging daher über sieben Wochen. Heute werden solche Tumoren in fünf Sitzungen behandelt. Die Therapie dauert gerade einmal eine Woche.

Eindruck der Unterversorgung

Der technische Fortschritt hat in Österreich bislang zu keinem Ausbau der Strahlentherapie geführt. Derzeit sind zwischen Bodensee und Neusiedlersee 52 Strahlentherapiesysteme installiert. Die Sollzahl aus dem Strukturgeräteplan 2025 liegt deutlich höher. In diesem Plan ist ein Richtwert von 6,7 bis 7,7 Linearbeschleunigern/Strahlentherapiesystemen pro einer Million Einwohner festgeschrieben. Entsprechend diesen Vorgaben müssten in Österreich eigentlich 60 bis 70 Geräte zur Verfügung stehen. „Es entsteht leider der Eindruck, dass in Österreich eine Unterversorgung bei der Strahlentherapie herrscht“, meint Feichtinger. Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigen diesen Eindruck. Im Jahr 2013 standen in Österreich einer Million Einwohnern 5,41 Strahlentherapiegeräte zur Verfügung. Zum Vergleich: In Dänemark kamen auf eine Million Einwohner 9,61 Geräte. In Norwegen waren es 7,93, in Finnland 7,37, in den Niederlanden waren es 7,22. Im Nachbarland Deutschland kamen auf eine Million Einwohner statistisch 6,21 Strahlentherapiegeräte.

Die Unterversorgung hat Auswirkungen auf den Nachwuchs. „Die jungen Strahlentherapeuten gehen dorthin, wo die Ausstattung gut ist“, weiß Feichtinger, der selbst einige Jahre im Ausland gearbeitet hat. Ein Umstand, der den ohnehin bereits massiven Ärztemangel in Österreich weiter befeuern könnte. 

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