SCOR-Modell: Neues Management-Tool macht Klinik-Logistik effizienter

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Karin Messer-Misak und Michael Kazianschütz

Das SCOR-Modell ist ein Tool zur Standardisierung, Analyse und Messung der Leistung von Lieferketten. Es macht Lücken in der Supply Chain eines Krankenhauses sichtbar und unterstützt das Management in der Steuerung der Logistikprozesse.

Ein erfolgreiches Management der Ver- und Entsorgungslogistik einer Klinik verlangt nach neuen Wegen. Dazu bedarf es einer aufeinander abgestimmten und transparenten Supply Chain, die eine komplexe Versorgung in einem Krankenhaus erst ermöglicht. Die Vorgabe, operative Exzellenz und schlanke Prozessstrukturen im nicht-klinischen Bereich umzusetzen, erfordert den Einsatz von gezieltem Technologiemanagement. Die Logistiksteuerung mit den Aufgaben der Speisen- und Medikamentenversorgung, der Versorgung der klinischen Einheiten mit Wäsche und Sterilgut sowie sonstigen medizinischen und nicht-medizinischen Ge- und Verbrauchsgütern ist extrem vielschichtig. Dazu müssen Entsorgungsprozesse berücksichtigt werden, die mitunter auch spezielle Kontaminierungen abwickeln müssen. Dies erfordert intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine Abstimmung mit allen klinischen Prozessen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.

Zu berücksichtigen sind die Kompatibilität der teilweise noch verschiedenen Logistik-Systeme, der technologische Fortschritt, steigende Anforderungen an die Verfügbarkeit, verschärfte gesetzliche Vorgaben, sich stetig ändernde Warenvielfalt und fehlende Lagerkapazitäten in den Organisationseinheiten und damit verbundene kleine Sendungsgrößen. Unser Ziel ist es, in der Logistik mit der Umsetzung des SCOR-Modells die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, Ressourcenbindung zu steuern und das Qualitätsniveau zu erhöhen.

Logistikleistung messbar machen. Das SCOR-Modell wurde entwickelt, um eine standardisierte Methode zur Bewertung und Verbesserung von Lieferkettenabläufen bereitzustellen. Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit, Servicequalität und Logistikkosten werden steuerbar.

Das SCOR-Modell im Einsatz

Das SCOR-Modell ist ein Prozessreferenzmodell (vgl. Harrison/Hoek 2005, 81 ff; Becker 2002, 66 ff), das vom Supply Chain Council entwickelt wurde, um eine standardisierte Methode zur Bewertung und Verbesserung von Lieferkettenabläufen bereitzustellen. Damit soll eine optimale Verfügbarkeit erreicht werden, die sich u.a. durch kurze Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit bei einer hohen Liefer-/Produkt- und Servicequalität sowie niedrigen Logistikkosten definiert. Die Kosten inkludieren Bestands-, Lager- und Transportkosten. Im Vordergrund des SCOR-Modells steht die Standardisierung, Analyse und Messung der Leistung von Lieferketten. So sollen Lücken in Lieferkettenprozessen und -leistungen erkennbar gemacht werden, Strategien zur Verbesserung der Abläufe entwickelt und umgesetzt werden. Das Modell basiert auf fünf Komponenten: Strategie, Kunden, Prozesse, Partner und Leistung. Darüber hinaus nutzt das SCOR-Modell auch eine Reihe von Leistungskennzahlen, um die Effektivität der Lieferkettenabläufe zu messen. Zu diesen Kennzahlen gehören Zykluszeit, Stückkosten, Qualität und Produktivität. Durch die Messung der Leistung der Lieferkette anhand dieser Kennzahlen können wir fundierte Entscheidungen darüber treffen, wie wir unsere Abläufe am besten verbessern und letztlich eine effizientere und rentablere Lieferkette erreichen können.

Umsetzung in der Praxis – Voraussetzungen

Wie durch die Umsetzung des SCOR-Modells die Technologiestärke im Logistikbereich gesteigert wurde, welche Voraussetzungen und Umsetzungsschritte hierfür erforderlich waren und welche Vorteile sich daraus ergeben, wird am Beispiel des LKH-Univ. Klinikums Graz, Österreich beschrieben.

Das LKH-Univ. Klinikum Graz, errichtet 1912, ist flächenmäßig eines der größten Krankenhäuser Europas. Im Jahr 2020 wurden rund 1 Mio. ambulante Behandlungen und 500.000 stationäre Behandlungen durchgeführt.

Das Versorgungsvolumen der Kliniken entspricht einer Kleinstadt mit rund 5.000 Einwohnern. So werden pro Werktag rund 1.600 Patientenfahrten durchgeführt und weitere rund 1.400 Fahrten täglich im Logistiktunnel absolviert. Jeden Tag kocht die Spitalsküche 3.800 Mittagessen, 3.840 Tonnen Abfall müssen entsprechend der strengen Auflagen sachgerecht entsorgt werden (vgl. Landeskrankenhaus Universitätsklinikum Graz, 2020).

Wesentliche Aspekte der Implementierung waren

– die Aufnahme bestehender Materialflüsse: die Erhebung bzw. graphische Darstellung als Basis für Leistungsanalysen bestehender Materialflüsse. Durch ein entsprechendes Reporting und Monitoring werden Optimierungspotenziale transparent
– die Identifikation von Verbesserungspotenzialen: Im Rahmen der Modellierung der Prozesse fand bereits in vielen Bereichen eine Optimierung der bestehenden Prozesse statt
– die Gestaltung zukünftiger Materialflüsse: Ideen für künftige SOLL-Prozesse wurden – sofern notwendig – entsprechend vermerkt
– die Gestaltung von Informationsflüssen: Durch das Vorhaben, Prozesse zu verknüpfen (Referenzierung), werden Schnittstellen und Informationsflüsse sichtbar
– die Berücksichtigung des Faktors „Mensch“: Die Thematik des „human factor“ war von Beginn an essenziell und wurde in der Visualisierung stets hinterfragt. Insbesondere die Möglichkeit zur Vermeidung von Fehlern (nicht nur durch technische Maßnahmen) vor allem durch die Stärkung der Eigenverantwortung wurde in Kernbereichen der Supply Chain forciert (u.a. durch die selbsttätige Generierung von Transport­aufträgen in der Transportlogistik anstelle automatisierter Disposition).

Beschreibung der Umsetzung

Vorerst war es erforderlich, die transparente Darstellung und Analyse der Lieferketten und der logistischen Kernprozesse („supply chains“) durchzuführen, welche zur Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebes unabdingbar sind. Um zukünftige strategische Planungen und Entscheidungen besser treffen zu können, wurden Teilkonzepte erarbeitet, welche schrittweise umgesetzt wurden. Die logistischen Prozesse wurden im Sinne des klassischen P-D-C-A-Zyklus kontinuierlich evaluiert bzw. gegebenenfalls optimiert.

Auf dieser Basis wurden fünf Teilkonzepte schrittweise umgesetzt:

– Im Teilkonzept A wurden alle Aspekte der Spontan- und Routineanlieferungen sowie die Zuteilung geregelt. Erforderlich war die Koordination der Aufgaben und Rollen, um dies geordnet und digitalisiert erfassbar umzusetzen. Die Ausarbeitung eines ganzheitlichen IT-Konzeptes war erforderlich.
– Das zweite Teilkonzept B befasste sich primär mit den fünf Gütergruppen: Speisen, Materialwirtschaftsgüter, Apothekenware (inklusive tägliche Nachlieferung und Kühlware), Sterilisationsgüter und Wäsche. Die Abläufe konnten standardisiert werden und werden nunmehr immer nach demselben Schema ausgeführt, sodass die Versorgungssicherheit wesentlich erhöht wurde.
– Im dritten Teilkonzept C wurden die Steuerungsverfahren für die Versorgungsassistenz auf den Stationen umgesetzt. Eine Reduktion der Materialbestände und somit die mögliche Gefahr, dass Güter ein Ablaufdatum überschreiten, wurde realisiert.
– Das vierte Teilkonzept D beinhaltet die elektronische Güteranforderung und Genehmigung. Ein hoher Integrationsgrad der angestrebten Lösung, ein lückenloses Beschaffungscontrolling von der Stationsanforderung bis zur Bezahlung der Rechnung in einem durchgängigen und integrierten System, wurde dadurch ermöglicht.
– Das Teilkonzept E beinhaltet ein Konzept für Notfallszenarien. Präventiv werden mögliche Maßnahmen, die vorbereitend als auch bei einer eintretenden Notsituation umzusetzen sind, festgelegt. Katastrophen- und Alarmpläne (z.B. Aufrechterhaltung der Speisenversorgung), diverse SOPs (z.B. beim Ausfall von Aufzügen) oder Betriebsanweisungen sind ausgearbeitet und getestet worden.

Vorteil durch technologische Stärke

Durch die Umstellung auf unten angeführte, vernetzte Technologien und die schrittweise Realisierung der einzelnen Teilkonzepte konnten direkte Verbesserungen im operativen Handling umgesetzt werden. Konkret wurden technologisch folgende Anpassungen realisiert:

– Mobile Geräte unterstützen alle lagerinternen Warenbewegungen und sorgen für weniger Datenerfassungsfehler sowie höhere Prozessgeschwindigkeit
– Durch dynamische Lagerführung können optimierte Lagerflächen und kürzere Kommissionier-Wege realisiert werden
– Flexible Transportverfolgung inkl. Monitoring im SAP-System bzw. im Transportleitsystem (TLS) sorgt für mehr Transparenz in den Prozessabläufen
– Die Integration eines Transportleitsystems (LOGBUCH) sorgt für einen höheren Automatisierungsgrad und beschleunigt die Abläufe
– Das SAP-System liefert die Dokumentation, welche für die Apotheke hinsichtlich der Transportdauer erforderlich ist (vgl. §66a ABO Apothekenbetriebsordnung)
– Mobile Behälterkommissionierung
– Mobile Behälterkonsolidierung
– Mobiler Wareneingang
– Indirekte Durchläufer-Abwicklung
– Integration vollautomatischer Kommissionier-Automat
– Transportwagenkonsolidierung
– Adressdatenpflege
– Transportverfolgung
– Integration des Transportleitsystems LOGBUCH

Durch die Implementierung von aktuellen Technologien wurden sowohl auf operativer als auch auf strategischer Ebene Verbesserungen erzielt. Auf operativer Ebene ist vor allem eine Vereinfachung der Prozesse, die transparent und nachvollziehbar sind und somit eine reduzierte Ressourcenbindung und verbessertes Leistungsniveau nach sich ziehen, zu nennen. Vor allem wurde die Transparenz und Kommunikation zwischen den verschiedenen Abteilungen und Interessengruppen verbessert. Auf strategischer Ebene wurde dadurch direkt das Qualitätsniveau erhöht und die Kundenakzeptanz konnte verbessert werden. Indirekt können so zusätzliche Kosteneinsparungen verzeichnet werden.

Insbesondere Krankenhäuser stehen in der Verantwortung, Nutzwerte für Patienten, Angehörige, Krankenkassen und Mitarbeiter zu generieren sowie einen konkreten Mehrwert für die Kapitalgeber zu schaffen. Um solche Konzepte erfolgreich umzusetzen, ist es notwendig, technologische Fortschritte bestmöglich anzuwenden, wobei die Kosten von Technologieinvestitionen zu berücksichtigen sind; diese müssen in ein umfassendes Management-Konzept eingebunden sein, das alle Krankenhausprozesse umfasst.  

Autorenteam:

Mag. Dr. Karin Messer-Misak, Bw. (VWA)
Fr. Mag. Dr. Karin Messer-Misak ist seit über 15 Jahren als Vortragende in Universitäten und der Fachhochschule Joanneum Graz tätig. Sie leitet eine Einrichtung im Gesundheitssystem mit über 300 Betreuungskräften und publiziert regelmäßig in renommierten Fachzeitschriften über neue Entwicklungen im Gesundheitssystem.

Dipl. KHBW Michael Kazianschütz,
MBA, MSc

Der diplomierte Krankenhausbetriebswirt und Logistikmanager ist seit 2002 am LKH-Univ. Klinikum Graz beschäftigt. Von 2014 bis 2018 leitete er die Stabsstelle Logistik und ab 2019 die Bereichsleitung Logistik/Supply-Chain-Management (SCM). Seit Juni 2023 ist er Bereichsleiter Wirtschaft/Logistik und Leiter der Stabsstelle Supply-Chain-Management (rund 650 Mitarbeiter).

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