Demografie und wechselnde politische wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen zwingen Gesundheitseinrichtungen, sich in ihrer Ausrichtung anzupassen. Strategisches Risikomanagement sichert die Umsetzung der neuen Unternehmensziele ab.
Technologische Veränderungen, finanzielle Engpässe, verschärfter Mitbewerb, gesetzliche Vorgaben: Gesundheitseinrichtungen stehen vor einer Vielzahl von Risiken. Im derzeitigen Transformationszeitalter sind Gesundheitseinrichtungen gezwungen, ihre traditionellen Geschäftsmodelle zu überdenken und innovative Ansätze zu entwickeln. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat 2023 eine repräsentative Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) mit düsteren Ergebnissen veröffentlicht: Die wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhäuser ist so schlecht wie nie zuvor und für das Jahr 2024 wird ein Insolvenzrekord erwartet. Fast 80 Prozent der befragten Krankenhäuser prognostizierten für 2023 ein negatives Jahresergebnis. Diese Entwicklungen stehen nicht nur für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, sondern auch für eine zunehmende Konfrontation mit sich rasant verändernden Rahmenbedingungen und Herausforderungen sowie sich verändernden Strategien im Gesundheitswesen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ab 2026 in Form der Critical Entities Resilience Directive (CER) rechtliche Anforderungen der EU zum Schutz kritischer Infrastrukturen (darunter auch Krankenhäuser) verpflichtend werden. Daraus ergeben sich zwangsläufig höhere Anforderungen an Risikomanagementsysteme, die über das klinische Risikomanagement hinausgehen.
Schutzhand. Demografie, Klimawandel, Reformen, Budgetknappheit – viele Gesundheitseinrichtungen müssen ihre strategische Ausrichtung den geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Die damit zusammenhängenden Gefahren verlangen nach langfristigem Management.
Definition von strategischen Risiken
Der Begriff der strategischen Risiken im Gesundheitswesen ist mehrschichtig. Die American Society for Health Care Risk Management (ASHRM) definiert strategische Risiken als Risiken, die mit der Ausrichtung und Strategie der Organisation im Gesundheitswesen zusammenhängen. Aufgrund der sich rasch verändernden Rahmenbedingungen können Unsicherheiten in diesem Bereich zu Schwankungen führen und Faktoren wie Wettbewerb, Unfähigkeit zur Anpassung an veränderte Umstände, Gesundheitsreformen oder Kunden-/Patientenpräferenzen umfassen. Zusammenschlüsse, Marketingstrategien, Fusionen, Übernahmen, Veräußerungen und Kooperationen werden häufig als strategische Risiken identifiziert (ASHRM, 2014). Das größte strategische Risiko für eine Gesundheitseinrichtung besteht jedoch darin, dass für ein professionelles Risikomanagement keine notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sind.
Unverzichtbarer Bestandteil der Unternehmensführung
Das Hauptziel des strategischen Risikomanagements (SRM) ist es, die Umsetzung der strategischen Ziele eines Unternehmens trotz potenzieller Risiken sicherzustellen bzw. positiv zu beeinflussen. SRM erfordert eine nahtlose Integration in die strategischen Planungs- und Führungsprozesse eines Unternehmens oder Krankenhauses sowie die aktive Einbindung der obersten Führungsebene. SRM ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Unternehmensführung und konzentriert sich auf die Identifizierung, Bewertung und Reduzierung von Risiken, die die strategische Entwicklung und den langfristigen Unternehmenserfolg beeinträchtigen können.
Aktueller denn je müssen im Zeitalter der Transformation im Gesundheitswesen Gesundheitseinrichtungen sicherstellen, dass RM nicht als reine Supportfunktion, als CIRS („Critical Incident Reporting System“)- oder Dokumentenverwaltungsorgan gesehen wird, sondern als zentraler Bestandteil der strategischen Planungs- und Führungsprozesse. Bereits in den 1980er-Jahren wurde erkannt, dass neben dem operativen RM auch mittel- und langfristige Risiken proaktiv gemanagt werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Wandern auf Graten. Das Erreichen strategischer Ziele verlangt nach einer langfristigen Balance zwischen Chancen und Risiken. Sonst wird Veränderung zum Sprung ins seichte Wasser.
Stolpersteine in der Praxis
Eine branchenübergreifende Risikomanagement-Benchmarkstudie von Deloitte aus dem Jahr 2023, die auch Krankenhäuser umfasste, hat aufgezeigt, dass RM in vielen Unternehmen hauptsächlich zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen genutzt wird. Es ist problematisch, dass nur 35 % der Unternehmen Risikomanagement bzw. ein Risikomanagementsystem als Instrument der Unternehmenssteuerung verwenden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Risikomanagement muss stärker in die strategische Unternehmensführung integriert werden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass lediglich 11 % der Risikomanager*innen als Business-Partner wahrgenommen werden. Die unzureichende Integration des RM in strategische und Entscheidungsprozesse ist hierfür maßgeblich verantwortlich (Deloitte RM-Studie 2023). Hier spielt auch der Aspekt der Kompetenz und des Ausbildungsgrades der Risikomanager*innen eine entscheidende Rolle, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die RM-Ressourcenausstattung fast überall unzureichend ist. Eine Studie aus Deutschland aus dem Jahr 2022 hat aufgezeigt, dass 40 % der Leiter*innen von klinischen Risikoteams in deutschen Krankenhäusern keine Risikomanagement-Weiterbildung vorzuweisen haben (KHaSiMiR 21, 2022). Es wäre undenkbar, Geschäftsführer*innen ohne entsprechende Ausbildung in ihren Positionen zu beschäftigen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum für den Bereich des RM, welches das Management der Patientensicherheit sowie der operativen und strategischen Risiken eines Krankenhauses verantwortet, erforderliche Qualifikationen in vielen Fällen nicht vorausgesetzt werden.
Die Praxis in den Gesundheitseinrichtungen zeigt, dass Stabsstellen QM/RM selbst häufig nicht über das notwendige Know-how verfügen, um ein SRM zu konzipieren. Diese Beobachtung unterstreicht den Bedarf der Integration des RM in die strategische Planung. Eine solche Integration, die in hohem Maße von der Initiative der Risikomanager*innen in den Einrichtungen abhängt, ermöglicht durch die Integration des SRM in die strategische Entscheidungsfindung und Planung neben der Zielerreichung auch eine Stärkung der allgemeinen Resilienz der Organisation (Anderson et al., 2020).
Dies deckt sich mit Studien und Erfahrungen, die bestätigen, dass RM im Gesundheitswesen oft operativ und nicht strategisch ausgerichtet ist. Bei Projekten im Gesundheitswesen zeigt sich immer wieder, dass grundlegende Risikobetrachtungen oft nur unzureichend durchgeführt werden. Dies führt häufig dazu, dass Projekte scheitern, sich immer wieder verzögern, was wiederum mit hohem finanziellem Aufwand verbunden sein kann, oder dass z.B. IT-Systeme nach langen Planungsphasen völlig überraschend inkompatibel oder für den geplanten Einsatz ungeeignet sind. Nicht selten werden in der Praxis Risikobetrachtungen und abgeleitete Maßnahmen nur pro forma durchgeführt, um interne QM-Vorgaben zu erfüllen oder Auditor*innen zufrieden zu stellen, anstatt sie als wesentliches Instrument für eine erfolgreiche Projektumsetzung zu nutzen.
Strategisches Risikomanagement als „Enabler“ und Wettbewerbsvorteil
Die Implementierung eines strategischen Risikomanagements im Gesundheitswesen ist jedoch von entscheidender Bedeutung: Nur so können Gesundheitseinrichtungen den vielfältigen Herausforderungen und Unsicherheiten im Gesundheitswesen begegnen. Die Integration von SRM in die strategischen Planungs- und Führungsprozesse ist der entscheidende Faktor für Gesundheitseinrichtungen, Risiken effektiv zu managen und Chancen zu nutzen, um ihre langfristigen Ziele zu erreichen. Die Einbindung von Risikomanagern in Strategiesitzungen, Analysen und Planungen ist unerlässlich. Ein umfassendes SRM sichert die Langlebigkeit von Krankenhäusern und gewährleistet, dass langfristige Ziele erreicht werden (vgl. Hellmann et al. 2020). Ein etwaiges Hinterfragen des konkreten Nutzens eines RM sowie die damit verbundenen Kosten und Ressourcen sollten obsolet sein, wenn man im Gegenzug die weitaus höheren Aufwände kalkuliert, die fehlendes RM mit sich bringt.
Eine Vielzahl internationaler Beispiele, darunter auch aktuelle im deutschsprachigen Raum, zeigen deutlich, welche gravierenden Auswirkungen unerkannte und unvorbereitete strategische Themen und Risiken auf Krankenhäuser oder Krankenhausketten haben – von beträchtlichen finanziellen Einbußen bis hin zur Gefährdung der Existenz. Das Geheimnis des strategischen Risikomanagements liegt in der Betrachtung relevanter, substanzieller Risiken und der Ermöglichung strategischer Ziele und Chancen.
Eine Investition in RM ist daher nicht als Aufwand zu betrachten, sondern vielmehr als eine Grundsatzentscheidung zur Sicherung der langfristigen Stabilität und des Erfolgs der Gesundheitseinrichtung – und vor allem als effektive Maßnahme, um strategische Ziele und Vorhaben zu erreichen.
Das Fehlen von Rahmenbedingungen für SRM ist eine bewusste Führungsentscheidung und spiegelt ganz klar die Risikopositionierung wider. In diesem Kontext drängt sich abschließend die Frage auf, mit welchen Kosten wurde der strategische Risiko-Blindflug eingeschätzt und vor allem, was kostet eine mögliche Bruchlandung.
MMag. Walter Petschnig, MSc
Risk Management Advisor & Auditor
CEO von Saferhealthcare
(Risikoberatung im Gesundheitswesen)
Walter.Petschnig@saferhealthcare.at
Quellen und Links:
American Society for Healthcare Risk Management (ASHRM). (2014). Enterprise Risk Management: A Framework for Success.
Anderson, T. J., & Sax, J. (2020). Strategic Risk Management: A Research Overview. Routledge.
Deloitte. (2023). Risikomanagement-Benchmarkstudie 2023
Deutsche Krankenhausgesellschaft. (2023). DKG zum DKI-Krankenhaus-Barometer – Lage der Krankenhäuser so schlecht wie noch nie
Hellman, W., Ehrenbaum, K., Meyer, F., & Kutschka, I. (2020). Betriebswirtschaftliches Risikomanagement im Krankenhaus: Ein integrativer Bestandteil des Qualitätsmanagements. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
KHaSiMiR 21. (2022). Krankenhausstudie zur Sicherheit durch Management innerklinischer Risiken 2021-22. Bericht 1, Institut für Patientensicherheit, Universitätsklinikum Bonn