Anhand von Daten der in der prä-Pandemie-Ära begonnenen, longitudinal angelegten „UK Biobank“ konnten erstmals zerebrale MRT-Befunde vor und nach COVID-19 bei denselben Personen erhoben und mit einer Kontrollgruppe Nicht-Infizierter verglichen werden. Im Ergebnis zeigte sich bei den zwischenzeitlich SARS-CoV-2-Infizierten ein Rückgang an grauer Substanz im orbitofrontalen Kortex sowie eine Abnahme der Gesamthirnmasse. Bei den Betroffenen verschlechterten sich im Verlauf auch die kognitiven Testergebnisse. Ob diese Veränderungen reversibel sind, ist derzeit noch offen. Eine weitere Studie zeigte eine erhöhte Rate an de novo-Demenzen nach COVID-19 im Vergleich zu anderen Pneumonien.
In der renommierten Zeitschrift Nature wurde nun eine Studie publiziert, die im Rahmen der großen, longitudinalen „UK Biobank Imaging Study“ erstmals zerebrale MRT-Veränderungen bei SARS-CoV-2-infizierten Personen untersuchte, von denen bereits vor der Pandemie ein zerebrales MRT verfügbar war. In der 2006 begonnenen „UK Biobank Imaging Study“ wurden seitdem über 40.000 Menschen (>45 Jahre) in vier Zentren nach standardisierten Protokollen einer multimodalen zerebralen MRT-Untersuchung des Gehirns unterzogen. Die Studie wurde zunächst aufgrund der Pandemie pausiert; ab Februar 2021 wurde dann begonnen, Teilnehmende zu einem weiteren MRT-Scan einzuladen. In der Zwischenzeit hatten viele von ihnen eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht.
Zufallsbefunde ausgeschlossen
Um den potenziellen Einfluss einer SARS-CoV-2-Infektion auf die Gehirnstruktur zu untersuchen, wurden die zwei Scans (vor und nach COVID-19) mit nicht an COVID-19 erkrankten Teilnehmenden verglichen. Die Verfügbarkeit der Bildgebung vor der Infektion minimierte die Wahrscheinlichkeit, dass unbekannte präexistente Risikofaktoren oder Auffälligkeiten später als COVID-bedingt fehlinterpretiert wurden. Auch waren Teilnehmende mit zerebralen Zufallsbefunden im ersten Scan von der Studie ausgeschlossen. Die Gruppen waren umfassend gematcht, d. h. es gab keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ethnizität, mittlerem Blutdruck, Diabetes mellitus, Gewicht/BMI, Alkohol- und Nikotinkonsum oder dem sozioökonomischen Status („Townsend Deprivations-Index“).
Von 785 geeigneten Personen in der Biobank (Alter 51-81) mit jeweils zwei zerebralen MRT-Untersuchungen hatten 401 Personen zwischen den beiden Scans eine SARS-CoV-2-Infektion erlitten, 15 von ihnen waren stationär behandelt worden. Zwischen der Infektionsdiagnose und dem zweiten Scan lagen durchschnittlich 141 Tage. Zur Kontrollgruppe zählten 384 Personen. Das Intervall zwischen den beiden Gehirnscans betrug in beiden Gruppen im Mittel 3,2 ± 1,6 Jahre.
Abnahme der grauen Substanz
Im Ergebnis zeigten sich signifikante longitudinale Effekte bzw. MRT-Veränderungen in der Gruppe der zwischenzeitlich SARS-CoV-2-Infizierten. Dazu gehörten eine Abnahme grauer Substanz und eine Abnahme des Gewebekontrasts im orbitofrontalen Kortex (Hirnrinde im vorderen Bereich über den Augenhöhlen) und im sogenannten parahippocampalen Gyrus (Teil des im Schläfenlappen gelegenen limbischen Systems). Auch zeigten sich Gewebeveränderungen bzw. -schäden in Hirnregionen, die funktionell mit dem primären Riechkortex verbunden sind, sowie eine stärkere Abnahme der Gesamthirnmasse. Die zwischenzeitlich SARS-CoV-2-Infizierten wiesen auch in kognitiven Tests deutlich mehr Verschlechterungen (in der Zeit zwischen den beiden Scans) auf als Nicht-infizierte. Diese longitudinalen Gruppenunterschiede (in Bildgebung und Kognition) blieben auch bestehen, wenn die 15 Teilnehmenden, die wegen COVID-19 hospitalisiert waren, nicht in die Statistik einbezogen wurden.
Der Pathomechanismus SARS-CoV-2-assoziierter Gehirnveränderungen muss nun weiter erforscht werden. Die Forschenden diskutieren eine Verbreitung des Virus über olfaktorisch-neuronale Wege und entzündliche Vorgänge. Auch der Wegfall des sensorisch-olfaktorischen Inputs aufgrund des Verlustes des Geruchssinns (Anosmie) könnte indirekt strukturelle Veränderungen verursacht haben, so die Autorinnen und Autoren der Studie.
„Morphologisches Korrelat“
„Die Daten der UK Biobank zeigen, dass es für die neurologischen Post-COVID-Symptome ein morphologisches Korrelat gibt“, kommentiert Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Ob die in der Bildgebung dokumentierten Veränderungen im Verlauf reversibel sind oder im Sinne einer Neurodegeneration langfristig persistieren, muss nun im Follow-up weiter untersucht werden.“
Eine weitere Studie beschreibt ebenfalls COVID-19-assoziierte funktionelle zerebrale Veränderungen. Hier hatten die über 10.000 Betroffenen allerdings alle eine SARS-CoV-2-Pneumonie mit schwerem Verlauf. Bei 3% entwickelte sich nach >30 Tagen eine neu auftretende Demenz. Das Demenzrisiko nach einer SARS-CoV-2-Pneumonie war in dieser Studie 30% höher (OR 1,3) als bei nicht-COVID-19-assoziierten Pneumonien. Die Definition einer neu aufgetretenen Demenz erfolgte anhand primärer Diagnoseschlüssel nach ICD-10-CM (F01.5, F02.8, F03.9, G30, G31, G32). Betroffene mit dokumentierten präexistenten Demenz-Symptomen oder kognitiven Defiziten waren ausgeschlossen. Komorbiditäten, die das Risiko einer Demenz-Entwicklung erhöhen können, wurden in der Multivarianzanalyse berücksichtigt (z. B. Hypertonie, Drogen-, Nikotin- und Alkoholkonsum, bestimmte neurologische und psychiatrische Erkrankungen).
„Die Daten zeigen, dass das Virus, wenn auch zum Glück nur in seltenen Fällen, auch im Langzeitverlauf zu Veränderungen im Gehirn führen kann. Vor diesem Hintergrund bietet die Impfung nicht nur einen Schutz vor schweren Akutverläufen der Infektion, sondern auch vor Folgeschäden“, so das Fazit des Experten.