Unterschiedlich fallen die Reaktionen zur Kritik des Rechnungshofes (RH) an der türkis-blauen Reform der Sozialversicherungen aus. Während die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) darauf verweist, die Empfehlungen des RH bereits teilweise umgesetzt zu haben, sieht sich Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) in seiner Kritik bestätigt. Erwartbar fielen die Reaktionen der Parteien aus.
„Der Rechnungshofbericht hat heute meine Zweifel an der Ankündigung einer ‚Patientenmilliarde‘ der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung bestätigt. Klar ist: Die Kassenreform hat nicht nur keine Einsparungen gebracht, sondern bisher sogar Mehrkosten verursacht“, stellte Rauch in einer schriftlichen Stellungnahme fest. Als Aufsichtsbehörde prüfe das Sozialministerium sehr genau die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der laufenden Ausgaben der Sozialversicherungsträger. „Mir ist es ein großes Anliegen, vorhandene Einsparungspotenziale zu heben, das System der selbstverwalteten Sozialversicherung zu stärken und eine Gesundheitsversorgung für alle in hoher Qualität zu sichern. Das passiert laufend im ständigen Austausch zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung“, versicherte Rauch. Bei der Vereinheitlichung der Leistungen innerhalb und auch zwischen den Trägern gebe es zwar laufend Fortschritte, „es gibt aber noch einiges zu tun.“
Die ÖGK versicherte in einer Aussendung, dass man die Empfehlungen des Rechnungshofes „sehr ernst“ nehme und seit Übermittlung des Rohberichts bereits jene Vorschläge umgesetzt habe, die im eigenen Wirkungsbereich liegen. So seien im Herbst 2022 weitere Schritte für österreichweit gleiche Leistungen für alle ÖGK-Versicherten gesetzt worden. Beschlossen wurden etwa Gesamtverträge für Hebammen und im Bereich der Augenoptik sowie für Versicherte, die krankheitsbedingt auf eine Perücke angewiesen sind. Auch die RH-Forderung nach einem Kontrollgremium sei von der ÖGK aufgenommen worden. Der neu eingerichtete Prüfungsausschuss der ÖGK habe in den vergangenen Monaten bereits mehrfach getagt. Die gewonnenen Effizienzpotenziale würden bereits jetzt genutzt, das gelinge mit geringerem Personalaufwand als vor der Fusion – trotz Zuwachs an Tätigkeitsfeldern und pandemiebedingtem Mehraufwand.
„Verkaufsgag“ oder „Fundament“
ÖGK-Obmann Andreas Huss betonte im Ö1-„Mittagsjournal“, es sei immer klar gewesen, dass die Patientenmilliarde „ein Verkaufsgag“ gewesen sei und eine Fusion anfangs immer Mehrkosten verursache. Er plädierte dafür, dass die ÖGK die Zentralisierung wieder zurückfahren und sich etwas regionaler aufstellen sollte. Außerdem bekräftigte er die Forderung nach einem Risikostrukturausgleich der Träger, weil etwa die Beamten ohne Arbeitslose eine bessere Versichertenstruktur haben und nach einer Angleichung der sogenannten Hebesätze, weil die Pensionisten in der Beamtenversicherung einen doppelt so hohen Dienstgeberbeitrag bekommen als im ASVG. Beides würde je 200 Millionen Euro für die ÖGK bringen.
Der Co-Vorsitzende des Dachverbandes, Peter Lehner, bezeichnete die Patientenmilliarde als „Versuch, den Nutzen einer hochkomplexen und dringend notwendigen Reform medienwirksam und verständlich herunterzubrechen. Das ist nicht gelungen.“ Gelungen sei aber die Reform selbst, betonte Lehner gegenüber der APA. Man habe das Fundament für eine effizientes, modernes und zukunftsorientiertes Gesundheitssystem geschaffen. Die Kritik an mangelnden Kontrollmechanismen wies Lehner zurück: Die Sozialversicherung „verfügt über ein engmaschiges Kontrollsystem. Mit der Reform wurden wie in der Privatwirtschaft externe Wirtschaftsprüfer eingeführt, die objektiv und ohne politische Agenda die Kontrollfunktion wahrnehmen. Zudem gibt es eine interne Revision, das Gesundheits- und das Finanzministerium als Kontrollorgane und den Rechnungshof.“
FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak machte das vorzeitige Ende der türkis-blauen Regierung für die Mehrkosten verantwortlich, weil damit die Potenziale der Reform nicht realisiert worden seien. Die Fusion habe Rahmenbedingungen für Einsparungen geschaffen, die nicht genutzt worden seien. Dafür verantwortlich seien die seither im Amt gewesenen bzw. befindlichen Sozialminister. Es sei in den letzten Jahren verabsäumt worden, Effizienzpotenziale zu heben. Auch im Bereich der Leistungsharmonisierung sei man stecken geblieben, dringend notwendige Optimierungsmaßnahmen in der Verwaltung seien ebenfalls nicht umgesetzt worden.
SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher sieht durch den RH Bericht hingegen die versprochene Patientenmilliarde als „den bittersten Schmäh aller Zeiten“ entlarvt. Tatsächlich fielen enorme Mehrkosten an, teure Beraterverträge und von der angekündigten Leistungsharmonisierung fehle nach wie vor jede Spur. „Die Patientenmilliarde war eine glatte Lüge und alles, was sonst noch unter Türkis-Blau versprochen wurde, in Wahrheit auch“, sagte Kucher. Der SPÖ-Gesundheitssprecher warnte auch davor, für die entstandenen Mehrkosten jetzt die Versicherten zur Kasse zu bitten.
„Die Patientenmilliarde ist bitte kein Brief ans Christkind.“
Die NEOS leiten aus dem RH-Bericht die Forderung nach einer Demokratisierung der Sozialversicherungen, verbunden mit mehr Kontrolle, ab. „Die Sozialversicherung kann sich nicht länger vor Kontrolle und echter Transparenz wegducken“, stellte Sozialsprecher Gerald Loacker fest.
In die Reihe der Kritiker fügte sich auch die Ärztekammer ein. „Die Patientenmilliarde ist bitte kein Brief ans Christkind, sondern absolut notwendig für die Patientenversorgung in Österreich“, sagte Präsident Johannes Steinhart. Der ÖÄK-Präsident fordert einmal mehr die Regierung auf, massiv Geld in das Gesundheitssystem zu stecken, um die Schäden zu reparieren, die seit der Ankündigung noch gewachsen seien.