Versorgungskrise soll mit EU-Arzneimittelreform überwunden werden

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Autor: Scho

Die EU-Kommission will mit einem Sechspunkte-Programm das Arzneimittelrecht der EU modernisieren, von dem sowohl Konsumentinnen und Konsumenten als auch die Wirtschaft profitieren sollen. Es sei die größte Reform seit 20 Jahren, betonte der EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas. Die Überarbeitung des EU-Rechtsrahmens „Pharma Legislation“ soll Medikamente besser verfügbar, leichter zugänglich sowie erschwinglich und die EU selbst unabhängiger machen.

Konkret plant die Kommission, eine Liste besonders wichtiger Präparate anzulegen. Schwachstellen in den Lieferketten dieser Medikamente sollen angegangen werden. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Versorgungslücken und den Rückruf von Medikamenten früher zu melden sowie Vorsorgepläne zu erstellen. Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln – von Antibiotika bis zu Schmerzmitteln – sowohl in den vergangenen Monaten wie auch während der Corona-Pandemie hätten die Probleme aufgrund des Produktionsrückgang in der EU aufgezeigt.

Die EU-Kommission will nicht nur diese Probleme lösen, sondern auch sicherstellen, dass Medikamente in Zukunft zeitgleich in allen 27 EU-Staaten auf den Markt kommen. Zugleich will die Behörde gegen Antibiotikaresistenzen vorgehen, die für den Tod von mehr als 35.000 Menschen jährlich in der EU verantwortlich sein sollen.

Stella Kyriakides, EU-Gesundheitskommissarin: „Damit der Zugang effektiv ist, wird ein vereinfachtes Regelumfeld benötigt“

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides betonte am Mittwoch, dass gegenwärtig etwa in östlichen EU-Staaten nur zehn Prozent der verfügbaren Medikamente auch wirklich zugänglich seien, dies solle sich ändern. „Damit der Zugang effektiv ist, wird ein vereinfachtes Regelumfeld benötigt“, so die Kommissarin. Der heutige Tag sei für alle Beteiligten ein historischer.

So wird die EMA für die Bewertung von Medikamenten in Zukunft 180 statt 210 Tage Zeit haben. Für die Zulassung will die EU-Kommission 46 statt 67 Tage zur Verfügung stehen. All dies soll die derzeitig durchschnittliche Dauer von 400 Tagen zwischen Antragstellung und Marktzulassung reduzieren. Mit der Reform sollen insgesamt sechs Ziele erreicht werden, dazu gehört die Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel, die Rahmenbedingungen zu deren Herstellung gelte es dabei attraktiv und innovationsfreundlich zu gestalten, um die 136 Milliarden Euro schwere EU-Pharmaindustrie zu stärken.

Beschleunigte Zulassung, reduzierter Verwaltungsaufwand

Drittens sollen Zulassungen beschleunigt und der Verwaltungsaufwand verschlankt werden. Die Verbesserung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Sicherstellung, dass Patientinnen und Patienten immer mit Arzneimitteln versorgt werden können, unabhängig davon, wo sie in der EU leben, soll ebenso sichergestellt werden, wie auch die Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenz (AMR).

Die Kommission schlug vor, die Entwicklung bahnbrechender Antibiotika attraktiver zu machen. Konkret könnten Unternehmen, die ein solches Präparat herstellen, künftig einen Gutschein über den Schutz der Daten eines Medikaments – also eines Monopols – für ein weiteres Jahr erhalten. Dieser Gutschein soll nicht an das neue Antibiotikum gebunden sein und könnte auch verkauft werden. Die Kosten für die nationalen Gesundheitssysteme liegen nach Angaben einer EU-Beamtin bei rund 500 Millionen Euro.

Nicht zuletzt soll die Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln verbessert werden. Die Überarbeitung ist die erste größere Überarbeitung des Arzneimittelrechts seit 2004. Mit ihr will die EU-Kommission die Rechtsvorschriften an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpassen.

Monique Goyen, Generaldirektorin des europäischen Verbraucherverband Beuc, kritisiert, Pharmafirmen hätten wie verrückt Lobbyarbeit“ betrieben.

Der europäische Verbraucherverband Beuc begrüßte die Vorschläge als Schritt in die richtige Richtung, forderte jedoch weitere Schritte insbesondere gegen Versorgungslücken und hohe Preise. Die großen Pharma-Konzerne hätten „wie verrückt Lobbyarbeit“ betrieben, um ihre Gewinne zu schützen, beklagte Generaldirektorin Monique Goyens.

Der Präsident des Europäischen Pharmaverbands (EFPIA), Hubertus von Baumbach, warnte dagegen, die Vorschläge gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie. Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) kritisierte, der heute präsentierte Entwurf würde die pharmazeutische Branche in ein Korsett aus Restriktionen und Verschärfungen zwingen: „Dadurch sind negative Effekte auf den Forschungs- und Produktionsstandort Europa und ebenso auf die Versorgung mit Arzneimitteln zu befürchten“, hieß es in einer Aussendung.

Günther Sidl, SPÖ-EU-Abgeordneter und Gesundheitspolitiker, betonte hingegen die gegenwärtige Abhängigkeit von Drittländern wie China und Indien. Wichtig sei die Leistbarkeit von Arzneimitteln und Mindeststandards. „Es darf keine Rolle spielen, wo man in Europa wohnt oder wie groß oder klein das Geldbörsel ist – ein sicherer und garantierter Zugang zu Arzneimitteln muss für alle gewährleistet sein“, sagte der EU-Abgeordnete.

Weitere Infiormationen der Europäischen Kommisson finden Sie hier.

(APA/dpa/red.)

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