Wiener Handelsgericht verhandelt um Millionenklage gegen Lead Horizon

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Autor: Scho

Das Wiener Handelsgericht hat sich mit einer Millionenklage rund um den Hersteller der PCR-Test-Kits des Wiener Covid-Testprogramms „Alles gurgelt“, Lead Horizon, auseinandersetzen müssen. Das deutsche Unternehmen CoviMedical will den Kauf von Test-Kits rückabwickeln, weil es diese für unbrauchbar hält und hat die Klage mit einem Streitwert von 3,3 Millionen Euro eingebracht. Nun werden Gespräche eine mögliche Einigung geführt.

Streitpunkt ist eine Geschäftsbeziehung, die der führende Anbieter von Corona-Testlösungen in Deutschland im März 2022 mit Lead Horizon eingegangen ist. Die Wiener PCR-Test-Kits sollten an 200 Standorten in Deutschland flächendeckend ausgerollt werden, um allenfalls für bevorstehende Pandemie-Wellen gewappnet zu sein. Ein Kaufvertrag über eine Million Test-Kits wurde abgeschlossen, den CoviMedical nun allerdings für obsolet erachtet, da die App nicht in der Lage sei, die Testperson eindeutig zu identifizieren. Die künstliche Intelligenz (KI) der App sei entgegen der Zusicherung von Lead Horizon nicht in der Lage, die zum Test angemeldete Person fehlerfrei mit dem eingescannten Dokument bzw. dem Gesicht abzugleichen, das in die Kamera gehalten wird, behauptete CoviMedical im Vorfeld der Verhandlung.

Michael Putz, den Mehrheitseigentümer von Lead Horizon, wies die Vorwürfe im Anschluss der Verhandlung als „lächerlich und haltlos“ gegenüber der APA zurück. In Deutschland herrsche eine andere Gesetzeslage, wo Heimtests nach wie vor nicht erlaubt sind. Dort darf nur durch geschultes Personal bzw. allenfalls unter entsprechender Aufsicht von befugten Personen die Probe vor Ort abgenommen werden. Die Eigenschaften der für den deutschen Markt gedachten WebApp wurden immer klar kommuniziert.

Gegenseitige Vorwürfe

Das deutsche Unternehmen habe damit spekuliert, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern würde und hätte erst dann alles rückgängig machen wollen, als es einen Rückgang der Pandemiesituation gegeben habe, meinte Putz. Zudem gehe es um eine vollkommen andere WebApp als diejenige, die in Österreich beim Projekt „Alles gurgelt“ verwendet wird. In Österreich wird der Testvorgang nicht durch eine künstliche Intelligenz überprüft. Es habe sich dabei um eine eigens für CoviMedical und nach deren Wünschen entwickelte Web-Applikation gehandelt. Diese sei weitaus besser und fortgeschrittener gewesen, meinte Putz. „Der Spekulationsverlust wird jetzt auf Lead Horizon abgewälzt“. Aber er sei weiterhin verhandlungsbereit, meinte der Mehrheitseigentümer.

Nach dem Termin am Handelsgericht trafen sich die Parteien bereits zu einem ersten Gespräch. Auch der Einsatz einer Mediatorin, wie vom Richter vorgeschlagen, um zu einer Einigung zu kommen, wurde in den Raum gestellt. Ob die Parteien eine Mediation in Anspruch nehmen wollen, darüber sollen die Beteiligten in zwei Wochen Bescheid geben. Für die weiteren Schritte wurde ein weiterer Termin im Oktober am Handelsgericht vereinbart.

Das vonseiten von Lead Horizon erstellte Angebot, die Hälfte der Anzahlung in der Höhe von einer Million zurückzuzahlen, wurde von dem Geschäftsführer des deutschen Unternehmens – anwaltlich vertreten von Katharina Kitzberger von der Kanzlei Weber & Co – abgelehnt und ein Gegenangebot in der Höhe von 1,8 Millionen Euro gestellt. Das wiederum wurde von Lead Horizon mit der Begründung abgelehnt, dass die bestellte App ja fertig gestellt war und dadurch Kosten entstanden seien. „Das wird sehr schwierig werden“, meinte Holger Bielesz, Rechtsvertreter von dem Wiener Gurgeltestanbieter. Der Richter schlug einen Zahlung in der Höhe von 1,030 Millionen Euro von Lead Horizon an CoviMedical samt anschließender Vertragsauflösung vor, darüber denken die Parteien nun nach.

In Wien wurde 46,8 Millionen mal „gegurgelt“

Speziell in Wien hat sich in der Pandemie das PCR-Testen im Selbsttest im Wohnzimmer im Rahmen der Aktion „Alles gurgelt“ großer Beliebtheit erfreut. 46,8 Millionen Mal wurde in der Bundeshauptstadt gegurgelt. Dabei wurden bei der Lead Horizon-Web-Lösung Fotos der getesteten Person und ihres Ausweises zur Identitätsfeststellung verarbeitet und mit dem Gesicht, das man in die Kamera halten musste, abgeglichen. Nur so war ein behördlich anerkanntes Testergebnis zu bekommen. Das Video, das Nutzer beim Gurgeln mit erstellen musste, diente laut Lead Horizon zur Sicherstellung, dass der Test richtig durchgeführt wurde. Die Videos selbst würden „in Reklamationsfällen und zur Qualitätssicherung“ von ausgewählten Mitarbeitern von Lead Horizon gesichtet, hatte das Unternehmen im März 2021 versichert.

Neben dem Verfahren am Handelsgericht sind auch noch strafrechtliche Ermittlungen gegen den Mehrheitseigentümer von Lead Horizon, Michael Putz, anhängig. Es steht der Verdacht auf Untreue, Urkunden- und Beweismittelfälschung im Raum. Putz bestreitet die Vorwürfe.

(APA/red.)

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