Geld und Leben

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Autor: Josef Ruhaltinger

Ärztinnen und Ärzte in Primärversorgungseinheiten haben je nach Bundesland die Wahl zwischen mehreren Honorarsystemen. Jedes hat Stärken und Schwächen.

Der Standort ist bemerkenswert. Im Wiener Sonnwendviertel ist am 1. Oktober das fünfte Primärversorgungszentrum in der Bundeshauptstadt eröffnet worden. Für alle Nicht-Wiener: Das neue PVZ befindet sich in hörbarer Nähe des Wiener Zentralbahnhofs. Und wer an Bahnhofsviertel und Rotlicht denkt, liegt falsch: Das Sonnwendgrätzl im Süden der Hauptstadt besteht in der Hauptsache aus neuerrichteten Bürobauten, Bankzentralen und Wohntürmen – nicht unbedingt heimelig, aber sehr aufstrebend. Wenn die drei AllgemeinmedizinerInnen Maria Gomez Pellin, Martin Cichocki und Sebastian Huter von ihrer Arbeitsstelle im CAPE 10 aus dem Fenster über die Schienen des Bahnhofes blicken, erhaschen sie gerade noch einen Blick auf das Heeresgeschichtliche Museum. Das 5000 m2 große CAPE 10 ist ein von den Elite-Architekten Coop Himmelblau entworfenes Sozial- und Gesundheitszentrum der Stadt Wien, das das Zeug zur Vorbildwirkung hat. „Der Standort ist ideal. Es gibt eine sehr aktive Gemeinschaft und viele Initiativen sowohl im Haus als auch in der Umgebung“, schwärmt Allgemeinmediziner und PVZ-Teilhaber Martin
Cichocki anlässlich der Eröffnung. In der neuen Ordination werden neben dem Ärzteteam fünf Assistentinnen, zwei diplomierte Pflegekräfte und ein erweitertes sechsköpfiges PVE-Team aus Sozialarbeit, Diätologie und Psychologie tätig sein – so, wie es das Konzept der Primary Health Care vorsieht.

Der Zug kommt langsam in Fahrt

Das Sonnwendviertel ist die fünfte Primärversorgungseinheit Wiens. Geht es nach Stadtrat Peter Hacker, sollen es in der ganzen Bundeshauptstadt 36 werden. Im ursprünglichen Versorgungsplan aus dem Jahr 2017 für Wien war lediglich von 14 Standorten die Rede. Das Primary Care-Konzept beginnt, in Wien und ganz Österreich seine Wirkung zu entfalten. Für MedizinerInnen ist heute eine berufliche Zukunft in Primärversorgungszentren eine echte Alternative zum traditionellen Einzelkämpfer-Dasein: Strukturiertes Arbeiten im Team bei berechenbaren Arbeitszeiten zählt für die ÄrztInnen zu den großen Vorteilen – bei gesichertem (gutem, wie andere Proponenten meinen) Einkommen.

So kalkulieren PVZ

Die Einrichtung eines Primary-Care-Standortes ist ein ländergebundener Prozess. Dies bedeutet, dass es in wesentlichen Fragen wie Honorierung, Beschäftigungsverhältnis des erweiterten Kernteams, Versorgung mit nicht-ärztlichen Leistungserbringern, Wechsel der ärztlichen Gesellschafter etc. zu deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesländern kommt.

Die PVZ befinden sich immer noch in der Pilotphase. Streng genommen handelt es sich bei allen aktuell 29 PVE in Österreich um befristete Vorhaben – meist auf fünf Jahre –, die aber nach einer Evaluierung in fixe Einrichtungen übergeführt werden sollen. In wirtschaftlicher Hinsicht können AllgemeinmedizinerInnen aber im Honorar- und Kostenbereich auf feste Rahmenbedingungen vertrauen. Dabei wurde ein vierstufiges Abgeltungssystem entwickelt, das in verschiedenen Ausprägungen und länderspezifisch zum Einsatz kommt. Wesentlich ist, dass es sowohl kontaktunabhängige als auch kontaktabhängige Honorarbestandteile gibt.

Neu im Grätzl.

Die Betreiber des PVE Sonnwendviertel sind mit Oktober gestartet:

Martin Cichocki, Maria Gomez Pellin und Sebastian Huter (vlnr)

Foto: DOPPIAA

Modell Einkommens­abgeltung: Das in Oberösterreich und in Wien favorisierte Modell sichert jedem/jeder in die PVE eintretenden Kassenarzt/ärztin pauschal das gewohnte Jahreshonorar zu. Konkret bedeutet dies, dass der Arzt oder die Ärztin genau jenes Honorar erhalten, das sie in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich in der bereits bestehenden Praxis vor Steuer und nach Abzug aller Kosten verdient haben. Dazu gibt es in manchen Bundesländern noch einen Aufschlag von fünf Prozent. Für MedizinerInnen, die vorher keinen Kassenvertrag hatten, wird als Basis für die Einkommensberechnung der Durchschnittsumsatz der Allgemeinmediziner im Bezirk zugrunde gelegt. Im Gegenzug ist es in der Verhandlungsphase mit der Gesundheitskasse notwendig, die Bücher der Ordinationen zu öffnen. Jedes ÄrztInnen-Team sucht sich dafür einschlägig erfahrene Berater, die die Bilanzen verhandlungstauglich aufbereiten. Wolfgang Gruber berät und managet MedizinerInnen vor und nach der PVZ-Gründung: „Beim Vorlegen der Zahlen herrschen die höchsten Hemmschwellen bei den Gründerteams. Die Kassen wissen aber ohnehin, was in der Region üblich ist.“ Gruber managet aktuell das PVZ Enns, Marchtrenk, das Netzwerk Neuzeug-Sierning und jetzt das Wiener PVZ Sonnwendviertel: „Wenn die Zahlen gut aufbereitet sind, haben wir in den Verhandlungen selten Probleme.“ Zusätzlich zum Ärztehonorar gibt es von den Kassen in allen Entgeltvarianten den Ersatz der Kosten: Die tatsächlichen Ordinations- und Personalkosten – auch des erweiterten Kernteams – werden von der Kasse ersetzt. Das hat den Nachteil, dass für jede größere Investition Rücksprache gehalten werden muss.

Modell Umsatzabgeltung: In diesem Modell wird der bisherige Umsatz aller eingebrachten Ordinationen pauschal ausbezahlt. Die Personalkosten des vereinbarten erweiterten Teams werden zusätzlich in plausibler Höhe gegen Nachweis ersetzt. Dafür werden sämtliche Kosten für Investitionen vom Ärzteteam getragen. Das hat den Vorteil, dass bei Kaufabsichten (für Apparaturen) oder baulichen Expansionsplänen niemand um Erlaubnis gefragt werden muss. Die Betreiber verantworten selbst. In jenen Bundesländern, in denen es bei Gruppenpraxen einen Abschlag gibt, entfällt dieser Abzug.

Modell Fallpauschale: Bei der leistungsabhängigen Kopfpauschale werden die Arbeiten des Kernteams innerhalb des Versorgungskatalogs abgegolten. Das in Niederösterreich präferierte Modell bietet bei der altersgestaffelten Vergütung für 0 bis 10-jährige Patienten pro Quartal von 31,07 Euro bis zur Fallpauschale für über 90-Jährige mit 65,64 Euro pro Quartal. Die Tarife werden jährlich evaluiert. Dazu kommt eine kontaktunabhängige Grundpauschale für „administrativen Mehraufwand bei übergreifenden Aufgaben“. In Niederösterreich sind dies pro Gesellschafter mit 20 Wochenstunden 80.000 Euro pro Jahr. Auch hier werden die Personalkosten des erweiterten Teams ersetzt.

Modell Honorarordnung: Modell 4 bringt für Kassenärzte wenig Neuerungen. Die Honorierung erfolgt gemäß der aktuellen Honorarordnung ohne Gruppenpraxis-Abschlag. Die Limitierungen bzw. Staffelungen der Honorarordnung werden entsprechend der Anzahl der teilnehmenden Ärzte angehoben. Über die Personalkosten des vereinbarten erweiterten Teams wird im Vorfeld verhandelt. Auch sie werden von den Kassen abgegolten. Das Modell wird vor allem in Hinsicht auf Primärversorgungsnetzwerke am Land bereitgestellt.

Am Vormarsch.
Glaubt man den Betreibern der PVE, liegen die Honorare leicht unter dem Niveau der Einzelpraxen – bei deutlich verbesserten Arbeitsumständen.

Anschub schadet nicht

Unabhängig von den Honorarmodellen und dem Personalkosten-Ersatz können PVE mit einer einmaligen Anschubfinanzierung rechnen. Damit wird den Kassenärzten der Umzug und der Neuaufbau der IT schmackhaft gemacht. Dazu kommen am Land oft noch Infrastrukturzuschüsse der Kommunen, die bei der Immobilienfrage mithelfen. Bislang ist das Feedback unter den agierenden ÄrztInnen und PVZ-Managern einhellig positiv. Der Patientenzuspruch ist aufgrund der attraktiven Öffnungszeiten in allen PVE hoch. Als Wolfgang Mückstein noch Mitglied des dreiköpfigen Ärzteteams im PVZ Mariahilf in Wien war, nannte er gegenüber der ÖKZ die finanzielle Attraktivität einer PVE „etwas geringer als jene einer Einzelordination. Allerdings arbeiten wir unter ungleich attraktiveren Bedingungen“. Der ärztliche Anreiz, in eine PVZ zu gehen, liegt weniger in der Honorarfrage als in der deutlich höheren Lebensqualität.    

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