Im Gesundheitswesen gab es bis dato keine Best-Practice-Modelle

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Autor: Michael Krassnitzer

Lernen von den Besten: Assessor und Buchautor Peter Kukla erzählt, wie kluges Prozessmanagement Gesundheitseinrichtungen besser macht und welche Spitäler das Zeug zum Vorzeigemodell haben.

Veränderungen verhindern verknöcherte Strukturen. Manager in Gesundheitseinrichtungen sind immer angehalten, kontinuierlich die Abläufe und Strukturen ihrer Einrichtungen zu analysieren und zu bewerten. Ein Werkzeug dafür ist Prozessmanagement, das sich mit der Dokumentation, Implementierung und Steuerung von Abläufen beschäftigt. Der Fokus von Prozessmanagement konzentriert sich auf eine einzige Frage: „Wer macht was, wann, wie und unter Zuhilfenahme welcher Ressourcen?“
Ende 2014 wurde mit der ÖNORM K 1960 erstmals ein allgemein gültiges Referenzmodell zur Umsetzung und Bewertung von Prozessen im österreichischen Gesundheitswesen publiziert. Dieses gilt als Ergänzung zur Umsetzung der ÖNORM EN ISO 9001 (Qualitätsmanagementsysteme) oder des EFQM-Modells der European Foundation for Quality Management. Peter Kukla war als Leiter der Arbeitsgruppe am Österreichischen Normungsinstitut verantwortlich für die Erarbeitung dieses Modells. Der mehrfach zertifizierte Assessor sitzt seit 2008 im Vorstand der österreichischen Gesellschaft für Prozessmanagement (www.prozesse.at) und ist Leiter Governance am Stadtspital Zürich.

Was ist der Nutzen eines Referenzmodells zur Umsetzung und Bewertung von Prozessen im Gesundheitswesen?
Peter Kukla:
Das standardisierte Referenzmodell ist ein Meilenstein für das Gesundheitswesen, weil man sich an Best Practice orientieren kann. Es geht darum, von den Besten zu lernen. Man schaut sich einfach an, was sich anderswo bereits bewährt hat. Wenn man weiß, was schon andernorts funktioniert hat, kann man Zeit und Ressourcen sparen. Man muss nicht immer das Rad neu erfinden. In vielen Branchen, etwa in der IT, waren solche standardisierten Best-Practice-Referenzmodelle längst üblich. Im Gesundheitswesen gab es das bis dato nicht. Dieses Referenzmodell ermöglicht es nun, eine Einrichtung mit einer anderen zu vergleichen: Wie gut ist mein Unternehmen, wo muss ich etwas verbessern? Gleichzeitig bietet ein solches Modell eine Basis für Reifegradanalysen. Das heißt: Im Rahmen eines Prozess-Assessments kann überprüft werden, wie reif die Prozesse sind.

Gibt es denn überhaupt den optimalen Prozess? Können nicht auch unterschiedliche Prozesse auf ihre Art „best practice“ sein?
Ein standardisiertes Modell ist vielleicht nicht das einzig selig machende Modell, aber es garantiert auf jeden Fall Qualität. Es wurde nicht einfach irgendein Modell willkürlich zum Referenzmodell erklärt, sondern von vielen Stakeholdern gemeinsam erarbeitet. Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, universitäre Einrichtungen und das Gesundheitsministerium haben ihre Erfahrungen auf den Tisch gelegt und gemeinsam einen Standard entwickelt, mit dem alle Beteiligten etwas anfangen können. Die meisten derartigen Modelle sind sehr organisationsspezifisch. Der große Vorteil dieses Modells ist es, dass es so generisch ist, dass es für jeden Anwender passt – egal ob es sich um einen laufenden Prozess handelt oder um einen neuen Prozess, der gerade aufgebaut wird.

Als Beispiel für Best Practice gilt das Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm. Was macht diese Einrichtung so gut, dass sie sogar im österreichischen Praxishandbuch „Prozessmanagement im Gesundheitswesen“ Eingang gefunden hat?
Das Karolinska-Krankenhaus verfolgt einen prozessorientierten Ansatz. Das heißt: Die Verantwortlichkeit für einen Prozess ergibt sich nicht aus der Hierarchie, sondern aus dem Prozessablauf. Derjenige, der für den Prozess verantwortlich ist, hat auch die Personal- und Budgetverantwortung. So etwas gibt es nur in wenigen Unternehmen – und im Gesundheitswesen ist das noch viel seltener anzutreffen. Die meisten sind aufbauorientiert und nicht ablauforientiert. Man kann sich das anhand eines Organigramms deutlich machen: Bei einer aufbauorientierten Einrichtung gehen die Linien von oben nach unten, bei einer ablauforientierten Einrichtung ist es quasi um 90 Grad gedreht und die Linien verlaufen entlang des Prozessablaufes. Diese outcome-basierte End-to-End Sichtweise auf die Prozesse zeigt sehr schön das Potenzial von Prozessmanagement im Gesundheitswesen.

Top of the Best.
Peter Kukla adelt Spitäler zu Benchmarks. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Prozessmanagement im Krankenhausbereich. Aktuell ist er Leiter Governance im Stadtspital Waid und Triemli Zürich.

Wie wird denn Prozessmanagement im Krankenhaus implementiert und welche Schwierigkeiten gibt es dabei?
Im Tagesgeschäft der Patientenversorgung bleibt oft wenig Raum, sich mit der Analyse und dem Implementieren von Prozessen zu beschäftigen. Es wird oft als bürokratischer Aufwand gesehen. Wieder eine zeitraubende Sitzung, in der Prozessabläufe gezeichnet werden, heißt es dann. Das Potenzial von Prozessmanagement geht aber weit über das reine Abbilden von Prozessen hinaus. Da geht es um Verantwortlichkeiten, Zusammenarbeit, Kommunikation, Verbesserung der Arbeitssituation, laufende Optimierung und Messung. Letztlich geht es um das Verankern von Prozessorientierung. Das klingt banal, aber das verändert das Mindset und die Art zu arbeiten. Der Return of Invest liegt in einem Mehr an Zeit, in der man sich um die Patienten kümmern kann. Wichtig ist es, dass alle Beteiligten in die Erarbeitung der Prozesse miteinbezogen werden. Die Ambassadors, die bei der Analyse und der Ausarbeitung schon mit dabei waren, tragen dieses Gedankengut dann hinaus in die Praxis. Wichtig ist auch ein starkes Kommitment der Leitung.

Wie offen ist das Krankenhausmanagement in Österreich für Fragen des Prozessmanagements?
Die Beschäftigung mit den eigenen Prozessen ist in den Krankenhäusern längst etabliert, weil Qualitätsmanagement natürlich schon längst ein Thema ist. Wenn man sich mit Qualität beschäftigt, beschäftigt man sich automatisch mit den eigenen Prozessen.

Wenn Prozessmanagement in einem Krankenhaus neu implementiert wird: Was sind die ersten Fortschritte?
Ich erlebe immer wieder in Workshops, dass die Leute, die jahrelang miteinander gearbeitet haben, draufkommen, dass jeder einen anderen Zugang zu den Abläufen hat. Prozessmanagement bietet hier eine Plattform, um die Sichtweisen zu homogenisieren. Ein weiterer Aha-Effekt stellt sich ein, wenn die Teilnehmer erkennen, dass sie sich einbringen können. Ihnen wird klar, dass sie plötzlich ihre Tagesabläufe aktiv mitgestalten können. Das ist für die Mitarbeiter sehr motivierend.

Wann scheitert Prozessmanagement?
Das gibt es, aber ich würde es nicht Scheitern nennen. Oft werden für Zertifizierungen die Prozesse analysiert, abgebildet – aber nicht ausreichend als Basis für laufende Verbesserungen genutzt. Wenn man aber die Prozesse nur auf Zeichnungen abbildet – was viele fälschlicherweise bereits für Prozessmanagement halten –, dann würde ich von Prozessmodellierung sprechen. Beim Prozessmanagement ist es jedoch ganz wichtig, die Prozesse mit Leben zu erfüllen. Man muss dranbleiben. Man muss sich weiter kontinuierlich mit den Prozessen beschäftigen: weitere Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren, Feedback geben und erhalten. Prozessmanagement bedeutet, den Weg konsequent weiter zu gehen, die Prozessorientierung in der Denkweise und der Art zu arbeiten zu verankern. Dann läuft das. Und dann kann man in besonderen Situationen auch schnell und flexibel reagieren. Gerade die Covid-19-Pandemie hat das gezeigt: Man muss seine Prozesse im Griff haben.    //

Prozessmanagement im Gesundheitswesen
Das Praxishandbuch von Peter Kukla ist Wegweiser, wie das in der ÖNORM K 1960 festgeschriebene Referenzmodell zur Umsetzung und Bewertung von Prozessen im österreichischen Gesundheitswesen umzusetzen ist. Praxisbeispiele aus Österreich (Universitätsklinikum Graz), Deutschland (Universitätsmedizin Göttingen), der Schweiz (Universitätsspital Zürich) und Schweden (Karolinska Universitätsspital) veranschaulichen die Umsetzung in Gesundheitseinrichtungen: Was sind die 10 Schlüsselfaktoren? Was sagen Expertinnen und Experten dazu?

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