Blackout-Vorsorge im Gesundheitsbereich

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Herbert Saurugg

Das Thema Blackout-Vorsorge ist in den letzten Monaten wieder etwas aus der Öffentlichkeit verschwunden, nachdem es im Herbst 2022 aufgrund der Unsicherheiten im Energiebereich doch zu größeren Diskussionen gekommen war. Der milde Winter 2022/23 hat dazu geführt, dass die Befürchtungen weder auf der Gas- noch auf der Stromseite eingetreten sind. Aber sind die Probleme wirklich gelöst oder wiegen wir uns weiterhin in einer Scheinsicherheit? Und was bedeutet dies für den Gesundheitssektor?

Auch die Aussichten für diesen Winter sind deutlich entspannter als noch vor einem Jahr. Dennoch gibt es zwei große Unsicherheitsfaktoren, die niemand wirklich beeinflussen kann: Das ist zum einen der Temperaturverlauf während des Winters. Bleibt er viel zu mild, wird es wohl kaum Probleme geben. Sollte es zu überregionalen Kälteeinbrüchen kommen, wäre dies mit größeren Unsicherheiten hinsichtlich der Versorgungssicherheit verbunden. Andererseits sollten wir aus den vergangenen Jahren gelernt haben, dass die einzigen wirklichen Konstanten Unsicherheit und Überraschungen sind. Ein unvorstellbares Ereignis jagte das andere: Von der Pandemie über einen Krieg, den sich kaum noch jemand vorstellen konnte, über die Energiekrise, eine sehr hohe Inflation, die Zerstörung von Kerninfrastrukturen (Nord Stream, Staudamm) oder Lieferkettenprobleme ohne Ende und jetzt eine völlig unübersichtliche Situation im Nahen Osten. Und alles hängt irgendwie zusammen. Deshalb spricht man auch von Polykrisen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Auch der Blick in die Zukunft mit der absehbaren Unterbrechung der Gaslieferungen über die Ukraine nach Österreich ab 1.1.2025 sollte die Alarmglocken läuten lassen. Derzeit herrscht her eher der unbekümmerte österreichische Zugang: „Wird scho guat gehen“.

Den Kopf nicht in den Sand stecken

Wir sollten uns trotzdem mit bisher kaum vorstellbaren Szenarien wie einem überregionalen Ausfall der Strominfrastruktur und damit der Versorgung („Blackout“) oder möglichen rollierenden Flächenabschaltungen („Brownouts“) beschäftigen. Denn auch bei geplanten großflächigen Abschaltungen käme es sehr schnell zu schweren Verwerfungen in der Logistik und der Gesundheitsversorgung, wenn beispielsweise Telefon-, Internet- und Mobilfunkverbindungen innerhalb von 30 Minuten ausfallen und weder Notrufe noch andere Koordinationen funktionieren. Auch der Verkehr käme schnell zum Erliegen, wenn Züge, Ampeln und Tankstellen ausfallen. Wären wir auf solche Szenarien vorbereitet? Welche Folgen könnte es im Gesundheitswesen haben, wenn der Strom für mehrere Stunden oder länger ausfällt und die Versorgung auch danach nicht sofort wieder wie gewohnt funktioniert?

Versorgungsabhängigkeiten

Gerade im Gesundheits- und insbesondere im Krankenhausbereich gibt es große externe Abhängigkeiten von Ver- und Entsorgungsdienstleistern. Oder wie kommt in einem solchen Fall das Personal zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause? Bei einem längeren großflächigen Stromausfall würde es wahrscheinlich bis in die zweite Woche nach dem Primärereignis dauern, bis die Versorgung wieder aufgenommen werden kann. Und dann muss erst einmal die Grundversorgung mit Lebensmitteln wieder funktionieren, damit die Menschen sich wieder selbst versorgen können, um dann wieder zur Arbeit zu gehen und den Rest hochzufahren.

Mitarbeitervorsorge

Genau hier sind die größten Probleme zu erwarten. Denn wie wir aus verschiedenen Untersuchungen wissen, kann sich etwa ein Drittel der Bevölkerung und damit auch des Gesundheitspersonals maximal vier Tage selbst versorgen. Ein weiteres Drittel schafft dies maximal eine Woche. Deshalb sollten bei allen Vorsorgeüberlegungen die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Eigenvorsorge im Vordergrund stehen. Denn die beste innerbetriebliche Vorsorge ist wertlos, wenn die Mitarbeiter:innen nicht zur Verfügung stehen, weil sie sich selbst in der Krise befinden. Das wird leider oft unterschätzt.

Auch andere Szenarien sind möglich

Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Blackout-Vorsorge mehr als nur ein Randthema. Denn Versorgungseinschränkungen oder -ausfälle können auch durch andere Ereignisse hervorgerufen werden – zum Beispiel durch immer häufigere und intensivere Extremwetterlagen. Cyber-Angriffe, die die IT lahmlegen, führen ebenfalls schnell zu gravierenden Funktionseinschränkungen. Auch wenn viele inzwischen krisenmüde sind, die Realität wird uns weiterhin herausfordern. Je besser wir darauf vorbereitet sind, desto weniger können uns solche Überraschungen treffen und anhaben.

Was bleibt zu tun?

Der erste Schritt beginnt mit der Akzeptanz, dass solche Ereignisse möglich sind und unvorbereitet enorme Schäden anrichten können. Dann geht es darum, die Auswirkungen im eigenen Bereich zu kennen. Gibt es bereits Vorkehrungen für normale Stromausfälle, ist dies der erste Schritt, wobei immer klar sein muss, dass ein Blackout oder auch eine Strommangellage kein normaler Stromausfall ist, bei dem eine Notstromversorgung ausreicht, sondern dass mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen ist. Dann geht es um die Ablaufpläne, die in den Köpfen der Mitarbeiter sein müssen, weil es dann kaum Kommunikationsmöglichkeiten gibt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause sind dann nicht mehr erreichbar und müssen daher jetzt wis-sen, was in einem solchen Fall zu tun ist. Zentrale Basis für alle technischen und vor allem organisatorischen Maßnahmen und Abläufe sind vorbereitete Mitarbeiter:innen. Sie müssen wissen, dass ihre Familien vorbereitet und versorgt sind. Nur so können sie sich im Krisenfall auf ihre Aufgaben konzentrieren. Zum anderen müssen sie die vorgesehenen und möglichst einfachen Abläufe kennen, um möglichst schnell vom Normalbetrieb auf den Notbetrieb umschalten zu können. Und dann geht es vor allem um die Rationierung der vorhandenen Ressourcen (Wäsche, Lebensmittel, Medizingüter etc.), solange nicht klar ist, wann wieder neue Ressourcen nachgeliefert werden können. Das erfordert auch eine entsprechende Abstimmung mit den jeweiligen externen Partnern. So lässt sich mit einem überschaubaren Aufwand relativ schnell ein Basis-Blackout-Vorsorgeplan erstellen. Wir müssen das Undenkbare denken wagen und vor allem ins Handeln kommen!

Herbert Saurugg, MSc

Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen, gefragter Keynote-Speaker und Initiator von „Mach mit! Österreich wird krisen-fit!“ (www.krisenfit.jetzt). Er beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit den Entwicklungen im europäischen Stromversorgungssystem und dem Szenario eines überregionalen Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall («Blackout»). Er betreibt einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net und unterstützt Gemeinden, Unternehmen und Organisationen bei einer ganzheitlichen Blackout-Vorsorge.

Video-Tipp:

Sehen Sie hier den Vortrag von Herbert Saurugg, MSc auf dem Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress 2023

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