Papierbasierte Biosensoren bringen das Labor in die ärztliche Praxis

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Rainer Hainberger
Diese Serie erscheint in Kooperation mit:

Ist eine Behandlung mit Antibiotika zielführend? Zwischen bakterieller und viraler Infektion schnell und kostengünstig zu unterscheiden ist nur ein Anwendungsbeispiel für papierbasierte Biosensoren. Das EU-Projekt IMPETUS hat ein neues Fertigungsverfahren für papierbasierte diagnostische Testsysteme entwickelt. Das medizinische Fachpersonal benötigt nur noch ein Smartphone mit passender App um das Ergebnis der günstigen, umweltfreundlichen Teststreifen abzulesen, die das Labor in die Ärztliche Praxis bringen. Dieses neue Fertigungsverfahren für papierbasierte Tests und die dabei entstandene Pilotlinie ist eine wichtige Grundlage für den nächsten Schritt von reparativer zur präventiver Gesundheitsversorgung. 

Um den Patient:innen bestmöglich helfen zu können, müssen wir die Ursache ihrer Probleme zuverlässig feststellen können. Die schnelle und einfache Unterscheidung von viraler und bakterieller Infektion ist dafür ein gutes Beispiel. Die vorschnelle Verabreichung von Antibiotika kann zur weiteren Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bei Bakterien beitragen, die es immer schwieriger machen, Infektionen zu behandeln. Nebenwirkungen der Antibiotika können das Wohlbefinden oder sogar die Gesundheit der Patient:innen negativ beeinflussen und darüber hinaus kann die Wirksamkeit beeinträchtigt werden, was zukünftige Behandlungen erschwert und die Genesung verzögert.

Mit neusten Technologien und Analysemethoden in den Arztpraxen können genetische und molekulare Informationen schnell vor Ort gesammelt und verstanden werden. Das ist ein erster Schritt in Richtung der individualisierten Medizin. Diese kann dazu beitragen, die Genauigkeit und Wirksamkeit von Diagnosen und Behandlungen zu verbessern und damit die Genesung der Betroffenen. Die meisten Infektionskrankheiten bedürfen einer abgestimmten Behandlung. Diese kann nur erfolgen, wenn das medizinische Fachpersonal die Infektion auch identifizieren kann. Labortests sind aufwendig, kostenintensiv und brauchen oft zu lange – hier entwickelte das Projekt IMPETUS die Basis, um rasch und kostengünstig, mit unter 20 Euro pro Einwegtest, auf einzelne Krankheiten abgestimmte Tests zu realisieren.

Nachhaltige und vollständig integrierte papierbasierte elektrochemische Biosensoren

Das Biomolekülnachweisverfahren, das im EU-Projekt „IMPETUS“ entwickelt wurde, verbindet Papier-, Druck- und Mikrochip-Technologien und schließt die Lücke zwischen Schnelltests und Laboranalysen. Unter der Leitung der Molecular Diagnostics Sensor Gruppe des AIT Center for Health and Bioresources, endete das Projekt mit Oktober 2022. Es wurde eine Pilotlinienfertigungsanlage in industrieller Umgebung bei dem IMPETUS-Partner tagtron GmbH in Vöcklabruck aufgebaut. Diese ist darauf ausgerichtet, nachhaltige und vollständig integrierte papierbasierte elektrochemische Biosensoren, deren Testresultate direkt auf ein Smartphone übertragen werden können, massenproduktionstauglich herzustellen. Dazu entwickelte man geeignete Sieb-, Flexo- und Tintenstrahldruckprozesse sowie eine neuartige Methode zur Chipmontage für eine Rolle-zu-Rolle-Produktion. Auf den Streifen eines speziell entwickelten Papiers werden die Funktionalitäten der elektrochemischen Biosensortestkarte aufgedruckt und ein Mikrochip appliziert. Dieser energieeffiziente Siliziummikrochip, der von der Infineon Technologies Austria AG entwickelt wurde, sorgt für die elektrochemische Signalerfassung, Speicherung und kontaktlose NFC-Datenübertragung. Eine gedruckte Batterie genügt hierbei zur Energieversorgung.

Die interdisziplinäre Sensor Gruppe der AIT Competence Unit Molecular Diagnostics kann auf jahrelange Erfahrung im Bereich der Entwicklung von Sensorlösungen für die patientennahe Diagnostik zurückgreifen und besteht aus den Bereichen Physik, Chemie, Biologie und Elektronik und arbeitet an Konzepten, die eine engmaschige Überwachung des menschlichen Gesundheitszustands zulassen.

Das neuartige papierbasierte Diagnosetestkartenkonzept in Scheckkartenformat wird eine quantitative Messung von Biomolekülen in wenigen Tropfen der zu untersuchenden Körperflüssigkeit erlauben und ist vor allem für medizinisches Fachpersonal in der Praxis direkt vor Ort gedacht.

Partner

An dem durch Mittel der Europäischen Union geförderten Horizon 2020 Forschungsprojekts (Grant No. 761167) waren renommierte Partner beteiligt:

Vier Forschungsinstitute: AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Silicon Austria Labs GmbH, Papiertechnische Stiftung, Technische Universität Chemnitz
• Fünf KMU: Maurer Services GmbH, Maurer Engineering UG, Pro-Active sprl, Saralon GmbH, tagtron GmbH
• Fünf große Unternehmen: Felix Schoeller Holding GmbH & Co KG, Infineon Technologies Austria AG, R-Biopharm AG, Ricoh UK Products Ltd, Sun Chemical Ltd

Rainer Hainberger, Senior Scientist
Molecular Diagnostics, Center for Health & Bioresources
AIT Austrian Institute of Technology

Rainer Hainberger studierte Technische Physik an der Technischen Universität Wien und promivierte im Jahr 2000 an der Universität Tokio in der Abteilung für Elektrotechnik. Nach vierjähriger Tätigkeit bei Fujitsu Laboratories in Japan, wechselte er zum AIT. Seit 2015 leitet er als Senior Scientist eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Entwicklung von Biosensorsystemen für die patientennahe Diagnostik und Gesundheitsüberwachung befasst. Neben gedruckten Biosensoren liegt sein Forschungsinteresse an integriert-optischen Sensorkonzepten für die Gesundheitsüberwachung.

Weitere Blogbeiträge dieser Institution:

Telemedizin ist in der Regelversorgung angekommen und wird bei der Behandlung chronischer Erkrankungen immer wichtiger. Telegesundheitslösungen können sowohl die Mortalitätsrate als auch die Rehospitalisierungsrate deutlich senken und geben den Patient:innen Sicherheit und Selbstbestimmung. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, die Kapazitäten drastisch zu erhöhen und dem immer größer werdenden Bedarf gerecht zu werden.

In einer Gesellschaft mit einem steigenden Anteil an chronisch kranken Menschen wird eine integrierte Versorgung zunehmend wichtiger. Neben der effizienteren Nutzung vorhandener Ressourcen, insbesondere von Health Professionals (HP), dient sie vor allem der sektorenübergreifen Zusammenarbeit zwischen allen Akteur:innen im Gesundheitswesen –, die chronisch kranke Personen behandeln, mit dem übergeordneten Ziel, die beste Versorgung anbieten zu können.

Die Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme von chronischen Erkrankungen stellen eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Chronische Erkrankungen können eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wie zum Beispiel Einschränkungen der körperlichen Funktionsfähigkeit, was den Alltag erschwert. Die WHO definiert funktionale Gesundheit unter anderem als die Fähigkeit, tägliche Aktivitäten und Erwartungen an die Umwelt erfüllen zu können.