Chronische Schmerzen: Mit Virtual Reality das Schmerzempfinden verändern

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Frau Prof. Rittner, wie soll die in Ihrem Projekt angestrebte Behandlungsmethode von chronischen Rückenschmerzen mit VR aussehen?

Prof. Heike Rittner: Der Standard hier ist eine multimodale Therapie. Das heißt, Patientinnen und Patienten nehmen an Programmen teil, in denen sie verschiedene Schulungen absolvieren – beispielsweise zum Verhältnis von Psyche, Schmerz und Stress zueinander, aber auch Übungen, um sie zu mehr Bewegung zu bringen. Unser Ansatz beruht auf Studien, die gezeigt haben, dass Patientinnen und Patienten mit Brandverletzungen der Verbandswechsel weniger Schmerzen bereitet, wenn sie dabei mit einer Virtual-Reality-Erfahrung abgelenkt sind. Diese Schmerzerleichterung über eine Aufmerksamkeitslenkung funktioniert aber bei chronischen Schmerzen nicht so gut. Dort wollen wir jetzt mit der VR neu ansetzen und das VR-Erlebnis mit physiotherapeutischen Übungen kombinieren.

Mit diesen Übungen soll die eigene Körperwahrnehmung verändert werden – wie funktioniert das?

VR kann Menschen in eine andere Umgebung versetzen. Es gibt zur Behandlung von chronischen Schmerzen bereits Ansätze, die mit VR und einem Laufband beispielsweise einen Waldspaziergang simulieren, bei dem die Patientinnen und Patienten Hindernisse überwinden müssen. Die Wahrnehmung von Schmerz wird sehr stark vom Kontext bestimmt und wir wissen, dass das Gehirn Schmerzen auch kontrollieren kann. Wir möchten über solche Top-Down-Mechanismen – also dass das Gehirn Reize ins Gewebe schickt – eine Veränderung in der Schmerzwahrnehmung und der Schmerzunterdrückung hervorrufen. Physiotherapeutische Übungen kombiniert mit Virtual Reality: Das Projekt „ReliefVR“ geht der Frage nach, inwiefern die Schmerzwahrnehmung bei chronischen Schmerzen verändert und gesteuert werden kann.

Wo sehen Sie die Vorteile gegenüber anderen Behandlungsmöglichkeiten von chronischen Schmerzen?

Rittner: Dass Patientinnen und Patienten diese Übungen sehr gut auch zu Hause machen könnten, ohne dass sie die Physiotherapiepraxis oder die Schmerzklinik besuchen müssten. Über VR können wir die Bewegung anders steuern und wir glauben auch, dass in der VR-Umgebung Bewegung leichter fällt – einfach dadurch, dass sich die Umgebung damit auch beim häuslichen Training ändert. Das trägt zur Motivation bei. Ich denke aber auch, dass Menschen soziale Wesen sind und eine soziale Ansprache benötigen. Das können wir mit der VR verknüpfen. Etwa, indem die Übungen zu Hause aufgezeichnet werden und Therapeutinnen und Therapeuten diese telemedizinisch kontrollieren. Dann müssen Patientinnen und Patienten nicht mehrmals pro Woche in die Praxis kommen, sondern vielleicht nur alle vier Wochen. Trotzdem hätten sie den Vorteil, dass sie gut gesteuert werden.

Das Projekt ist gerade gestartet. Wie wollen Sie jetzt vorgehen?

Rittner: Nach einer abschließenden Sichtung der Forschungsliteratur zum Thema wollen wir die VR-Umgebung konzipieren, die dann mit gesunden Probandinnen und Probanden sowie Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen im Rahmen einer Machbarkeitsstudie getestet wird. Erst in der nächsten Förderphase gäbe es eine vergleichende klinische Studie, in der wir etwa auf Parameter wie Schmerzreduktion oder Funktionsverbesserung im Vergleich zur Standardtherapie eingehen können. ReliefVR ist spannend, weil es ein Entwicklungsprojekt ist und deshalb im Vergleich zu einer klinischen Studie relativ offen. Wir haben viel Raum zu überlegen, was für eine VR-Umgebung wir schaffen wollen. Das Projekt entstand durch einen Wettbewerb „Gesellschaft der Ideen“, der vom BMBF ins Leben gerufen war. Auf dem Wege sind wir Frau Yevgeniya Nedilko, Initiatorin und Ideengeberin, begegnet. Wir vom Universitätsklinikum Würzburg bringen Kompetenz aus der Medizin, Physiotherapie und Psychologie dazu mit, unsere Partner von der videoreality GmbH professionelles Wissen zur VR. Das empfinde ich als sehr bereichernd.

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