Komplexitätsforscherinnen und -forscher vom Complexity Science Hub (CSH) Wien haben in einer aufwendigen Recherche Daten zu Krankheitserregern in Österreich zusammengetragen, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können. Im Zeitraum zwischen 1975 bis 2022 zeigte sich, dass „die Anzahl der Zoonoseerreger in Österreich zunimmt“, wie es seitens des CSH hieß, das auch eine interaktive Landkarte zu der in „Nature Communications“ erschienenen Arbeit erstellt hat.
„Unser Projekt begann mit der Frage: Können wir die zoonotischen Schnittstellen in Österreich charakterisieren und visualisieren?“, so Amélie Desvars-Larrive vom CSH und der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Tatsächlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten, wo und wie solche Erreger zwischen den Spezies übertragen werden können. Daher ist in den vergangenen Jahrzehnten auch der „One Health“-Ansatz im Kommen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Menschen- und Tiergesundheit im Grunde genommen nicht wirklich zu trennen sind, da es sehr viele Überschneidungen gibt.
Laut Desvars-Larrive hat man es hier mit einem Menschen, Tiere und Lebensmittel umfassenden hochkomplexen System zu tun, in dem auch zahlreiche Überträger von Krankheiten zwischen den Spezies, wie etwa Gelsen oder Zecken, eine entscheidende Rolle spielen, und wo „die meisten Zoonoseerreger in der Lage sind, sowohl Menschen als auch verschiedene Tierarten aus unterschiedlichen Taxa (größere Lebewesengruppen, Anm.) zu infizieren“. Ein Ergebnis der neuen Analyse ist auch, dass vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten, die die Studie umfasst, das Erreger-Pool hierzulande größer geworden ist.
So kamen in diesem Zeitraum acht neue Zoonoseerreger dazu. Bekannte Neuankömmlinge sind etwa das West-Nil-Virus, das 2016 erstmals detektiert wurde, sowie das Usutu-Virus, das man 2001 erstmals nachwies. „Beide Erreger kommen hauptsächlich in Vögeln vor, können aber durch Mückenstiche auf den Menschen übertragen werden und wurden beide auch bereits in Pferden nachgewiesen“, heißt es. Im Schnitt tritt in Österreich in etwa alle sechs Jahre eine neue Zoonose auf, schreiben die Autoren in ihrer Arbeit.
Wie groß die gemeinsame Krankengeschichte von Tier und Mensch hierzulande insgesamt ist, lässt sich daran ablesen, dass von den insgesamt 197 Zoonoseerregern zwischen 1975 und 2022 immerhin 187 in insgesamt 155 verschiedenen Wirbeltierwirten in Österreich nachgewiesen wurden. Elf solche Erreger wurden zum Beispiel in Sandkisten gefunden und gleich 15 in Lebensmitteln. Vor allem in Fleischprodukten fanden sich mehrere Erreger. Bei den Überträgern – oder Vektoren – hatten Zecken in der unrühmlichen Statistik die Nase vorne: „Mit 16 verschiedenen übertragenen Erregern übertragen Zecken mehr Krankheiten als jeder andere Vektor“, wird Desvars-Larrive zitiert.
Nutztiere und Nahrungsmittel als Schnittstellen
„Auf ein erhöhtes Risiko der Übertragung von Zoonoseerregern deutet unsere Netzwerkanalyse an den Schnittstellen Mensch-Rind und Mensch-Lebensmittel hin.“ Außerdem spielen laut der neuen Netzwerkanalyse auch noch Hühner, Schafe und manche Fleischprodukte eine größere Rolle in dem System, da sie gleich mehrere Krankheitsquellen tragen und übertragen können. Die meisten Zoonoseerreger „teilen“ sich sozusagen der Mensch und seine in Österreich in großer Zahl vorhandenen Haus- und Nutztiere.
Die Forscher wollen mit ihrer online verfügbaren Karte „aufklären und Neugierde wecken“. Die neu zusammengetragenen Daten könnten „in Überwachungsprogrammen für Zoonosen sehr hilfreich sein, da sie als Risikoindikatoren dienen könnten“, so die CSH-Forscherin. Trotzdem gebe es bezüglich der Datenverfügbarkeit und bei der Bewusstseinsbildung darüber, was eigentlich alles eine Zoonose ist, noch viel Aufholbedarf: So werde das zu dieser Gruppe zählende Virus, das mit Abstand die meisten Verwerfungen mit sich gebracht hat – das SARS-CoV-2-Virus – in einschlägigen Publikationen nur sehr selten als Zoonose bezeichnet, moniert Desvars-Larrive.
Die Fachpublikation finden Sie hier.
(APA/red.)