Führung als Profession: Teamgeist

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Heinz K. Stahl

Im achten Teil widmet sich Heinz K. Stahl in seiner Essayreihe zum Thema „Führung als Profession“ dem Teamgeist. Welche Komponenten sind wichtig, wenn man den Teamgeist im Zusammenhang mit professioneller Führung untersuchen möchte?

Man kennt seine Kraft aus dem Mannschaftssport und er wird auch in der Führung gefordert, gepflegt oder beschworen. Nach seinem mystischen Ursprung ist der Teamgeist der gemeinsame „Atem“, der einem Team eine überrationale Kraft verleiht, die aus den Eigenschaften seiner Mitglieder nicht zu erklären ist. Mystik hilft uns jedoch nicht weiter, wenn wir den Teamgeist im Zusammenhang mit professioneller Führung untersuchen wollen. Wir müssen ihn vielmehr in seine Komponenten zerlegen, um daraus Schlüsse für die Praxis zu ziehen.

Die erste Komponente ist die Bereitschaft zur Kooperation. Nach Jean-Jacques Rousseau sind wir von Natur aus dafür gemacht. Sein Philosophenkollege Thomas Hobbes widerspricht: Wir verhalten uns in der Regel als rationale Egoisten, denen das eigene Hemd näher ist als der gemeinsame Unterschlupf. Tatsächlich folgen wir jedoch einem Sowohl-als-auch. Manchmal kooperieren wir, dass es eine Freude ist. Dann handeln wir wiederum so, als gäbe es niemand anderen auf dieser Welt. Es kommt offensichtlich auf die jeweiligen Umstände und die Situation an. Wir müssen zur Kooperation „erzogen“ werden. Das gelingt am ehesten, wenn wir den Nutzen der Zusammenarbeit nicht nur immer wieder vor Augen geführt bekommen, sondern ihn auch tatsächlich erleben.

Die zweite Komponente nennt sich Wir-Intentionalität. Sie ist die Steigerungsstufe der Kooperation. Intentionalität besteht darin, dass ich meine Absichten, Wünsche, Überzeugungen und Gefühle auf etwas Bestimmtes richte und vielleicht sogar darüber rede. Das „Wir“ kommt ins Spiel, wenn mehrere Menschen ihren Geist gemeinsam auf Gegenstände, Sachverhalte, Ziele oder Werte richten. Diese kollektive Gerichtetheit äußert sich etwa in jenen „Automatismen“, die wir oft bewundern – etwa im Mannschaftsport oder bei Zirkusartisten -, weil sie uns so schwer erlernbar scheinen. Diese Wir-Intentionalität bringt eine Leichtigkeit des Tuns hervor, die Ressourcen für Außergewöhnliches freisetzt. Sie verleiht Teams Eigenschaften, die aus den Wesenszügen der einzelnen Akteure nicht erklärbar sind. Sie schafft Souveränität aus einem Gefühl der gemeinsamen Selbstwirksamkeit.

Geteilte Denkmodelle sind eine weitere Voraussetzung für Teamgeist. Sie sind die Schnittmenge der individuellen Denkmodelle und bestimmen, wie eine Aufgabe anzugehen ist, wie mit Zeit umgegangen werden soll, wie die Mittel zur Zielerreichung einzusetzen sind und so fort. In den heute gängigen temporären Teams, deren hoch spezialisierte Mitglieder überwiegend über den Bildschirm miteinander kommunizieren, kann sich nur schwer eine geteilte Schnittmenge bilden. Man redet allzu oft aneinander vorbei und lässt dem Teamgeist keine Chance.

Zu guter Letzt braucht Teamgeist auch ein transaktives Gedächtnis. Dieses entsteht durch die Verknüpfung von individuellem Wissen mit dem Wissen der anderen. Mit der Hilfe dieses Gedächtnisses weiß ein Team mehr als seine einzelnen Mitglieder. Wenn ich mich daran erinnern kann, was die anderen wissen und ich mich darauf verlassen kann, dass die anderen sich daran erinnern können, was ich weiß, so steht allen ein Wissen unabhängig von Raum und Zeit zur Verfügung. Ich erweitere mein Gedächtnis, indem ich die Erinnerungen der anderen nutze.

Was bedeutet all dies für das Entstehen von Teamgeist? Er hat nur dann eine Chance, wenn ich mir sicher sein kann, den oder die anderen auch wiederzusehen. Wo ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, verflüchtigt sich der Teamgeist. Oder er bleibt in Deckung, sobald er merkt, dass er mithilfe bestimmter Techniken („Und jetzt gehen wir alle gemeinsam auf Schnitzeljagd“) herbeigezaubert werden soll. Der Teamgeist scheut auch die Hektik und er braucht einen geschützten Raum. Hier kann ich mich auf die anderen einlassen, ich kann in den Gesichtern lesen und hier bin ich auch bereit, meine Gefühle offenzulegen oder Fehler einzugestehen.

Der Teamgeist ist rar, weil er so anspruchsvoll ist. Er mag keine Harmoniesauce und braucht durchaus auch den Widerspruch. Sollte jemand im Laufe der Teamarbeit meine Kooperationsbereitschaft ausnutzen, so werde zwar ich mit gleicher Münze zurückzahlen, zugleich aber signalisieren, dass ich im nächsten Schritt wieder zur Zusammenarbeit bereit bin. Diese berechenbare Handlungsweise, nach dem Mathematiker Anatol Rapoport (1911-2007) „Tit for Tat“ genannt, vermag den Teamgeist in heiklen Situationen am Leben zu erhalten.

Prolog zum Thema „Führung als Profession“ von Heinz K. Stahl

„Wer führen will, muss in erster Linie fachlich kompetent sein.“ Dieses Credo unseres Kulturkreises hat seinen Ursprung in den Handwerkszünften des Mittelalters. Wer es vom Lehrling über den Gesellen zum Meister gebracht hatte, genoss gesellschaftliches Ansehen. Hohes fachliches Können war eine wichtige Voraussetzung, um in den späteren Manufakturen die Führung im Sinne des „Vorangehens“ und „Bestimmens“ zu übernehmen. Diesem Vorrang konnte auch die Erfindung der Bürokratie und des Managements zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig anhaben.

Heute stehen wir vor der Situation, dass „Führung“ immer noch ein eine Art Nachgedanke ist. Der beste Verkäufer wird Verkaufsleiter, der geübteste Techniker Betriebsleiter, der kenntnisreichste Zahlenjongleur Leiter des Controllings. Parallelen im Gesundheitswesen müssen nicht eigens erwähnt werden. Was sie für Führung brauchen, werden sich die Auserwählten schon irgendwie zulegen. Konfrontiert mit den Umbrüchen in der heutigen Arbeitswelt, etwa die ungebremste Pluralisierung der Wertvorstellungen und Motive, sollen sich Führungskräfte plötzlich mit dem Menschen als Subjekt und nicht als Objekt auseinandersetzen. Psychologie, Soziologie und Philosophie drängen sich auf. Überforderung macht sich breit.

Gibt es eine Leitidee, um Führung unter diesen Umständen eine Kontur zu verleihen? Ja, sie lautet „Führung als Profession“. Profession ist der Gegenpol zum Nebenbei, ist mehr als der „Job“, ist ein Bekenntnis zu Könnerschaft und Verantwortung. Dieses Buches möchte die geschätzte Leserschaft dazu anregen, diese Idee in ihrem eigenen beruflichen Kontext zu unterstützen.

Führung als Profession von H.K. Stahl, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 1, Springer Verlag-GmbH, Wien, 2022

Der Essay zum Thema Sinn erschien in Kapitel 1 „Grundlegendes“.

Heinz K. Stahl, ao. Univ.-Prof., Dr. rer. soc. oec.,
Chemieingenieur; 24 Jahre Managementpositionen im Unilever-Konzern in Österreich, Großbritannien, Australien, den Niederlanden und Deutschland. 26 Jahre als Verhaltenswissenschaftler in Lehre und Forschung; Research Associate, Interdisziplinäres Institut für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien; Wissenschaftlicher Leiter Executive-Education-Programme, Management Center Innsbruck; Wissenschaftlicher Partner, Lehrstuhl Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben; Forschungspartner Department Gesundheit, Fachhochschule Burgenland; zahlreiche Publikationen, Autor und Herausgeber, u. a. der Reihe „Fokus Management und Führung“, ESV Verlag Berlin. Forschungspartner des Zentrums für systemische Forschung und Beratung, Heidelberg. Research Associate, Interdisziplinäres Institut für verhaltenswissen­schaftlich orientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien.
info@hks-research.at
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