In Österreich sind laut Befragung noch immer viele Personen der Meinung, dass HIV-positive Menschen „gefährlich sind“ und sie trotz erfolgreicher Therapie im Alltag ansteckend sein könnten, berichteten Experten Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien. Dies könne mit richtiger Medikation nicht einmal beim Geschlechtsverkehr passieren. Durch mehr Aufklärungsarbeit soll dieses Unwissen und die Diskriminierung der Betroffenen – teils sogar in Arztpraxen – therapiert werden.
Bei einer repräsentativen Umfrage unter 1.000 Frauen und Männern über 18 Jahren im Juli 2023 mittels computerunterstützten Webinterviews in Österreich waren 21 Prozent der Ansicht, Menschen mit HIV (Humanem Immundefizienz-Virus) „stellten eine Gefahr für die Gesellschaft dar“. Sechzehn Prozent der Befragten würden keine Freundschaft mit einer HIV-positiven Person eingehen, und zehn Prozent nicht einmal neben einem betroffenen Menschen Platz nehmen.
Unwissen über die Krankheit ist in Österreich laut der Umfrage weit verbreitet: Zwei Drittel glaubt, dass HIV auch unter antiretroviraler Therapie sexuell übertragbar sei. Ein Drittel meint, dass das Virus durch einen Kuss weitergegeben werden kann und zwölf Prozent, dass das gemeinsame Verwenden von Gegenständen wie Gläsern oder Tellern zu einer Infektion führe. „Diese Fehlinformationen stehen im krassen Widerspruch zur Realität“, so die Experten. Bei entsprechender Therapie sei das Virus nicht einmal mehr beim Geschlechtsverkehr übertragbar. Auch während einer Schwangerschaft und bei der Geburt könne eine Ansteckung des Kindes effektiv verhindert werden. Schon gar nicht sei HIV im Rahmen alltäglicher Kontakte wie dem Benutzen der gleichen Toilette oder auch beim Küssen übertragbar, erklärte der Wiener Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Michael Skoll.
Das mangelnde Wissen führe vielerorts zur Diskriminierung von HIV-positiven Menschen. Die Österreichische Aids Gesellschaft schätzt, dass es hierzulande 8.000 bis 9.000 Betroffene gibt. Sie würden selbst in Arztpraxen benachteiligt, berichtete Andrea Brunner von der Aids Hilfe Wien: „Laut aktuellen Daten fanden im Vorjahr 70 Prozent aller gemeldeten Diskriminierungen im Gesundheitswesen statt.“ Betroffenen würde etwa eine Behandlung verweigert, der Termin ans Ende der Ordinationszeit verlegt oder sie erfuhren abwertendes Verhalten seitens des pflegenden und ärztlichen Personals. „Nichts ist schlimmer als ein Behandelnder, der vor einem zurückschreckt, wenn man sagt, man hätte HIV“, sagte Michael Hofbauer, der vor fünf Jahren die Diagnose HIV-positiv erhalten hat.
Auch der Ausschluss von HIV-positiven Personen vom Bewerbungsverfahren für den Polizeidienst in Österreich sei zum Beispiel ungerechtfertigt und unsachlich, so Brunner. Die Experten fordern verstärkte Bildungsmaßnahmen für Gesundheitspersonal und Allgemeinbevölkerung, um Vorurteile über HIV abzubauen und die Qualität der Betreuung zu verbessern.
Das HI-Virus greift bestimmte Zellen des menschlichen Immunsystems (T-Helfer-Zellen) an, erklärte Skoll. Eine unbehandelte Infektion führt zum Verlust dieser Immunzellen und zur Anfälligkeit auf verschiedenste Krankheitserreger. „HIV wird durch Kontakt mit Blut, Sperma, Vaginalsekret und dem Flüssigkeitsfilm auf der Darmschleimhaut übertragen“, sagte er. Am häufigsten bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr und der gemeinsamen Nutzung von Spritzen zum intravenösen Drogenmissbrauch.
Seit Mitte der 1990er-Jahre stehen probate Therapien gegen die HIV-Infektion zur Verfügung, so Skoll: Eine Tablette pro Tag lässt das Virus im Körper meist innerhalb eines halben Jahres bis unter die Labor-Nachweisgrenze sinken, verhindert damit ein Fortschreiten der Krankheit und ermöglicht dem Immunsystem zu regenerieren. Damit steigen Lebenserwartung und -Qualität auf ein normales Niveau. „Man muss also keine Todesängste mehr haben, wenn man diese Diagnose erhält“, sagte Hofbauer.
„Im gesellschaftspolitischen Bereich hinken wir den enormen medizinischen Fortschritten massiv hinterher“, sagte Wiltrut Stefanek vom Verein PULSHIV: „Die Botschaft, dass wir unter HIV-Therapie nicht ansteckend sind, muss viel mehr verbreitet werden“. Das Pharmaunternehmen Gilead Sciences Österreich will mit einer Kampagne etwa „neue Bilder von HIV schaffen“, wie es hieß: „Vier Sujets sollen veranschaulichen, dass HIV jede und jeden betreffen kann“. Die Firma mit Hauptsitz in Kalifornien (USA) habe bisher ein Dutzend HIV-Medikamente entwickelt und seit 2007 eine Niederlassung in Wien.
(APA/red.)