Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz haben – unter Einbindung von Patientenorganisationen – einen aktuellen Überblick über Diagnostik und Behandlung der Multisystemerkrankung ME/CFS erstellt. Das „D-A-CH Konsensus-Statement“ wurde am Dienstag in der „Wiener klinischen Wochenschrift“ veröffentlicht und soll im Hinblick auf Diagnostik und Therapie einen Überblick über aktuelle Optionen und mögliche zukünftige Entwicklungen bieten.
Ziel des Konsensusartikels sei es, den aktuellen Wissensstand zu ME/CFS zusammenzufassen, auf das Leitsymptom Post-Exertional Malaise (PEM) hinzuweisen und neben Diagnostik- und Therapieoptionen auch mögliche zukünftige Entwicklungen aufzuzeigen, heißt es in der Zusammenfassung. Der Überblick über die beiden derzeit bestehenden Therapieoptionen – Pacing (das Einhalten der individuellen Belastungsgrenzen) und Symptomlinderung – soll nicht nur Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten als Orientierung dienen. Auch Entscheidungsträger aus der Gesundheitspolitik und den Versicherungen sollen damit unterstützt werden – etwa in der Frage, „welche Therapieoptionen bereits zu diesem Zeitpunkt bei der Indikation ‚ME/CFS‘ von diesen erstattbar sein sollten“.
Verfasst wurde der Konsensus von mehr als 30 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen medizinischen und gesundheitlichen Bereichen sowie Patientenorganisationen aus dem D-A-CH-Raum, unter den Autoren befinden sich u.a. auch die ME/CFS-Expertin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité. Entstanden ist die Übersicht aus einer österreichischen Initiative unter Leitung der Public Health- und ME/CFS-Expertin Kathryn Hoffmann von der Medizinischen Universität Wien. „Unser Ziel ist es, einen kompakten, aber umfassenden Überblick zum State of the Art zu geben und damit ÄrztInnen und Ärzten und Therapeutinnen und Therapeuten bei der Diagnostik und Behandlung von ME/CFS-Betroffenen eine Orientierung zu bieten“, erklärte sie in einem Statement, das von der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS veröffentlicht wurde, die ebenfalls an der Entstehung des Artikels mitbeteiligten war.
Dringend notwendig sei der Schritt, „da es in allen drei Ländern an Versorgung für die schwerkranken ME/CFS-Betroffenen fehlt“, so die ÖG ME/CFS. Es mangle an Expertise, obwohl ME/CFS bereits seit 1969 von der WHO klassifiziert „und keineswegs selten ist“. „Bis heute gibt es in Österreich keine einzige Spezialambulanz für ME/CFS-Betroffene, wie das für andere ähnlich schwere und komplexe Erkrankungen üblich ist“, sagte die stellvertretende ÖG ME/CFS-Obfrau Astrid Hainzl. Betroffene würden daher bis zur richtigen Diagnosestellung jahrelang durch das Gesundheitssystem irren – „schwer krank, oft falsch diagnostiziert und behandelt“.
Mittlerweile seien systemische Störungen bei ME/CFS wissenschaftlich gut beschrieben – unter anderem im zentralen und autonomen Nervensystem, im Immunsystem, im kardiovaskulären System, in der Energiegewinnung in den Mitochondrien, im Darmmikrobiom oder in der Durchblutung von Muskulatur, Gehirn und anderen Organen. Dennoch verbreite sich das Wissen in der Praxis nur langsam. Als Folge dieser Unkenntnis und fehlender diagnostischer Erfahrung werde ME/CFS auch heute noch oft fälschlich psychosomatisch eingeordnet.
„Der Konsens fasst konkrete Untersuchungsmethoden und Werkzeuge zusammen, die bei ME/CFS-Patientinnen und Patienten angewandt werden sollten, um die Diagnose nach den international etablierten Kanadischen Konsensuskriterien (CCC) zu sichern und entsprechende Behandlungsschritte setzen zu können“, so Hoffmann.
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(APA/red.)