Ende der Pandemie: Eine offene, kritische und konstruktive „Nachbesprechung“ ist unverzichtbar

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Autor: Redaktion

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Die Pandemie ist das Brennglas, das Mängel im System überdeutlich zeigt. Oder – die Pandemie ist die größte Herausforderung für Land und Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese und ähnliche Aussagen begleiten uns seit März 2020 und fordern eigentlich unabdingbar eine intensive Aufarbeitung des Umgangs mit dem Verlauf der letzten drei Jahre, sowohl mit dem medizinischen und virologischen Fortgang wie auch vor allem mit Nutzen und Schaden der diversen Maßnahmen. Umso erstaunlicher, wie unterschiedlich in den Ländern und Gesellschaften damit umgegangen worden ist. Von der expliziten Verweigerung, um nicht in einem Kampf um die Deutungshoheit zu landen, bis hin zu einer bereits während der Pandemie begonnenen Aufarbeitung ist alles zu beobachten. Und das mit allen bekannten Schwachpunkten wie der Evaluation durch Kommissionen und Projekte mit den gleichen Personen, die zuvor tragende Rollen in der Politikberatung während der Pandemie hatten. Oder auch die Verlagerung in Projekte, deren Ergebnisse bei Erscheinen vorhersagbar niemanden mehr interessieren und im politischen Tagesgeschäft untergehen.

Gerade wegen der großen Einigkeit – über fast alle Interessengruppen hinweg – betreffend weitere Pandemien in der Zukunft erscheint die Aufarbeitung nicht nur wünschenswert, sondern geradezu unvermeidlich. Diese Situation und ihre Komplexität wurde sehr konzise in einem offenen Brief beschrieben, der mit 44 Erstunterzeichnern am 20. April 2023 veröffentlicht wurde und seitdem für weitere Unterstützung durch Unterschriften im Internet zugänglich ist (pandemieaufarbeitung.net). Das Besondere an diesem Brief ist, dass er – sowohl durch die Erstunterzeichner wie auch durch die weiteren Unterstützer – in der Thematisierung über die übliche, beschränkte virologisch-medizinischen Perspektive hinausgeht und konsequent die gesamtgesellschaftliche Betrachtung einmahnt:

„Eine offene, kritische und konstruktive ‚Nachbesprechung‘ ist unverzichtbarer Teil eines jeden professionellen Krisenmanagements. Dabei ist neben dem objektiven Lernprozess auch die integrative Wirkung einer offenen Debatte auf die Zivilgesellschaft wesentlich. Hierzu gehört ein sachlicher Austausch unterschiedlicher Standpunkte als zentrales Merkmal einer demokratischen Diskussions- und Lösungskultur.“ Damit greift der Brief einen der zentralen Schwachpunkte der letzten drei Jahre auf: den Fokus auf den engen, nur auf die gesundheitlichen Gefahren und Lebensgefahr durch das Virus beschränkten vermeintlichen Nutzen der Maßnahmen zu legen. Bewertungen von Maßnahmen fußen immer auf der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden unter Berücksichtigung der Kosten. Jahrzehnte der Entwicklung der HTA-Methodik haben dafür ein Fundament entwickelt, das genutzt werden sollte und muss.

Quelle: Gerd Antes, ehemaliger Leiter des Deutschen Cochrane Zentrums, Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Editorial des HTA Austria Newsletters Mai 2023. aihta.at

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