Jungärzte gehen lieber in ein PVE als in eine Einzelpraxis

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Autor: Josef Ruhaltinger

Franz Kiesl ist in der ÖGK hauptverantwortlich für die Weiterentwicklung des Primär­versorgungssystems in Österreich. Er erzählt, warum Kinderärzte auch PVE gründen sollen und wieso Österreich 130 Primärversorgungszentren gut brauchen kann.

Aus den Bundesländern ist immer lauter zu hören, die Gründung einer Primär­versorgungseinheit dauere zu lange. Wird es eine Novellierung des Primärver­sorgungsgesetzes geben?

Franz Kiesl: Meines Wissens laufen dazu Gespräche im Rahmen der Zielsteuerung Gesundheit. Sobald es hier Vorschläge für eine Gesetzesänderung gibt, werden diese sicher mit der Ärztekammer besprochen werden.

Was sind die Problempunkte?

Ich bin in die Gespräche zur Novelle nicht involviert. Meinen Informationen nach soll insbesondere das Ausschreibungsverfahren vereinfacht und die Gründung von PVE damit beschleunigt werden.

Geht es bei der Novellierung nur um eine Beschleunigung des Ausschreibungs­verfahrens?

Das glaube ich nicht. Es wird meines Wissens auch über die Einführung rein kinderärztlicher PVE diskutiert werden. Bislang sind PVE ausschließlich für Allgemeinmediziner vorgesehen, wobei Kinderfachärzte ins Kernteam aufgenommen werden können. Die Idee ist, dass rein kinderärztliche PVE-Modelle dazu beitragen könnten, Versorgungsprobleme in diesem Fachbereich zu lösen. Wir als ÖGK sind bestrebt, die kinderfachärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich zu verbessern.

Luft nach oben.
Franz Kiesl setzt darauf, dass die PV-Novelle künftige Gründungen beschleunigt. Am Ende des Roll-outs sieht er rund 130 PVE in Österreich.

Wann rechnen Sie mit Inkrafttreten einer Novelle?

Das kann ich nicht sagen. Das hängt natürlich vom Fortgang der Gespräche zwischen Bund, Ländern, Sozialversicherung und der Ärztekammer ab.

Ursprünglich hieß es, bis Ende 2021 sollen 75 PVE in Österreich installiert sein. Aktuell sind es 29. Kann man mit der Entwicklung zufrieden sein?

Nein. Der Ausbau der PVE hinkt klar hinter unseren Zielen hinterher. Er hat sich aber in letzter Zeit beschleunigt und wird von der ÖGK weiter forciert. Dort, wo es zur Eröffnung eines Zentrums oder eines Netzwerkes gekommen ist, sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden. Die PVE funktionieren und werden von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Meinen Informationen nach sind auch die Teammitglieder mit den Arbeitsbedingungen im PVE sehr zufrieden.

Was waren dann die Hemmschuhe, die den Roll-out des Systems so verlangsamt haben?

Die Ärztekammer hat in den Anfängen an der Idee der Primärversorgungseinrichtungen starke Zweifel geäußert – und das auch kommuniziert. Das hat viele junge Ärzte abgeschreckt und den Ausbau der PVE nicht gerade beschleunigt. Ein weiterer Grund für die verzögerte Entwicklung ist sicher das lange Fehlen der rechtlichen und vertraglichen Grundlagen. Es hat doch einige Zeit gedauert, bis das PVE-Gesetz auf Bundesebene beschlossen und der PVE-Gesamtvertrag vereinbart wurden. Und meines Erachtens werden die zahlreichen Vorteile einer Tätigkeit als Hausarzt oder in einer PVE in der öffentlichen Diskussion viel zu wenig dargestellt. Teilweise bekommt man den Eindruck, dass das Vertragsarztsystem generell und der tolle Beruf eines Hausarztes „krank geredet“ wird.

Was meinen Sie damit?

Ich meine, dass sowohl die Ärztekammern als auch wir die Vorteile eines Kassenvertrages in der Öffentlichkeit und auch gegenüber potenziellen Bewerbern besser darstellen sollten. Wir bieten hier attraktive Einkommen, flexible Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle, gute Arbeitsbedingungen, einen sehr weitgehenden Kündigungsschutz und die Möglichkeit, diese anspruchsvolle Tätigkeit nicht nur im Zentralraum, sondern auch in ländlichen Gebieten ausüben zu können. Dabei ist der Beruf des niedergelassenen Allgemeinmediziners ein extrem erstrebenswerter und respektierter Beruf.

Viele Vertragsärzte kündigen ihre Verträge, weil sie als Wahlarzt mehr oder das gleiche Geld mit weniger Arbeit verdienen…

Ich glaube, dass der „Trend“ zum Wahlarzt nicht in erster Linie wegen der dort höheren Verdienstmöglichkeiten besteht. Vielfach wird eine Wahlarzttätigkeit neben anderen Anstellungsverhältnissen und meist nur sehr eingeschränkt ausgeübt. Eine IHS-Studie aus dem Jahr 2015 kommt zum Schluss, dass die Einkommen der Vertragsärzte im Vergleich zu Spitalsärzten aber auch zu Wahlärzten höher sind. Diese Studie wurde auch kürzlich vom Rechnungshof zitiert. Aus unserer Sicht sind die Einkommen unserer Vertragsärzte attraktiv, aber die Einkommensfrage wird natürlich immer sehr kontrovers diskutiert.

Ist die Einzelordination noch zeitgemäß?

Aber selbstverständlich. Die Einzelordination wird unverändert eine wichtige Säule und Rückgrat der österreichischen Primärversorgung bleiben – auch dann, wenn das PVE-System voll ausgerollt ist.

Wo liegt der Plafonds der PVE-Gründungen?

Es gibt Berechnungen auf Basis der Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG), die von ca. 130 PVE-Standorten bis 2025 ausgehen. Das werden wir nicht in dieser Zeitspanne schaffen. Aber unsere Intentionen gehen in diese Richtung. Denn wir wissen jetzt, dass sich das Konzept der PVE in Österreich bewährt. Patienten nehmen diese Einrichtungen sehr gut an und auch die betreibenden Ärzte und das erweiterte Team sind mit dieser neuen Versorgungs- und Zusammenarbeitsform zufrieden. PVE sind unseres Erachtens eine der Lösungen, um den Versorgungsschwierigkeiten in bestimmten Regionen entgegentreten zu können. Jungärzte gehen vielfach lieber in eine PVE als in eine Einzelpraxis.    //

Zur Person:
Der gebürtige Helfenberger Franz Kiesl (61) ist seit 1988 bei der OÖGKK in verschiedenen leitenden Positionen tätig. Seit 1.1.2020 ist er mit der Fachbereichsleitung des Bereichs Versorgungsmanagement 1 in der Österreichischen Gesundheitskasse betraut. Franz Kiesl hat in OÖ die Einführung von PVE stark gefördert und gilt nach seinem Wechsel in die ÖGK als einer der Treiber des PVE-Gedankens auf Bundesebene.