Königsetappe

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Autor: Alexandra Keller

Das Tiroler Start-up UriSalt entwickelt ein völlig neues Testverfahren zur Messung von Elektrolyten. Chronisch Kranke oder Sportler können eigenständig und überall ihren Natrium- oder Magnesiumhaushalt überwachen – ohne jeden Piks.

Start-ups überschreiten Grenzen. Sonst wäre ihre Idee nicht neu. Und sie übernehmen Wagnisse. Im Bereich der Biowissenschaften kann diese Haltung das Leben von Menschen verändern. Das ist das Ziel, das dem Tiroler Unternehmen UriSalt die notwendige Energie verleiht. Das Spin-off der beiden Innsbrucker Universitäten – der Leopold-Franzens-Universität und der Med-Uni – hat ein Testverfahren entwickelt, mit dem der Elektrolythaushalt des Menschen kinderleicht gemessen werden kann. Was bislang nur mit einer Blutabnahme und einer Laboruntersuchung zu bestimmen war, schafft das Testverfahren auf Basis einer Urinprobe und eines einfach zu bedienenden Gerätes. Nicht-invasiv, leicht zu handhaben, ortsungebunden – das sind die Faktoren, die den Erfolg von UriSalt ausmachen sollen. Denn Störungen des Elektrolyt- und Mineralstoffhaushaltes bedeuten für betroffene Menschen unangenehme, manchmal dramatische Folgen.

Idee wird auf Kinderklinik geboren

Elektrolyte sind chemische Verbindungen, die für den Körper lebenswichtig sind. Dabei handelt es sich um Stoffe (Salze, Basen, Säuren), die in wässriger Lösung elektrischen Strom leiten können. Ihre Balance im Körper sichert das Funktionieren des Organismus. Natrium, Kalium, Calzium und Magnesium sind die bekanntesten unter ihnen. Der Verlauf von Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Durchfall-Erkrankungen hängt oft unmittelbar mit dem Elektrolythaushalt zusammen. Allein im DACH-Raum leben rund 18 Millionen Patienten mit Bluthochdruck, für die ein geregelter Elektrolythaushalt (Natrium!!) wichtig ist. Das Zielgruppen-Potenzial von UriSalt „ist riesig“, unterstreicht Pinar Kilickiran, CEO und Co-Founderin des Start-ups.

Die Idee für ein unkompliziertes Testverfahren für Elektrolyte wurde passenderweise auf der Innsbrucker Kinderklinik geboren. Peter Heinz-Erian ist Kinderarzt an der dortigen Uniklinik. Die Leiden der Babies und Kleinkinder bei der Blutabnahme waren herzzerreißend. „Anders war der Natriumhaushalt aber nicht zu bestimmen“, erzählt Kilickiran. Heinz-Erian wollte den Kindern und ihren Eltern das Leben leichter machen. Ihm schwebte ein Gerät zur einfachen Bestimmung des Natriumhaushaltes „zu Hause“ vor – ohne Blutabnahme und ohne Labor. Er pilgerte mit der Idee zum Gründungszentrum Cast Tirol (heute Startup.Tirol), wo zu der Zeit Pinar Kilickiran als Beraterin arbeitete. Die ersten Kontakte waren geknüpft.

Die Chemikerin Gerda Fuhrmann ist die dritte im Bunde. Kilickiran hatte mit ihr in Ulm und später in Stuttgart zusammengearbeitet und sie überzeugt, auch nach Innsbruck zu gehen. Auf Umwegen und ohne Kilickirans Zutun stieß Heinz-Erian auf Gerda Fuhrmann. „So hat sich der Kreis geschlossen“, erzählt Ki­lickiran, „und mit Gerda an der Spitze haben wir begonnen, an der Umsetzung zu arbeiten.“

Partnersuche für Investitionen

Nach einem Jahr reichte das Team den Businessplan beim Best of Biotech-Wettbewerb des Austria Wirtschaftsservice (aws) ein. Das Team überzeugte und wurde im September 2017 in das PreSeed-Programm des aws aufgenommen. Der Gründung der UriSalt Gmbh stand nichts mehr im Wege. Die Entwicklung konnte mit Mitteln des aws, der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft und des Landes Tirol finanziert werden. Rund zwei Millionen Euro flossen seither in die komplexe Technologie, die sich gerade in der Zulassungsphase als medizinisches Produkt befindet.
Als Produktionspartner für das Handanalysegerät konnte das Dornbirner Unternehmen Graf Elektronik und für die Firmware World Direct e-business Solutions GmbH gewonnen werden, eine 100-Prozent-Tochter von A1. World Direct sorgt seither auch für Vertrieb und Marketing. „Durch diese Partnerschaft haben wir eine finanzielle Unterstützung im mittleren sechsstelligen Bereich erhalten“, berichtet Kilickiran.

Die Urin-Teststreifen bilden gewissermaßen das Herzstück der Technologie. Auf den Elektroden werden Membrane angebracht, wobei eine Membran sich ein Elektrolyt aus der Urinprobe „schnappt“ und die zweite Membran den Kreatinin-Gehalt im Urin misst. Kreatinin ist ein Muskelabbauprodukt, dessen Wert die Rückschlüsse auf den Elektrolytgehalt erst möglich macht. „Die Produktion der Teststreifen machen wir in-house“, will Kilickiran die Kernkompetenzen im Unternehmen halten. Um die Produktionskapazitäten zu erhöhen, wird aktuell ein neuer Investor gesucht.
In der ersten Phase werden die sogenannten „High-Medical-Need-Patienten“ adressiert. Diese Gruppen leiden chronisch an Elektrolytstörungen und benötigen eine regelmäßige Überwachung. Dazu zählen etwa Patienten, die unter zystischer Fibrose leiden oder Menschen, bei denen es aufgrund von Medikamenten oder bestimmten Hormonstörungen vermehrt zu Elektrolytentgleisungen kommen kann. „Gleichzeitig evaluieren wir die Anwendung in Pflegeheimen und im Sportbereich“, erklärt Kilickiran.

Kerngruppe.

Am Anfang stand die Angst der Kinder vor der Blutabnahme – und das Erbarmen des Arztes. Das Gründerteam mit Gerda Fuhrmann, Peter Heinz-Erian und Pinar Kilickiran (v.l.n.r.)

Sekundenschnelle Testergebnisse

Es gehört zum Wesen von Leistungssport, Grenzen zu übertreffen. UriSalt war im September Partner einer Studie der MedUni Innsbruck: Belastungstests wurden unmittelbar im Wettkampf beobachtet – und Auswirkungen auf den Elektrolythaushalt vermessen. Dreizehn international erfahrene Radfahrerinnen absolvierten in fünf Tagen eine Strecke von rund 1.300 Kilometern und hatten dabei 22.500 Höhenmeter zu überwinden. Vor der Abfahrt, zur Halbzeit und nach dem Finish dieses außergewöhnlichen Rennens wurden die Sportlerinnen an der Uni-Klinik Innsbruck eingehend untersucht und während des Rennens bestimmten sie ihren Elekrolythaushalt selbst – mit dem einfach zu bedienenden Handheld, den Teststreifen und der UriSalt-App am Smartphone. Die Ergebnisse konnten sie in einer Minute erfahren.

Ausgangssituation für die Studie sind offene Fragen in der Welt der Ausdauersportler. Wird Ausdauersport hochintensiv betrieben, können lebensbedrohliche Fehlfunktionen des Körpers auftreten, deren Ursachen weitgehend ungeklärt sind. Dehydrierung oder Elektrolytungleichgewichte zählen zu diesen bekannten „Nebenwirkungen“ im Extremsport. Speziell Radsportler und Radsportlerinnen berichten über ausgeprägte Symptome wie Ödeme oder Urinveränderungen. Dem noch unbekannten Zusammenspiel der für die Fehlfunktionen verantwortlichen Faktoren widmet sich die international beobachtete Studie der Universitätsklinik für Innere Medizin IV – Nephrologie und Hypertensiologie. UriSalt lieferte die Daten. „Die gewonnenen Ergebnisse werden nicht nur für Profi- oder Ultra-Ausdauersportler, sondern auch im Freizeitsport hilfreich sein“, ist sich UriSalt-CEO Pinar Kilickiran sicher. Für Dopingkontrollen eignet sich das Testverfahren derzeit nicht: „Dafür müssten die Teststreifen stark geändert werden. Dies liegt nicht in unserem Fokus.“

Das Projekt läuft noch ein Jahr. Mit der Studie haben sich für UriSalt zwei neue Einsatzbereiche eröffnet: Sport und Medizinforschung. Ein (Selbst-)Monitoring, das rund um die Uhr wertvolle Informationen liefert, ist für Mediziner ein wahrer Daten-Eden. Zudem wirkt der Vergleich der UriSalt-Testergebnisse mit konventionellen Labormessungen wie ein Booster für die medizintechnische Zulassung. Daran arbeitet derzeit ein Team aus fünf Vollzeitmitarbeitern, zwei studentischen Assistenten und zwei Freelancern. „Wir hoffen, dass wir bald genügend Mittel haben, um das Team in Richtung Produktion und Vertrieb zu erweitern“, sagt Kilickiran. Der endgültige Markteintritt von UriSalt ist für Mitte 2022 geplant.    //

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