Manchmal ist das alles surreal

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Autor: Josef Ruhaltinger

Frau Dr. Bräutigam, wie geht es Ihnen nach zwei Jahren Corona?

Elisabeth Bräutigam: Die Akkus sind nach zwei Jahren erschöpft, und das gilt für alle im Haus. Wir stehen unter Dauerstrom. Eine Welle löst die andere ab – und dazwischen arbeiten wir die Operationen und Therapien auf, die wir während der Coronawellen verschieben mussten. Es hört einfach nie auf.

Was macht das mit Ihnen?

Wir sind alle innerlich leer. Die aggressive Atmosphäre macht es nicht leichter. Vor einem Jahr wurden die Ärzte und Pflegedienste beklatscht und bedankt. Heute hat man Angst, dass man bespuckt wird, wenn man das Krankenhaus verlässt. Viele fangen an zu überlegen, ob dies die berufliche Zukunft sein soll. Manchmal ist das alles surreal.

Wir stehen zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Ende Jänner vor der gleichen Situation, vor der wir uns im Oktober befunden haben: Wir schlittern sehenden Auges auf den Höhepunkt der Welle zu.
Wie bereiten Sie Ihr Haus vor?

Wir wissen jetzt: Omikron ist deutlich infektiöser, aber auch deutlich weniger pathogen. Die hohen Fallzahlen werden uns trotz geringerer Hospitalisierungsrate bis zum Äußersten fordern. Wir rechnen mit Belegungsraten wie im Herbst.

Schotten dicht?

Wir sind in unserem Beruf Krisenmanagement gewohnt. Dazu sind wir ausgebildet. Unplanbar ist die Ausfallsrate durch Quarantäne und Infizierungen beim Personal. Aktuell ist ein Hybridbetrieb möglich, bei dem wir auch Nicht-Corona-Fälle versorgen können. Aber wir erwarten den Worst Case und sind froh, wenn er nicht eintritt.

Zur Person:
Elisabeth Bräutigam ist Ärztliche Direktorin des Ordensklinikums Linz Barmherzige Schwestern. Sie promovierte 2001 zur Dr.in med. univ. an der Universität Wien und absolvierte fast gleichzeitig ihr Medizinrechtsdiplom. 2012 folgte die Sponsion zur Mag.a iuris an der Universität Wien. Elisabeth Bräutigam ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Radioonkologie.

Themenwechsel: Sie sind Medizinerin und ausgebildete Juristin. Unter Berücksichtigung beider Perspektiven: Macht eine Impfpflicht Sinn?

Es ist aus meiner Perspektive alles versucht worden, um die Menschen zu überzeugen, dass sie sich impfen lassen. Es hat ja alles nichts gefruchtet. Jetzt ist die Impfpflicht die Ultima Ratio.

Wie kann die Impfplicht zu einer Verbesserung der Impfraten führen, wenn 25 Prozent der Bevölkerung dies als Aufforderung zum zivilen Ungehor­sam verstehen?

Jetzt antworte ich als Juristin. Unser gesamter Alltag ist durch Tätigkeiten und Unterlassungen geprägt. Viele dieser Vorgaben sind dazu da, um die Interessen Dritter zu schützen. Wenn ich ein Haus baue, dann muss ich Normen einhalten, damit niemand zu Schaden kommt. Wenn ich eine Treppe zimmere, brauche ich ein Geländer, damit niemand runterfällt. Und wenn ich eine infektiöse Krankheit habe, dann muss ich alle notwendigen Dinge tun, um die Gefahr einer weiteren Verbreitung zu reduzieren. Da geht es immer um den Schutz von anderen. Sich hinzustellen und zu sagen, ein Geländer hilft nichts, weil in den USA trotzdem jemand verunglückt ist, macht das Schutzargument nicht untauglich.

Gegner der Impfpflicht sagen, für Omikron kommt das Gesetz ohnehin zu spät.

Aber mit der gegenwärtigen Welle ist das Thema nicht vom Tisch. Es kommen andere Wellen. Und Fakt ist, dass die Impfung zu einem sehr, sehr hohen Prozentsatz gegen Intensivstationsaufenthalte und tödlichen Verlauf hilft. Damit eine Gesellschaft und deren Zusammenleben funktioniert, muss der einzelne Bürger Eingriffe in seine Entscheidungsfreiheit hinnehmen. Und bei der Impfpflicht geht es um nichts anderes.

Kann die Impfpflicht vor weiteren Lockdowns schützen?

Ich bin keine Prophetin. Aber ich weiß, dass wir alles tun müssen, um der Pandemie ihren Schrecken zu nehmen. Eine Impfung ist ein vergleichsweise gelindes Mittel. Wissen Sie, was es mit uns macht, wenn man wie im Herbst zusehen muss, dass die Therapien für krebskranke Kinder unterbrochen und wichtige Operationen für junge Menschen nicht durchgeführt werden können, weil die Intensivstation über Wochen fast ausschließlich mit ungeimpften Corona-Patienten blockiert ist. Das alles wäre nicht notwendig.    //

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