Wie Architektur vor Infektionen schützen kann

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Autor: Petra Koller-Lechleitner

Die Erfahrungen mit COVID-19 verändern die Grundsätze der Architektur von Gesundheitseinrichtungen. Ein deutsches Großprojekt zeigt, wie das Patientenzimmer der Zukunft aus Sicht der Hygieniker aussehen wird.

Das Szenario wiederholt sich in der einen oder anderen Variation ständig: Ein vierjähriges Mädchen wird aufgrund eines Fieberkrampfes ins Spital gebracht. Dort liegen das Kind und die begleitende Mutter in einem Zimmer mit einem Buben, der starken Brechdurchfall hat. Zwei Tage später stellt sich heraus, dass der Junge an einem hochansteckenden Rotavirus leidet. Er wird sofort in ein Einzelzimmer verlegt. Doch Mutter und Tochter haben bereits zwei Tage lang die gleichen sanitären Anlagen benützt.

Schon vor der Corona-Pandemie waren ansteckende Viren und Krankenhauskeime ein quälendes Thema für jede Gesundheitseinrichtung. Hygiene ist in der Geschichte der Medizin seit Jahrhunderten ein Thema. Sauberkeit und medizinischer Fortschritt sind dabei elementare Treiber im Kampf gegen Bakterien und Keime. Die bauliche Gestaltung der Spitäler und Gesundheitseinrichtungen kommt dabei oft zu kurz. Und das will Jan Holzhausen ändern. Er ist Architekt am Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie und Gesundheitsbau IKE an der TU Braunschweig: „Wir forschen, wie die Übertragung von Keimen mit Mitteln der Architektur unterbunden oder zumindest minimiert wird.“

Keine Bühne für Erreger

Die smarte Bauweise eines Krankenhauses kann die Infektionskette von Erregern langfristig unterbrechen. Die Anzahl von örtlichen Infektionen soll so gering wie möglich gehalten werden. „Architektur beschäftigt sich mit dem Raum an sich. Der Raum ist die Bühne, auf dem das Ereignis der Übertragung zwischen Wirt und Krankheitserreger stattfindet. Und wenn die Bühne verändert wird, verändert sich auch die Art der Begegnung von Wirt und Keim“, veranschaulicht Holzhausen.

Bei Gesundheitseinrichtungen ist der bauliche Infektionsschutz Teil jeder Planung. Interdisziplinäre Teams aus Nutzern (Patienten und Personal) sowie Betreibern kooperieren bei der Bedarfsplanung, um sämtlichen elementaren Aspekten von der Hygiene über Logistik bis zum Brandschutz gerecht zu werden. Dabei wird sowohl der Normalbetrieb als auch der Betrieb im Akutfall bei lokaler oder epidemischer Infektion simuliert. Modulare Systeme können hier sogar die Isolierung von Teilbereichen eines Krankenhauses vorsehen.

Michael Bucherer, Architekt und ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKE an der TU Braunschweig leitet das Projekt CONTENT: Er und sein Team untersuchen, wie sich die Virusübertragung zwischen Personal, Patienten und Besuchern in sensiblen Einrichtungen wie Krankenhäusern mit architektonischen Mitteln verhindern lässt: „Wir wollen bauspezifische Antworten für die zum Teil ganz unterschiedlichen Anforderungen an Kliniken oder andere Einrichtungen finden.“ Bucherer betont aber, dass es genauso wichtig sei, effizient und gesund arbeiten zu können: „Bauliche Maßnahmen müssen an ein durchdachtes Prozessmanagement gekoppelt sein.“ Wie lassen sich Personenströme räumlich, aber auch zeitlich verteilen? Welche Person erhält Zugang zu welchem Bereich? „Aus hygienischer Sicht liegen die Knackpunkte an den Übergängen, an denen Personen mit ungeklärtem Infektionsstatus in einen sensiblen Bereich eintreten“, erklärt Bucherer.

Um eine Steuerung der Nutzerströme bei gleichzeitiger Reduktion der Kontakte zu erreichen, werden die wesentlichen Akteure (Patienten, Personal, Besucher, Lieferanten) so weit wie möglich getrennt. Typische Planungsmuster sind dabei unterschiedliche Flure oder eigene Aufzugsanlagen, die auch getrennt belüftet werden. In hoch sensiblen Bereichen wie in den OP-Trakten führt die Separierung von reinen und unreinen Gütern zu eigenen Sterilgutfluren, damit sich die Wege des kontaminierten Instrumentariums mit den reinen Instrumenten nicht kreuzen.

Die Wegeführung ist eines der zentralen Elemente einer nachhaltigen Hygiene-Architektur. Andreas Frauscher, CEO und Mitbegründer von Architects Collective in Wien, ist Experte für Gesundheitsbauten: Er verweist zu dem Zweck auf die Kammbauweise. „Wir haben diese Anordnung im Klinikum Klagenfurt umgesetzt, um die Trennung von Patienten, Personal, Besuchern und Lieferanten zu gewährleisten.“ Bei der Kammbauweise sind die einzelnen Bauten einer Anlage hintereinander in einer Reihe angeordnet und an einer Seite mit einem durchgängigen Verbindungsgebäude aneinander angeschlossen. Aus der Drohnenperspektive ergibt dies das Bild eines Kamms mit Zähnen. Das Prinzip ist erprobt: Bis in die späten 80er-Jahre wurden aufgrund der effizienten Schleusungseffekte Gefängnisse auf der ganzen Welt in der Kammbauweise errichtet.

Virus hinterlässt Spuren

Die Pandemie hat in der Krankenhausplanung ein Umdenken provoziert. Thomas Koller, Geschäftsführer bei PremiaFit, entwirft und baut Gesundheitseinrichtungen: „Bislang waren die Spitäler in unseren Breiten von einer offenen Kultur geprägt. Besuchern und Patienten war es möglich, die Untersuchungsräume und Patientenzimmer ungehindert aufzusuchen.“ Damit ist jetzt wohl Schluss: „Die Corona-Pandemie bringt es mit sich, dass die Eingangsbereiche durch erforderliche Schleusen bei den Eingängen architektonisch neu überdacht werden müssen.“

Für Architekt Andreas Frauscher sind veränderte Krankenhausstrukturen eine Notwendigkeit: „Für eine Erst-Anamnese ist es denkbar, separate Eingänge – wie sie für Kinder beispielsweise existieren – vorzusehen. Dort werden auch Schnelltests durchgeführt, bevor man überhaupt in ein Krankenhaus hineinkommt.“

Wegeplaner.
Architekt Andreas Frauscher hat das Klinikum Klagenfurt mitentworfen. Die Planung wurde so angelegt, dass sich die Pfade von Patienten, Personal, Besuchern und Lieferanten nicht kreuzen.

Klar ist, dass hygienefördernde Architektur so ziemlich das Gegenteil von Verdichtung meint – und daher teuer ist. Aber Einbettzimmer weisen ein deutlich geringeres Infektionsgeschehen auf als Mehrbettzimmer. Daher baut Dänemark gerade 18 Superkliniken mit modern designten und hygienischen Ein-Bett-Zimmern, um Krankenhausinfektionen zwischen den Patienten zu reduzieren und die Rekonvaleszenz durch guten Schlaf zu verbessern.

Die TU Braunschweig gilt derzeit als das europäische Zentrum für Architektur in Gesundheitseinrichtungen. Neben dem Projekt CONTENT hat im Herbst das Programm KARMIN für branchenweites Echo gesorgt: In Zusammenarbeit mit der Berliner Charité untersucht das Projekt, ob Zweibettzimmer so geplant und gebaut werden können, dass sie auch im Sinne der Infektionsprävention eine Alternative zum Einbettzimmer darstellen können – und so Errichtungskosten bei gleichen Hygienestandards sparen helfen. Das Resultat ist seit September als Echtversuch vor dem Klinikum Braunschweig zu besichtigen.

Die Ansätze sind manchmal simpel, oft überraschend: Die Planer haben beispielsweise zwei getrennte Bäder vorgesehen, um die Übertragung von Erregern zu minimieren. Die getrennten Bäder gewährleisten mehr Hygiene: „Wir gehen davon aus, dass die Mehrkosten für die zweite Nasszelle dadurch ausgeglichen werden, dass Kosten für eventuelle Infektionsbehandlungen wegfallen“, setzt KARMIN-Projektleiter Wolfgang Sunder von der TU Braunschweig auf Umwegrentabilität. Auch sind die Betten gegenüber statt nebeneinander aufgestellt. Selbst die Anzahl der Desinfektionsspender wurde erhöht und die Wegeführung für das Klinikpersonal optimiert.

Schuhschachtel.
Vor dem Braunschweiger Klinikum steht das Patientenzimmer der Zukunft – bis jetzt als Demo-Projekt. Ein Zweibett-Zimmer soll den Hygienestandard eines Einbettzimmers einhalten können

Gemeinsam wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Materialien, Oberflächen und Ausstattungselemente erproben, die leicht zu reinigen sind und so helfen, gefährliche Keime einzudämmen. Sie greifen dabei auf eine Studie der Wissenschaftler der Charité Berlin zurück, die über ein Jahr lang Abstriche in Patientenzimmern sowie Proben direkt von Patienten genommen haben. „So können wir zum ersten Mal zeigen, wie sich das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, auf den Oberflächen im Krankenhaus aufbaut“, heißt es in einer Aussendung der Charité/ Institut für Hygiene und Umweltmedizin. Ein eher verblüffendes Ergebnis: Einerseits vernichten Reinigungsmittel Bakterien, schaffen andererseits aber auch Nischen für gefährliche Erreger. „Wir empfehlen, keine antibakteriellen Oberflächen in Patientenzimmern einzusetzen“, wird Hortense Slevogt zitiert. Sie ist Professorin für Immunologie am Universitätsklinikum Jena. Ihre Begründung: „Damit können auch Mikroben abgetötet werden, die nützlich sind.“ Daher sollen im Krankenzimmer der Zukunft Sensoren und neue innovative Reinigungssysteme dafür sorgen, dass eine Keimbelastung schnell identifiziert und beseitigt wird. Denn weitere Ergebnisse zeigen, dass Handläufe, Türgriffe oder Sanitäranlagen auch bei guten Reinigungsintervallen für eine große Anzahl von Krankheitserregern einen fruchtbaren Boden darstellen.

Um dies in den Griff zu bekommen, sollen Mediziner, Pflegepersonal und Reinigungskräfte unter den Echtbedingungen des Demo-Zimmers testen, wie mit den Wegdiagrammen, Materia­lien und Oberflächen gearbeitet werden kann. Begleitet werden die Untersuchungen im Demonstrator durch den Aufbau eines Monitoringsystems, das die Energie- und Stoffströme überwacht und gleichzeitig die Vitalparameter des Patienten beobachtet. Die Zukunftsmusik ist laut: Die Realisierung zumindest einiger der gewonnenen Erkenntnisse von KARMIN wird nicht auf sich warten lassen. Die Infektiosität der Pandemie gibt den Stimmen der Hygieniker in den Gesundheitseinrichtungen Resonanz. Architekten und Betreiber werden die Warnungen nicht länger überhören können.    //

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