Wisch und weg

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Autor: Norbert Peter

Jährlich sterben in Österreich rund 5.000 Menschen an nosokomialen Infektionen. Ein Forschungsteam aus Jena und Berlin untersucht die Wirksamkeit verschiedener Reinigungs­techniken in Krankenzimmern. Probiotische Putzmittel sind eine mögliche Lösung.

Es gibt keine exakten Zahlen über die Opfer der „Krankenhausinfektion“. 4.500 bis 5.000 Menschen sterben jedes Jahr in Österreich an nosokomialen Infektionen („Spitalskeime“), etwa fünf Mal so viele wie im Straßenverkehr. Worst-Case-Schätzungen gehen sogar von bis zu 10.000 Opfern jährlich aus, die an Wundinfektionen in den heimischen Gesundheitseinrichtungen sterben. Die Gefahr der nosokomialen Infektion gilt als die zentrale Herausforderung der Krankenhaus-Hygieniker. Die „Initiative minus 15 Prozent“ nützt die Aufmerksamkeit, die sich im Sog der Pandemie zum Thema Hygiene aufbaute. Sie wurde von der „Initiative Sicherheit im OP“ (SIOP) und der Österreichischen Plattform Patientensicherheit ins Leben gerufen und strebt eine Verringerung der nosokomialen Infektionen in Österreich innerhalb der nächsten fünf Jahre um 15 Prozent an. „Wir wissen aus aktuellen Umfragen, welche hohe Bedeutung nosokomiale Infektionen bei den Patientinnen und Patienten hat. Jetzt geht es darum, die Hygienestandards der COVID-Pandemie beizubehalten“, stellte Maria Kletečka-Pulker anlässlich einer Round Table-Diskussion klar. Sie ist Geschäftsführerin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit. Neben strengen Hygienestandards und mehr Aufklärung fordert die Juristin evidenzbasiertes Wissen, um die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen bewerten zu können: „Wir dürfen nicht im wissenschaftlichen Blindflug vorgehen.“

Internationale Forschungstätigkeit

Belastbare Ergebnisse kommen aus Deutschland. Neben der Handhygiene untersuchte eine gemischte Forschungsgruppe aus Jena und von der Charité in Berlin unterschiedliche Reinigungsansätze in den Patientenzimmern. Herkömmliche Desinfektionsmittel stoßen immer öfter an ihre Grenzen („Comparative analysis of surface sanitization protocols…/Klasserl; Zubiria-Barrera; Neuberl et al.; siehe „Links und Quellen“). Das beginnt schon bei der erneuten Kontamination: Bereits 30 Minuten nach der Desinfektion der Oberflächen wurde eine Neubesiedelung durch Bakterien festgestellt. Dabei wurde die Entstehung resistenter Bakterienstämme unterstützt. Untersucht wurden speziell Fußböden, Waschbecken und Türgriffe. Im Test stellte man übliche Desinfektionsmittel, Haushaltsreiniger und probiotische Reinigungsmittel einander in der Wirksamkeit gegenüber. Ort der Handlung: Neun Zimmer auf der neurologischen Station der Berliner Charité. Kontrollabstriche wurden nicht nur auf den genannten Oberflächen genommen: Bei Patienten wurden zusätzlich Nasen- und Rektalabstriche vorgenommen.

Wischen gegen Keime: Reinigungsmittel mit probiotischen Bacillus-Sporen desinfizieren laut Studie „Oberflächen bei signifikanter Verbesserung der Pathogenkontrolle“. Die Studie wird in der Hygiene-Community nicht ohne Kritik aufgenommen.

Der probiotische Ansatz

Für effektive und nachhaltige Lösungen wurde ein neuer Denkansatz ins Zentrum gestellt: Nützliche Mikroben sollten schädliche Bakterien ersetzen. Zum Einsatz kamen umweltverträgliche Reinigungsmittel mit probiotischen Bacillus-Sporen, um die Oberflächen zu desinfizieren. Die Studie berichtet dabei von „einer signifikanten Verbesserung der Pathogenkon­trolle“ im Vergleich zu herkömmlichen Desinfektionsmitteln. Dies führt zu sicheren Bedingungen für die Patienten und nicht zu vermehrter Resistenz von Bakterien. Besonders auffallend waren die Ergebnisse im Waschbecken. Zwölf Gensequenzen, die eine Resistenz gegen Antibiotika vermitteln, wurden näher untersucht. Die probiotische Reinigung zeigt hier Wirkung: Mikroben mit derartigen Genen waren im Waschbecken deutlich seltener zu finden. „Der interessanteste Effekt, den das probiotische Reinigungsregime bewirkte, war eine signifikante Reduktion insbesondere jener Antibiotikaresistenzgene, die in den multiresistenten MRSA-Bakterien gefunden werden“, betonte Hortense Slevogt, Professorin der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Studienleiterin.

Anstelle gefährlicher Bakterien siedelten sich welche an, die für die Gesundheit des Menschen unbedenklich sind. Damit ist für das Forscherteam der positive Effekt eines probiotischen Reinigungsregimes belegt. „Die Ergebnisse unserer Studie sind vielversprechend und sollten nun in randomisierten klinischen Studien validiert werden“, erklärt Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité. Die Medizinerin sieht weiteren Forschungsbedarf, um unerwünschten Effekten vorzubeugen. Das massive Einbringen neuartiger Bakterienstämme könnte die mikrobiellen Strukturen und das ökologische Gleichgewicht der Umwelt entscheidend beeinflussen.

Verringerung resistenter Bakterien:
Hortense Slevogt ist Leiterin der Forschergruppe „Respiratory Infection Dynamics“. Sie stellt eine signifikante Reduktion jener Antibiotika­resistenzgene fest, die „in den multiresistenten MRSA-Bakterien gefunden werden“.

Wie Wien wischt

Die Ergebnisse sind auch in Wien angekommen. Sie stoßen auf Interesse, hinterlassen aber offene Fragen: „Es gibt Hinweise, dass eine Oberflächenbehandlung mit nicht abtötenden Wirkkonzentrationen von Desinfektionsmitteln das Entstehen von Antibiotika-Resistenzen begünstigt. Natürlich wäre es günstig, die unerwünschten Keime mittels probiotischer Reinigung zu verdrängen“, interpretiert Judith Wenisch die Forschungen von Jena und Berlin eher vorsichtig. Die Leiterin der Stabsstelle Krankenhaushygiene der Klinik Penzing verweist auf einen speziellen Aspekt der durchgeführten Studie. Das Team habe zwar durch den Einsatz eines Bazillen-hältigen Detergens gezeigt, dass zumindest an einem von drei untersuchten Oberflächenmaterialien die Diversität des Umweltmikrobioms steigt. „Auf die Besiedelung oder Resistenzen der Keime, die bei den Patientinnen und Patienten gewonnen wurden, hatte die unterschiedliche Oberflächenbehandlung aber keinen signifikanten Einfluss“, gab die Ärztin zu bedenken: „Letzteres muss aber am Ende die relevante Zielgröße sein.“ Ob also der Einsatz von Probiotika in Reinigungsregimes tatsächlich im klinischen Alltag ankommen wird, müsse sich erst zeigen. Gleichzeitig weist Wenisch darauf hin, dass nicht nur der Schutz vor nosokomialen bakteriellen Infektionen auf der Tagesordnung steht. Gerade in Corona-Zeiten gehe es um die Verhinderung von im Krankenhaus erworbenen, in erster Linie aerogen übertragbaren Virusinfektionen: „Neben Luftwechselrate, Maske und Händedesinfektionsmitteln, die hier an erster Stelle stehen, sind wir sehr froh, dass die für die konventionelle Wischdesinfektion eingesetzten Flächendesinfektionsmittel viruzid wirksam sind.“

In den Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes sind definierte Desinfektionspläne in Verwendung. Dabei werden zur Auswahl der Desinfektionsmittel in der Regel entweder das Expertisen-Verzeichnis der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) oder die Desinfektionsmittelliste des Verbunds für Angewandte Hygiene (VAH) herangezogen. Die Pläne enthalten detaillierte Angaben zu Indikationen, Produkten, erforderlichen Konzentrationen, Einwirkzeiten und Reinigungsfrequenzen. Sie werden in regelmäßigen Abständen auf Aktualität überprüft und sind in den einzelnen Funktionsbereichen (Stationen, Ambulanzen, Intensivstationen, Röntgeninstitut etc.) meist für jeden ersichtlich angebracht.

Oberflächen werden in der Regel mittels Wischdesinfektion gereinigt. Ziel dieser Oberflächenbehandlung ist es, eine Keimreduktion im Sinne einer Keimabtötung zu erreichen. Andere Verfahren mit demselben Ziel, wie etwa die Sprühdesinfektion, haben sich im Klinikalltag als weniger praktikabel oder als unzureichend effektiv herausgestellt. In welchem Ausmaß Oberflächen ein potenzielles Reservoir für klinisch relevante Erreger und Quelle für die Übertragung von im Krankenhaus erworbenen Infektionen sein können, sei wissenschaftlich umstritten. „Fest steht, dass die Desinfektions- und Reinigungsmaßnahmen einen zeitlich sehr limitierten Effekt auf die Umgebungskeime haben“, erläutert Wenisch. 

Quellen und weitere Infos:

www.sicherheitimop.at

www.clinicalmicrobiologyandinfection.com

www.uni-jena.de

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