Im Geschäft mit der Winzigkeit

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Alexandra Keller

Ein Spin-Off der Med Uni Graz entwickelt ein Verfahren, das die industrielle Herstellung von Nanopartikeln wesentlich verbilligen kann. Mit dem gesteigerten Einsatz nanotechnischer Verfahren würden Entwicklungszeiten für Medikamente kürzer und Nebenwirkungen seltener.

Die Nanowelt lebt in der Dimension von Millionstel Millimetern. Anders ausgedrückt: Im Verhältnis von 0,000000001 Meter. Ein anschaulicherer Vergleich: Ein menschliches Haar hat den Durchmesser von rund 80.000 Nanometern. Nanos steht im Altgriechischen für Zwerg. Die Nanowelt ist für forschende Menschen vollgestopft mit Geheimnissen, die darauf warten, gelüftet zu werden. „Die Nanotechnologie ist nichts, was die Menschheit erfunden hat. Ein Baum verwendet Nanotechnologie beispielsweise zum Nährstofftransport, auch das menschliche Blut ist partikulär aufgebaut“, erklärt Christian Hill und ergänzt: „Die Prinzipien gibt es schon immer und wir verstehen immer mehr, wie sie funktionieren, und können das für uns nutzbar machen.“

Christian Hill hat Umweltsystemwissenschaften studiert, ist Doctor rerum naturalium und forscht seit 2018 an der Med Uni Graz am Gottfried Schatz Forschungszentrum. 2020 hat er – gemeinsam mit seinem Cofounder Gerhard Prossliner – das Spin-Off Brave Analytics gegründet.

Hill packte die Begeisterung für das Winzige bereits während seines Studiums in Graz. Nachhaltige Rohstoffe standen am Beginn seiner Forschungen. „Ich hatte einen ausgezeichneten Professor an der physikalischen Chemie. Da habe ich verstanden, dass alles, was nachwächst, in kleinste Bestandteile zerlegt und wieder zusammengesetzt werden kann“, erzählt er. Zu der Zeit hat er auch verstanden, dass Licht ein Schlüssel sein könnte, um die für Organismen so entscheidende Welt im Milliardstel-Meter-Bereich besser beobachten und analysieren zu können.

Billigere Nano-Produktion.
Im Bild das Laser-Setup, das Christian Hill für seine Dissertation aufgebaut hat. Mithilfe dieser Testanordnung hat er die OF2i-Methode der Partikelcharakterisierung entwickelt.

Mehr Qualität im Produktionsverfahren

Nanotechnologie wird in vielen Bereichen verwendet und genutzt – in der Kosmetikindustrie etwa, der Kunststoff- und Elektronikbranche, der Autoindustrie oder in der Medizin, wo künstlich produzierte Nanopartikel der Optimierung von Wirkstoffen dienen. Als Wirkstoffträgersysteme kommen sie bei den COVID-19-Vakzinen zum Einsatz, um die dabei entscheidende Messenger-RNA zu ihrem Zielort zu bringen. Nano-Medizin wirkt präzise: Nebenwirkungen werden reduziert, die Aufnahme und Bioverfügbarkeit wird verbessert, selektives Targeting wird ermöglicht.

Nanotechnologie gilt als Schlüsselwissenschaft des 21. Jahrhunderts. Trotz aller Fortschritte bergen die Herstellungsverfahren immer noch viele Unwägbarkeiten. Obwohl täglich hunderte Tonnen an Nanopartikeln produziert werden, ist eine Qualitätskontrolle bei den Erzeugnissen bislang unbefriedigend. Erst am Ende des entscheidenden Produktionsschrittes kann festgestellt werden, ob das Ergebnis zufriedenstellend ist oder nicht.

Die Europäische Kommission forciert ein Programm, das „den Flaschenhals“ der unzureichenden Qualitätskontrolle beseitigen soll. Mit dem EU-Projekt NanoPAT werden umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt, um die Produktionsverfahren zu sichern. Programmvorgabe sind verlässliche Verfahren, die eine unmittelbare Qualitätskontrolle des Herstellungsprozesses erlauben.

Christian Hill beteiligte sich an der Erforschung der Qualitätsprobleme. „Ich fragte mich, ob man nicht Licht verwenden könnte, um besser in diese Nanowelt reinschauen zu können“, sagt der Wissenschaftler. Der Startschuss für diesen Fortschungsansatz fiel am Gottfried Schatz Forschungszentrum der Med Uni Graz. Im Rahmen des Projekts „Light Matters“ hatte eine junge Gruppe von Forschern die (heute patentierte) Opto Fluidic Force Induction Technologie (kurz OF2i) entwickelt. Mithilfe dieses Verfahrens können Konzentration, Größe und Form von Nanopartikeln in Flüssigkeiten bestimmt werden. „Nanopartikel sind so klein, dass sie sich zu bewegen beginnen, wenn man mit dem Laser draufhält“, beschreibt Hill seinen Forschungsansatz. Er nutzt diese Bewegungen, um die Partikel zu beobachten, zu analysieren und zu charakterisieren.

Vor knapp zehn Jahren lernte der junge Wissenschaftler jene Mitstreiter kennen, mit denen er 2020 das Spin-Off Brave Analytics gründete. Basis des Start-ups ist der Nachweis, dass Nanopartikel mittels Licht beim Wachsen beobachtet werden können und Photonen-Kraft diesen Prozess zu manipulieren vermag. Dem Team rund um Hill und Prossliner ist es gelungen, auf Basis des sogenannten lichtbasierten Durchflussverfahrens minimale Veränderungen der Nanopartikel live beobachten zu können. Komplexe Algorithmen lesen aus diesen Mustern die entscheidenden Charakteristika der Partikel aus. Anfang 2023 wird Brave Analytics die ersten kompakten Laborgeräten auf den Markt bringen, die die Partikelgröße schnell und einfach während des Herstellungsprozesses kontrollieren können. Damit ist sichergestellt, dass die Nanopartikel die gewünschten Eigenschaften aufweisen.

Kleinkram.
Gerhard Prossliner (li) und Christian Hill wollen mit ihrer Forschung die Herstellung von Nanopartikeln deutlich beschleunigen. Ihre Methode erlaubt eine produktionsimmanente Qualitätskontrolle der Partikel: Sie stellen sicher, dass die Nanoteile die Fähigkeiten haben, die der Erzeuger braucht.

Industriekompatibel

Das EU-Projekt NanoPAT soll für Brave Analytics die Brücke vom Labor in die Wirtschaft schlagen. „Die Robustheit der Geräte muss ein Niveau erreichen, dass die Technologie industrietauglich wird“, sagt Hill. Um den entscheidenden Schritt zu setzen, arbeitet das Spin-Off mit einem portugiesischen Unternehmen zusammen, das sich auf die Herstellung von Hydroxylapatit spezialisiert hat. Hydroxylapatit ist ein Mineral, mit dem das Wachstum künstlicher Knochen ermöglicht wird. Das Verfahren soll die Zahnmedizin völlig verändern. Der chemische Herstellungs­prozess der Partikel dauert 24 Stunden. Die aktuellen Methoden erlauben eine Kontrolle der Partikel erst am Ende des Verfahrens. Hill: „Wir arbeiten mit dem Unternehmen an einer Strategie, um den Herstellungsprozess während der gesamten 24 Stunden kontrollieren zu können.“ Dabei geht es nicht nur darum, die einzelnen Schritte und das Formieren der Partikel besser zu verstehen, sondern auch darum, Potenziale zu erkennen, um den Prozess besser einzustellen.

Um das Verfahren zu optimieren – etwa durch eine Veränderung des ph-Wertes, der Temperatur oder des mechanischen Rührprozesses –, stellte das iberische Unternehmen den Grazern einen Minisynthesereaktor zur Verfügung. Mit Beginn des kommenden Jahres soll das Gerät im industriellen Umfeld zum Einsatz kommen. In der Produktion sei noch viel Luft nach oben, ist der unternehmende Wissenschaftler überzeugt: „Eine kontinuierliche Produktion ist viel effizienter, als 1000 Liter eines Präparates herzustellen und dann wieder 1000 Liter und so weiter.“ Werden pro Minute fünf Liter produziert und immer kontrolliert, wird nicht nur die Qualität erhöht, sondern auch Ausschuss beziehungsweise Abfall vermieden. Diese Fakten vermögen selbst große Pharma-Unternehmen zu einem Umdenken zu animieren. Hill: „Pharmafirmen sind große Schiffe. Es dauert, sie umzudrehen. Aber es ist schön, dass wir das ein Stück weit begleiten können. 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

Gesundheitskompetenz in Krisenzeiten

Das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz (DNGK) veranstaltet vom 30.8. – 1.9.2023 gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) sowie dem Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz (NAP) eine Tagung in Hannover. Das Thema der Tagung lautet: Gesundheitskompetenz in Krisenzeiten.