Jede Hand zählt

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Autor: Josef Ruhaltinger

Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl über das Potenzial des Pflegepraktikums.

Herr Kerbl, Sie haben mit Ihrem Vorschlag eines Pflegepraktikums hohe Wellen provoziert. Haben Sie die heftigen Reaktionen überrascht?
Reinhold Kerbl: Ich wusste, dass es um ein sensibles Thema geht. Dennoch hat mich die Intensität der Reflexe überrascht. Aber offensichtlich berührt das Thema viele Interessengruppen.

Was war Ihre Absicht?
Es geht um den Pflegenotstand. Wir schicken täglich Patienten unversorgt nach Hause. Damit rauben wir ihnen Lebensqualität, unter Umständen sogar das Leben. Das ist für mich unerträglich.

Wie kamen Sie auf die Idee des Pflegepraktikums?
Die Lösung liegt doch unmittelbar vor unserer Nase. Wir verfügen mit den vielen Bewerbern um einen Studienplatz in Medizin über eine enorme Ressource an jungen Menschen, die definitiv eine Nähe zur Patientenversorgung bekunden: Und was machen wir? Wir testen sie mit einer fragwürdigen Reihungsprüfung. Dann fällt der Großteil durch und wir schicken sie nach Hause. Die Einzigen, die von diesem Mechanismus profitieren, sind die Pauker-Institute, die 2.000 Euro und mehr für die Vorbereitungskurse nehmen. Das ist doch Unsinn.

Ein heute sehr bekannter Professor hat während des Studiums als Stationsgehilfe gearbeitet und bezeichnet das als das wichtigste Jahr seiner Ausbildungszeit. Was soll da­ran absurd sein?

Ist das Potenzial groß genug?
Natürlich wird nicht jeder und jede der jährlich fast 12.000 am Medizinstudium Interessierten von der Idee begeistert sein. Aber wenn 4.000 oder 5.000 derjenigen, die sich für den Gesundheitsdienst inter­essieren, für ein Jahr in das Praktikum eintreten, dann ist schon viel gewonnen. Jede zusätzliche Hand zählt.

Und damit wären unsere Pflegeprobleme gelöst?
Natürlich nicht. Da braucht es mehr. Es ist allen im System klar, dass wir eine Reform der Reform brauchen. Und natürlich benötigen wir zusätzliche qualifizierte Pfleger und Pflegerinnen. Mit Praktikanten alleine werden wir das Loch nicht stopfen. Aber die jungen Leute würden einen wichtigen Beitrag liefern.

Ihr Vorschlag wurde als absurd bezeichnet …
Was soll ich sagen? Ich habe viele Zuschriften von Ärztinnen und Ärzten, aber auch Studierenden erhalten, die selbst als Hilfsschwester oder Hilfspfleger während des Studiums angepackt haben. Ein heute sehr bekannter Professor hat während des Studiums als Stationsgehilfe gearbeitet und bezeichnet das als das wichtigste Jahr seiner Ausbildungszeit. Was soll da­ran absurd sein?

Die stärkste Ablehnung gegenüber Ihrem Vorschlag kam von der Seite der Ausbildungsinstitutionen: MedUnis, Rektoren, viele Funktionäre der Ärztekammer, auch die ÖH. Die Kollegenschaft in den Kliniken war deutlich aufgeschlossener. Wie erklären Sie sich die Positionierung?
Die Haltungen gehen exakt entlang der Interessensphären. Die Rektoren haben das Prüfsystem eingeführt. Wenn jetzt jemand kommt und sagt, das könnte man besser machen, gibt es Kränkungen. Unter den Studierenden gibt es viele, die die Idee begrüßen. Aber auch dort ist deren Vertretung, die ÖH, ohne genaue Angabe von Gründen ablehnend. Sie sehen: Es ist mehr der „Oberbau“ der Universitäten und Standesvertretungen, für die der Vorschlag eines Pflegepraktikums absurd erscheint.

Die ÖH befürchtet, dass die Studierenden ausgebeutet werden …
Wenn die Studierenden ein Praktikum absolvieren, dann sollten sie auch eine Bezahlung dafür bekommen. Sie leisten ja etwas. Die Bezahlung könnte mit zunehmender Qualifikation mehr werden. Und dann müssten die Studierenden am Abend nicht für Mjam Pizza ausführen.

Der Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart sieht durch das Praktikum die soziale Ausgewogenheit
beim Studien­zugang gefährdet. Hat er recht?

Genau das Gegenteil ist der Fall. Beobachten Sie doch, wer die Prüfung das dritte, vierte und fünfte Mal machen kann. Zudem brächte ein bezahltes Praktikum einen finanziellen Ausgleich, der den schlechter gestellten Studierenden helfen würde. Die teuren Kursvorbereitungen, ohne die kaum jemand den Test besteht, fielen weg. Und die Studierenden könnten auch in den Folgejahren in der Pflege mithelfen, dabei auch Geld verdienen, und sich so ihr weiteres Studium
finanzieren.  

Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl ist Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Hochsteiermark. Kerbl ist außerdem Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und einer der prononciertesten Kämpfer für eine verbesserte Kindergesundheit des Landes.

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