Maßnahmenvollzugs­anpassungsgesetz nicht aus dem, sondern beim Schneider

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Autor: Harald P. David

Der alte Anzug war schon unmodern. Er genügte nicht mehr den aktuellen Richtlinien der MRK. Er musste umgeschneidert werden. Manchen war die Strecke der Sitzlänge zu lange, manchen war der Stoff zu lückenhaft und insgesamt schien der Anzug nicht zukunftstauglich.

Jetzt liegt also ein neuer Ministerratsentwurf zum Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz vor: Die Muster changieren, der Schnitt wurde geändert, hier wurde verlängert und dort gekürzt, es wurde wieder sehr auf das Preis-Leistungsverhältnis geachtet. Alles wunderbar – aber trotzdem zwickt es noch da und dort. Man darf aber beruhigt sein – es ist ja nur ein erster Teil des Anzugs, der zweite folgt noch. Selbst auf die Gefahr, der Polemik gescholten zu werden – aber nach langer Zeit im Geschäft der Gewährleistung bzw. Beschränkung der Bewegungsfreiheit sind Gefahrenstellen rascher sichtbar.

Was also sind die offenen Fragen im neuen Gesetzesentwurf? Zuerst stellt sich die Frage, was sich am eingesetzten Material = Infrastruktur geändert hat? Sind forensisch-psychiatrische Zentren wirklich etwas anderes als Vollzugsanstalten oder ist das nur ein anderes Etikett? Wie wird der Stoff, aus dem die Einrichtungen sind, beschaffen sein? Dicht genug, um zu halten und zu stützen, oder so löchrig, dass die Teile zwischen den Löchern erst wieder einschneiden? Müssen fehlende Therapiekapazitäten weiter durch Restriktionen ausgeglichen werden?

Im Maßnahmenvollzug Untergebrachte haben bei den jährlichen Anhörungen keine Rechtsvertretung zur Seite. Dieses Loch wurde beim jetzigen Entwurf noch nicht geflickt.

Forensisch-psychiatrische Zentren bedürfen rund um die Uhr sowohl psychiatrischer als auch forensischer Kompetenz. Bei der vor Jahren geschlossenen Station für Forensische Sozialpsychiatrie am Otto-Wagner-Spital war jederzeit psychiatrische Fachkompetenz verfügbar. Eine Untersuchungskommission der Europäischen Kommission gegen Folter bescheinigte, dass „diese Einrichtung anderen als Inspiration dienen“ könnte. Das Modell gibt es also.

Auch die Einbeziehung der zum Tatzeitpunkt aufgrund einer psychischen Erkrankung zurechnungsunfähigen Rechtsbrecher war dort im Sinne des Empowerments (Stichwort: der mündige Patient) selbstverständlich. Und es wurde auch damals schon bemängelt, dass die Untergebrachten bei den jährlichen Anhörungen keine Rechtsvertretung zur Seite hatten – in jedem anderen Strafgerichtsverfahren undenkbar. Dieses Loch wurde beim jetzigen Entwurf noch nicht geflickt.

Ein sinnvoller Schritt ist die Bemühung, Jugendliche anders zu bemessen – sie entwickeln sich und brauchen andere begleitende Maßnahmen.

Als schwierig erweisen könnte sich noch die gleichzeitige oder alternative Tätigkeit von unterschiedlichen Berufsgruppen. Während die eine (psychologische) mehr mit der Tätigkeit des Messens, Skalierens und Prüfens der Haltbarkeit zu tun hat, hat die andere (psychiatrische) mehr Erfahrung bezüglich der Einbeziehung der Eigenschaften von Stoffen (Genetik), des Einsatzes von Reparaturmaßnahmen und den dazu verwendeten Substanzen. Sollten bei der Erstellung des maßgeschneiderten Therapieplans die beiden Professionen gleichzeitig, konsekutiv oder alternativ eingesetzt werden?

Nicht zu vergessen ist die Notwendigkeit der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von erfahrenen und geschickten Schneidern, die nicht nur dem erstarrten Untergebrachten einen „Frack“ anmessen, sondern auch genügend Platz für gute Beweglichkeit und Fortschritt einplanen. Vorbereitete Anzüge von der Stange schaffen das nicht.

Noch sieht es so aus, als ob das neue Produkt zum Teil Flickwerk, zum Teil wirklich Neues bietet, das aber nicht ausreichend definiert ist. Die Lücken müssen noch gefüllt, die Nahtstellen (Entlassungsmanagement) geschlossen werden. Sonst ergeht es den neu maßgenommen Eingekleideten wie dem Kaiser in seinen neuen Kleidern.  

Prim. Dr. med. univ. Harald David ist Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychosomatische Medizin; ehem. Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie und Alkoholkranke am Otto-Wagner-Spital.
David ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und bekannt durch seine Kunstpräsentationen im Kunstraum Dr. David. www.kunstpraxis-david.at