Das Sisyphos-Ministerium

Lesedauer beträgt 11 Minuten
Autor: Josef Ruhaltinger

Der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch ist kaum im Amt, da zeigt er die ersten Anzeichen des „Lame Duck“-Syndroms. Vier ehemalige Gesundheitsministerinnen und -minister und ein Staatssekretär erzählen von den Tücken des Amtes – und wie sie glauben, diese umschifft zu haben.

Selten noch absolvierte ein Minister seine ersten Amtstage dermaßen ambivalent wie Johannes Rauch. Sein Ruf als Profi-Politiker und „grader Michl“ kollidierte mit Maßnahmen und Verordnungen, in denen evidenzbasiertes Handeln gegen die Forderungen von Wirtschaft und Ländern abgetauscht wurde. Als der neue Gesundheitsminister mehr nolens als volens den Chefsessel des Ministeriums übernahm, fügte er sich in ein Erbe, das von allen Seiten zerfetzt worden war: Die Impfpflicht war begraben worden und die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie weitgehend für obsolet erklärt. Und dies bei Infektionszahlen von 30.000 bis 60.000 Betroffenen pro Tag. Der Betroffenheits-Level in der Politik hatte sich reziprok zu den Pandemie-Zahlen entwickelt: In einem Interview mit dem Standard sagte Rauch dann auch: „Sie (die Öffnungen, Red) waren am 5. März in dieser Form ein Fehler. Ich hätte das so nicht gemacht.“ Vertraut man den Worten des Polit-Profis Johannes Rauch, soll alles anders werden. Er wolle sich vom Nachlass seines Vorgängers emanzipieren und „für den Herbst mit den Gesundheitslandesräten an mehr Klarheit, Gemeinsamkeit und Stringenz arbeiten“. Bleibt die Frage: Ist dem Gesundheitsministerium genug Entscheidungsmacht gegeben, um effektives Pandemiemanagement zu betreiben? Oder reibt sich ein Gesundheitsminister zwischen den Interessen von Länderchefs und Koalitionspartner auf?

Bundesländer: Mit- oder Gegenspieler?

Michael Ausserwinkler hat der Politik vor 20 Jahren den Rücken gekehrt. Heute führt der Ex-Gesundheitsminister eine Kassenordination für Innere Medizin in Villach und beobachtet die Bundespolitik aus „reiner Bürgerperspektive“, wie er sagt. Ausserwinkler war von 1992 bis 1994 Teil der Regierung Vranitzky III mit Erhard Busek als Vizekanzler: Die intensivste Erinnerung an seine Amtszeit ist nach 30 Jahren immer noch der EU-Beitritt. Freilich: Die Abstimmung mit den Bundesländern zählte schon damals zu den Herausforderungen: „Wenn ich etwas unterschätzt habe, dann ist es die Zersplitterung der Kompetenzen.“ Sein Versuch, die Spitalsfinanzierung im Vorfeld über eine 70-köpfige Krankenanstalten-Zusammenarbeits-Konferenz in den Griff zu bekommen, endete in mühsamen Vorbesprechungen: „Da gab es 14 Tage lang Einzelgespräche mit jedem wichtigen Entscheidungsträger.“ Ausserwinkler legte mit Chauffeur 100.000 km im Jahr zurück, um mit den Landesvertretern im Dialog zu bleiben. Der heute 65-Jährige kam dabei nach eigenen Worten „gut mit den Landesräten zurecht. Es war ein ständiges Geben und Nehmen von Kompetenzen und Agenden.“ Das Verständnis für die föderalen Strukturen des heimischen Gesundheitswesens hat bei Michael Ausserwinkler noch tiefere Gründe: Als Landeshauptmannstellvertreter von Kärnten graste er fünf Jahre lang auch auf der anderen Seiten des Flusses.

Andrea Kdolsky war von Jänner 2007 bis Dezember 2008 zwei Jahre lang Ministerin für Gesundheit während der Kanzlerzeit von Alfred Gusenbauer. Die Anästhesistin und heutige Leiterin des Instituts für Gesundheitswissenschaften an der FH St. Pölten würde unter normalen Bedingungen heute nicht mehr Gesundheitsministerin sein wollen: „Es haben sich weder Kompetenzen noch Finanzierungsstrukturen geändert.“ Aktuell fände sie kurz­fristiges Krisenmanagement zwar „spannend“, eine Veränderung in den Systemen sei aber „so gut wie nicht möglich“. Denn das Ministerium habe zwar „ein großes Budget, das aber durch 15a-Vereinbarungen und Kassen gebunden“ sei. eHealth-Ent­wicklungen wie ELGA oder eRezept könnte da nur auf Sparflamme betrieben werden: „Wenn dort Geld hin verlagert wird, muss es im Regelbudget jemandem weggenommen werden.“ Das habe ständige Auseinandersetzungen mit sich gebracht. Neben etlichen anderen Gründen sehe sie die schwache Performance der grünen Pandemieminister „in der Machtlosigkeit und der fehlenden Letztentscheidungskompetenz des Amtes“. Kdolsky konnte in ihrer Amtszeit dem Föderalismus, der über Sympathie und Bekanntschaft funktionierte, nichts abgewinnen: „Bei meiner Antrittstour musste ich 20 Minuten im Vorzimmer des Vorarlberger Landeshauptmanns warten. Und im Gespräch hatte ich nie das Gefühl, willkommen zu sein.“ Der Landeshauptmann hieß Herbert Sausgruber und war ein Parteifreund von Andrea Kdolsky. Die Wiener Ministerin, die kurz nach Amts­antritt mit schrillen Sagern aufgefallen war, sollte in Österreichs Westen auch im weiteren Verlauf ihrer Amtszeit keinen Fuss auf den Boden bringen.

Im Zweifel gegen Wien

Bundesland schlägt Parteizugehörigkeit: Diese Präferenz kennzeichnet die Verfassungswirklichkeit des österreichischen Föderalismus. Alois Stöger (SP) sammelte seiner Erfahrungen im Gesundheitsministerium von 2008 bis 2014 unter der Kanzlerschaft von Werner Faymann. Für ihn kam das Spannungsverhältnis der Bundesländer zu Wien nicht unerwartet. Als früherer Obmann der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse kannte er das Prinzip von Geben und Nehmen bei Verhandlungen aus dem Effeff: „Die regionale Perspektive stand bei den Ländervertretern immer im Vordergrund.“ So war das Verhältnis zum Wiener Rathaus während seiner Ägide „manchmal speziell“. Auch Stöger sieht das persönliche Verhältnis zu den Verhandlungspartnern als „Basis erfolgreicher Politik“. Es sei immer wichtig, „ausreichend Gespräche mit den richtigen Personen zu führen“. Im Endeffekt gehe es „immer um den Interessenausgleich“.
Das politische Gewicht des Gesundheitsministers oder der -ministerin ist so schwer wie die Vernetzung im politischen System. Es bemisst sich nach dem guten oder schlechten Verhältnis zu den Regierungs- und Parteispitzen. Stöger sagt von sich, seine Kommunikation ins Bundeskanzleramt und zu seinem Parteivorsitzenden sei „hervorragend“ gewesen: „Und das war für die Umsetzung von Projekten ein grundlegender Wert“, wie der einzig noch aktive Nationalratsabgeordnete unter den befragten Gesundheitspolitikern und -politikerinnen erzählt. Stöger konnte auf den Rückhalt der Gewerkschaften vertrauen.

Michael Ausserwinkler bekam Gunst und Missgunst gleichermaßen zu spüren. Er sei damals in Wien „sehr wohlwollend aufgenommen worden. Der Kanzler hat mir zugehört.“ Dies habe sich in der Wahrnehmung der Gesprächspartner – egal auf welcher Ebene – sofort gezeigt. Mit der Komfortzone hatte es allerdings ein Ende, „als um meine Person ein medialer Hype entstanden ist“. Der telegene Kärntner schaffte es in den Augen der eigenen Parteisekretäre zu oft in die Nachrichten. „Und dann ist der Gegenwind gekommen.“ Vranitzky hätte ihn weiter unterstützt. „Aber mit den amikalen Pressekonferenzen war es vorbei“, erinnert sich der Internist.

Reinhard Waneck hatte es nach seinem Empfinden mit dem Eintritt in die Politik merklich schwerer: „Ich war der typische Quereinsteiger, ohne in der Partei besonders verwurzelt zu sein“, so der Röntgenologe und damalige Ärztliche Direktor der Barmherzigen Schwestern in Wien. Zumal sein Lager die FPÖ war, die sich anschickte, die erste schwarz-blaue Koalition auf die Beine zu stellen. Waneck zog im Jahr 2000 als Staatssekretär in das Gesundheitsministerium. Als solcher hatte er zwar eine Ministerin (Elisabeth Sickl) oder einen Minister der eigenen Partei (Herbert Haupt) vor der Nase, hatte aber nach eigener Beschreibung „reichliche Zuständigkeiten“. Er engagierte sich im Bereich der Krankenkassenstruktur –
Waneck war ein früher Verfechter der Zusammenlegungen – und der regionalen Spitalsbettenverteilung. „Das waren 15a-Agenden, die mit den Ländern geklärt werden mussten.“ Gespräche über den Österreichischen Strukturplan Gesundheit ÖSG, der den Bedarf für die ambulante und akutstationäre Versorgung erheben und kanalisieren soll, standen dabei ganz oben auf der Agenda. Dumm nur, dass dem ÖSG des Bundes neun Regionale Strukturpläne der Länder gegenüberstehen. Diese haben nicht immer die gleichen Intentionen. Verhandlungen über eine stärkere Abstimmung erwiesen sich im Niederösterreich des Erwin Pröll oder im Oberösterreich des Josef Pühringer als „anstrengend“, erinnert sich Waneck: „Dafür gab es zu wenig Rückhalt in der Partei und in der Regierung.“ Andrea Kdolsky sekundiert dem früheren Staatssekretär: „Ohne die Unterstützung des Kanzlers kannst du die Aktendeckel gleich wieder schließen.“

Gesundheitsminister von 1992 bis heute

  • Michael Ausserwinkler SPÖ 1992 – 1994
  • Christa Krammer SPÖ 1994 – 1997
  • Eleonora Hostasch SPÖ 1997 – 2000
  • Elisabeth Sickl FPÖ Feb. – Okt. 2000
  • Reinhart Waneck (Staatssekretär) FPÖ 2000 – 2004
  • Herbert Haupt FPÖ 2000 – 2003
  • Maria Rauch-­Kallat ÖVP 2003 – 2007
  • Andrea Kdolsky ÖVP 2007 – 2008
  • Alois Stöger SPÖ 2008 – 2014, 2017
  • Sabine Oberhauser SPÖ 2014 – 2017 (†)
  • Pamela Rendi­-Wagner SPÖ Mär. – Dez. 2017
  • Beate Hartinger­-Klein FPÖ Dez. 2017 – 2019
  • Walter Pöltner Unabh. Mai – Juni 2019
  • Brigitte Zarfl Unabh. 2019 – 2020
  • Rudolf Anschober GRÜNE 2020 – 2021
  • Wolfgang Mückstein GRÜNE April 2021 – März 2022
  • Johanns Rauch GRÜNE 8. März 2022 –

Kammerjäger

In der Abfolge der heimischen Gesundheitsminister und -ministerinnen wechseln Mediziner und Politiker einander in bunter Folge ab. Nach dem Rückzug von Rudi Anschober sollte es ein Mediziner sein. Und nach dem Abgang des Quereinsteigers Mückstein sollte es wieder ein Polit-Profi richten. Darum musste Johannes Rauch nach Wien ziehen. Dabei zeigt sich: Medizinische Ausbildung macht es den Akteuren einfacher, Agenden zu entwickeln. Sie ist aber in keiner Weise von Nutzen, diese Agenden auch umzusetzen.

Die Nähe zur Ärztekammer ist für ausgebildete Mediziner doppelbödig. Maria Rauch-Kallat (Gesundheitsministerin von 2003 bis 2007) weiß von Verhandlungen zwischen Ärzte- und Apothekerkammer zu berichten, „da war ich froh, dass ich zu keiner der Gesprächsparteien gehört habe“. Ihre Nachfolgerin Andrea Kdolsky machte mit der Kammer eher ambivalente Erfahrungen. Sie erinnert sich nach eigenen Worten „ungern daran, mit welcher Inbrunst sich der damalige Ärztekammerpräsident gegen alles querlegte, was aus meinem Ministerium kam“. So sei die Einführung elektronischer Systeme in erster Linie „als Anschlag auf die Unabhängigkeit der niedergelassenen Ärzteschaft verstanden worden“. Entsprechend langsam sei es dann auch mit der Umsetzung der diversen Neuerungen vorangegangen.
Alois Stöger ist in dem Punkt nicht so streng. Für ihn ist die Ärztekammer die „Vertreterin der Anwender innerhalb des Gesundheitssystems“. Sie wahre die Interessen von Ärzten wie Patienten. Die Vogelperspektive von Gesundheitsökonomen und Krankenkassenvertretern greife da oft zu kurz.

Für Johannes Rauch versprechen die Erfahrungen seiner Vorgängerinnen und Vorgänger wenig Gutes. Wo sich diese in endlosen Gesprächsmarathons ergingen und hunderttausende Kilometer für eine funktionierende Verhandlungsbasis aufwandten, muss der grüne Minister Entscheidungen binnen weniger Tage ausverhandeln und in eine Form bringen lassen, die der Verfassungsgerichtshof nicht in der Luft zerreißt. Die Zeit für ein Schnapserl hat er nicht. Zudem ist die „Atmosphäre deutlich aggressiver, als es noch zu meiner Zeit war“, ist sich Michael Ausserwinkler sicher. Linz, Salzburg oder Innsbruck sind für Vorschläge aus Wien nur mehr wenig empfänglich. Johannes Rauch kann nur daraufsetzen, dass die koalitionäre Unterstützung ein Ausmaß annimmt, das ihm gegenüber den Landesfürsten Kontur verleiht. Bleibt er auf sich allein gestellt, wird er den Weg seiner Vorgänger gehen.    //

„Männer in diesen Positionen sind wie Lipizzaner“

Würden Sie heute noch einmal das Amt der Gesundheitsministerin übernehmen?
Maria Rauch-Kallat:
Ich danke Gott jeden Tag, dass ich unter den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr Gesundheitsministerin bin. Es ist ein spannender Job. Aber man kann ihn nur machen, wenn man sich von dem Wunsch verabschiedet, es allen recht zu machen. Sie brauchen einen Kompromiss, der alle so wenig wie möglich unglücklich macht. In der aktuellen Situation ist schon das nahezu unmöglich.

Sie waren als Generalsekretärin der ÖVP eine erprobte Politikerin, als Sie das Amt der Gesundheitsministerin annahmen. Hatten Sie noch Illusionen, als Sie das Gesundheitsministerium das erste Mal als Chefin betreten haben?
Nein. Mir ist zugutegekommen, dass ich schon ein Ministerium geführt hatte (1992-1995 Bundesministerium für für Umwelt, Jugend und Familie, Red). Mein Fokus war: Endlich die e-Card umsetzen. An der sind sieben Minister vorher gescheitert.

Zur Person: Maria Rauch-Kallat unterrichtete von 1967 bis 1983 an einer Wiener Hauptschule. 1992 holte Erhard Busek die damalige Bundesrätin als Obmann-Stellvertreterin in die ÖVP Wien (bis 1998). Von 1999 bis 2003 war sie Generalsekretärin der ÖVP unter Wolfgang Schüssel. 1992 bis 1994 und 1995 war sie Bundesministerin für Umwelt. Von 2003 bis 2007 gehörte sie als Bundesministerin für Gesundheit und Frauen der Bundesregierung Schüssel II an. Maria Rauch-Kallat ist heute Präsidentin des Österreichischen Paralympischen Komitees und Unternehmensberaterin.

Sie haben relativ bald nach ihrem Amtsantritt die Projektleitung des eCard-Teams gefeuert …
Man muss Konfrontationen auch annehmen – gerade als Ministerin. Wer das nicht kann, ist fehl am Platz. Bald nach meinem Start drohte das e-Card-Projekt wie bei vielen Vorgängern zu scheitern. Der Generaldirektor des Hauptverbandes hat mir sogar mit Ministeranklage gedroht. Da habe ich auch gedroht: Ihr macht das jetzt so, sonst hat das für euch Konsequenzen. Es war zehn Uhr am Abend und wir haben die Sitzung erst beendet, nachdem ich mir sicher war, dass alle verstanden haben, dass es mir ernst war.

Ist ein Arzt/Ärztin oder ein Politiker/Politikerin der bessere Gesundheitsminister?
Die politische Erfahrung halte ich für die wichtigere Komponente. Die medizinische Ausbildung ist gut, wenn es gleichzeitig Kenntnis über die politischen Mechanismen gibt. Politische Berater allein können die Situation nicht retten. Und es ist nicht selten von Vorteil, mit den einzelnen
Stakeholdern nichts zu tun zu haben.

Ihre Nachfolgerin Andrea Kdolsky hat in einem Kommentar in der Tageszeitung „Die Presse“ gemeint, dass das Gesundheitsministerium ein Amt der Machtlosigkeit sei und es letztlich um das „Fehlen der gesetzlichen Letztentscheidungskompetenz“ gehe. Hat sie recht?
Dem widerspreche ich. Freilich gibt es keine Allmacht im Ministeramt. In einer Demokratie ist das auch richtig. Es gibt aber viel Entscheidungskompetenz. Wenn man es politisch geschickt angeht, kann man sehr viel in relativ kurzer Zeit durchsetzen. Dabei muss jeder Minister immer das Parlament im Auge haben. Das bedeutet, im Vorfeld mit allen Fraktionen Kontakt zu haben und Informationen zu tauschen. Sonst geht nichts.

In der Außendarstellung hat es im Bereich der Pandemie-Maßnahmen ständige Brüche zwischen Bund und Ländern gegeben. Hätte der Bundesminister stärker auf den Tisch schlagen sollen?
Nein. Das können Sie mit den Bundesländern nicht machen. Das sind Verhandlungen auf Augenhöhe.

Aber wie soll sich ein Bundesminister gegenüber den Landeshauptleuten sonst durchsetzen?
Mit politischem Geschick. Gespräche, Gespräche, Gespräche. Dazu kommt: Männer in diesen Positionen sind wie Lipizzaner. Und die muss ein Minister als solche auch behandeln. Das braucht viel Psychologie.

Ist der Umgang mit den Ländern partei­politisch oder regional gefärbt?
Der Kontakt mit den Landeshauptleuten ist von den Personen definiert. Als Ministerin habe ich zu Beginn meiner Amtszeit sämtliche Landeshauptleute auf einer Antrittstour besucht. Parteizugehörigkeit hat bei diesen Gesprächen keine Rolle gespielt.

eCard und ELGA wurden einst als Anschlag auf die Souveränität des Ärztestandes interpretiert. Welche Rolle spielt die Ärztekammer im Leben einer Gesundheitsministerin?
Leider eine nicht immer rühmliche. Die Kammer vertritt natürlich viele Eigeninteressen, die nicht immer kongruent mit dem öffentlichen Interesse der Gesundheitspolitik sind. eCard und ELGA sind dafür Beispiele. Aber man hat sich schließlich arrangiert.

Kann man Gesundheitsministerin sein, ohne sich um die Meinung der Kammer zu kümmern?
Nein. Das wird nicht gelingen.

Ist das Gesundheitsministerium überfrachtet?
Ja. In meiner Amtszeit hatte ich nur Gesundheit und Frauen. Soziales und Gesundheit ist ein riesiges Ressort, das fast nicht zu bewältigen ist. Ich wünsche niemandem, das führen zu müssen.

Hätten Sie unter den Bedingungen der Pandemie mithilfe des Epidemiegesetzes das Mitspracherecht der Länder ausgehebelt?
Das kann ich nicht beantworten. Dazu braucht es jede Menge juristischer Expertise. Und in einem Ministerium, das über Jahrzehnte immer abgespeckt hat, ist es schwer, die richtigen Fachleute bei der Hand zu haben. Die wenigen Juristen sind so mit dem Tagesgeschäft ausgelastet, dass einstige Randthemen wie das Epidemiegesetz für die Experten so exotisch waren wie für Sie und mich.

Hat man es als Frau schwerer im Ministeramt als ein Mann?
Ja. Auf jeden Fall. Jeder zweifelt, ob man es schafft. Wenn man ein ernstes Wort spricht, gilt man als launisch. Männer gelten dann als durchschlagskräftig. Die Äußerlichkeiten spielen auch eine deutlich größere Rolle. Wobei: Als Franz Vranitzky Fred Sinowatz abgelöst hat, war das auch ein Thema.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

Das Grazer Gesundheitsmodell – Vernetzungsangebote der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt

Der demografische Wandel schreitet schnell und unaufhaltsam voran und wirkt sich dabei auf viele Gesellschaftsbereiche aus. Besonders stark betroffen davon ist die Pflege, insbesondere die Altenpflege.