Jeder Herzschlag zählt

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Autor: Josef Ruhaltinger

Die Rekorder für Langzeit-EKGs werden immer kleiner und billiger. Ambulanzen und Ordinationen verleihen die Holter-Monitore an die Patienten, um schneller zu einer Diagnose zu kommen.

Langzeit-EKGs waren in der Vergangenheit einfach mühsam. Dem Patienten wurden handtaschengroße Rekorder umgehängt mit der Bitte, dem normalen Alltag nachzugehen – ein Widerspruch angesichts des klobigen Anhängsels. Früher wurden Langzeit-EKGs meist nur für kritische medizinische Diagnosen durchgeführt. Die Untersuchung war aufwendig, teuer, die EKG-Rekorder waren plump, unbequem zu tragen und mussten von Fachpersonal angelegt werden. Jetzt schrumpfen die EKG-Holter (benannt nach dem US-Biophysiker Norman Jefferis Holter) auf Hühnereigröße. Durch die neue Gerätegeneration wird der Einsatz von Langzeit-EKGs für die Patienten völlig unproblematisch: Die Geräte sind so einfach zu bedienen, dass sie von Arzt oder Ärztin per Post zugeschickt werden. Der Rosenheimer Sportmediziner und Autor Lutz Graumann hat 20 dieser kleinen Apparate in seiner Ordination in Verwendung. Er hat sich für die Produkte des finnischen Unternehmens Bittium entschieden. „Ich erhalte exakte Daten, die in wenigen Augenblicken ausgewertet sind.“ Graumann nutzt die Langzeit-EKGs in erster Linie, um die Schlaf- und Regenerationsphasen seiner Patienten zu überprüfen. Spezielle Software der Hersteller liefert klare grafische Darstellungen und eine KI-gestützte Vorbewertung der Ergebnisse. Das beschleunigt die Diagnose. Die neuen kompakten EKG-Rekorder liefern dem Hersteller zufolge genauso qualitativ hochwertige Daten wie kompliziert verkabelte EKG-Holter früherer Generationen. So lassen sie sich für medizinische Diagnosen sowie für neue Anwendungen einsetzen. Sie sind günstiger als Vorgängergenerationen und die Bedienung ist so einfach, dass die Anwender sie selbst anlegen können.

100.000 Herzaktionen

Ein Langzeit-EKG zeichnet Herzschläge über einen längeren Zeitraum auf und speichert das EKG meist auf ein Speichermedium – manche Holter versenden auffällige Ergebnisse auch selbsttätig an Ordination oder Klinik. In der Regel erfolgt die Aufzeichnung über 24 Stunden, in Einzelfällen weisen moderne Geräte bis zu einer Woche Speicherkapazität auf. Die Daten werden computergestützt ausgewertet, wobei durchschnittlich etwa 100.000 Herzaktionen pro 24 Stunden analysiert werden müssen.

Ein Langzeit-EKG dient in der Regel nicht der Basisdiagnostik, sondern ist – abgesehen vom sportmedizinischen Einsatz – besonders bei wiederkehrenden Krankheitsbildern oder zur Verlaufskontrolle relevant. Dazu gehören zum Beispiel Herzrhythmusstörungen oder Vorhofflimmern. Zur Beurteilung der aufgezeichneten Daten ist es wichtig, dass der Patient Tätigkeiten, aber auch Symptome während der Aufzeichnungsdauer so protokolliert, dass sie zugeordnet werden können. Der Kardiologe oder Internist kann bei der Auswertung feststellen, ob das Herz sowohl in Ruhe als auch unter Belastung einen regelrechten Puls aufweist oder ob Extrasystolen (Herzschlag, der außerhalb des normalen Herzrhythmus auftritt) und mögliches Vorhofflimmern den normalen Herzschlag beeinträchtigen. Die AnwenderInnen können eigenständig einen Zeitstempel setzen, wenn sie selbst eine Veränderung – wie Herzklopfen – feststellen.

Kliniken und Ordinationen werden immer wieder von Patienten mit selbstproduzierten EKGs konfrontiert, die mit einem der zahllosen Sport-Wearables generiert wurden. „Viele Gadgets geben heute eine pseudowissenschaftliche Genauigkeit vor. Überprüft man deren Grafiken, bleibt nicht viel von deren Aussagekraft übrig“, warnt Lutz Graumann. Er rät von Wearables ab, die nur mittels Accelerometrie die Regeneration quantifizieren. Bei Wearables, die die Belastung und Regeneration mittels Accelero­metrie und Photoplethysmographie (PPG) bestimmen, nehme die Genauigkeit zu. Wenn es um die Überprüfung der Regenerationsfähigkeit geht – Graumann ist mehrfacher Buchautor zum Thema – hält er die Herzfrequenzvariabilität (HRV) für einen der vielversprechendsten Marker für die Regulation des autonomen Nervensystems (ANS) und somit für den Wechsel von Belastung und Regeneration. Dafür setzt er die Langzeit-EKG-Rekorder ein, um die RR-Intervalle zuverlässig zu erfassen. Die HRV ergibt sich aus den zeitlichen Variationen zwischen den einzelnen Herzschlägen – dem sogenannten RR-Intervall – aus dem EKG. Die Variabilität nimmt ab, wenn der Puls durch Stress, Bewegung oder Erkrankungen ansteigt. Durch Entspannung steigt die HRV wieder an. Umstände wie physische Aktivität, Stress-Empfinden, emotionale Prozesse, Regeneration, Lage- oder Richtungswechsel, Atmung sowie das autonome Nervensystem verändern die HRV. Da sowohl psychische als auch physische Effekte die HRV beeinflussen, ergänzen Langzeit-Messungen die Diagnose, damit kurzzeitige Effekte nicht zu falsch positiven oder negativen Ergebnissen führen. Für ein genaues Bild der HRV sollte das verwendete Gerät Daten mit einer Frequenz von mindestens 250 Hz, besser jedoch von 500 Hz erfassen. So lassen sich mit modernen EKG-Rekordern nicht nur Puls und Herzströme, sondern auch Atmung, Kreislauf und Bewegung überwachen. Die Atemfrequenz wird mittels respiratorischer Sinus-Arhythmie aus dem EKG abgeleitet, und ein Accelerometer im Gerät erfasst die Bewegung.

Sorgt für aufgeladene Batterien.

Sportmediziner Lutz Graumann setzt die kleinen Rekorder vor allem zur Optimierung der Regenerationsfähigkeit seiner Patienten ein. Nicht jeder Schlaf ist erholsam.

Automatisierte Wertevergleiche

Früher wurden Langzeit-EKGs meist nur für kritische medizinische Diagnosen durchgeführt. Durch die neue Gerätegeneration wird der Einsatz von Langzeit-EKGs auch in der Prävention oder Belastungsteuerung sinnvoll. So können Nutzer mit den wasserdichten Bittium Faros 180 und 360 EKG-Rekordern Sport treiben und duschen, ohne den Rekorder entfernen oder die Aufnahme stoppen zu müssen. Ein anderer Vorteil bei der Nutzung von innovativer Medizintechnik-Software ist es, dass Plattformen die Patientenwerte mit den anonymisierten Werten tausender Community-Analysen vergleichen. „Auf diese Weise kann man sehen, ob eine Person im Vergleich zu Peers mit ähnlichem Alter und Lebensumständen besser oder schlechter abschneidet“, ergänzt Lutz Graumann. Aufpassen muss man aber mit der Kompatibilität der Daten: Faros zeichnet Daten im EDF Format auf, die nicht von jeder Auswertungssoftware eingelesen wird. Bleibt noch die Preisfrage: Ein Faros schlägt mit rund 800 Euro zu Buche.    //

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