Training für Helden

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Autor: Michael Krassnitzer

Das Neurofeedback-Spiel des Wiener Start-ups BrainHero hilft Kindern mit Autismus und ADHS, ihr Gehirn gezielt zu trainieren. Im Sommer soll die App marktreif werden.

Im pinken Kostüm fliegt der Superheld BrainHero mit heroisch vorgestrecktem Arm durch eine Fantasielandschaft. Die wahre Superkraft der putzigen Spielfigur besteht aber nicht in seinen Flugkünsten. Sie liegt in seine Fähigkeit, die Symptome von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sowie Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) zu lindern. Der BrainHero ist aus der Sicht der jungen Patienten die zentrale Figur eines gleichnamigen Neurofeedback-Systems, das von einem österreichischen Start-up-Unternehmen entwickelt wurde und kurz vor der Markteinführung steht.

Training im Kopf

Neurofeedback ist eine computergestützte Form der Verhaltenstherapie, die es ermöglicht, bei regelmäßiger Anwendung bestimmte Bereiche des Gehirns so zu trainieren, dass sie wieder ihre optimale Funktion entfalten können. Dabei wird ein mobiles EEG-Gerät (Elektroenzephalografie) auf den Kopf gesetzt, und das Kind lernt spielerisch am Bildschirm, seine Gehirnaktivität zu steuern und zu beeinflussen. Wenn der Patient seine Gehirnaktivität in der gewünschten Art und Weise beeinflusst, erhält er sofort ein positives Feedback. BrainHero richtet das EEG-Gerät auf jene Gehirnbereiche aus, die bei ASS und ADHS eine Schlüsselrolle spielen. Der kleine pinke Superheld fungiert als visuelles Signal.

„Wir haben Neurofeedback nicht erfunden, aber nach Hause gebracht“, strahlt Christof Götz, CEO und Gründer der Firma, die das BrainHero-System entwickelt hat. Bislang kommt Neurofeedback ausschließlich in Kliniken zum Einsatz. Gerade für Kinder mit ASS und ADHS ist ein stationärer Aufenthalt ein Problem. Mit BrainHero findet das Training dort statt, wo sich die jungen Patienten wohl und geborgen fühlen: in den eigenen vier Wänden. Die notwendigen Geräte werden auf Leihbasis zur Verfügung gestellt. Die Voraussetzungen sind, dass die Kinder und Jugendlichen in Deutschland oder Österreich wohnhaft sind, von einem Facharzt mit ASS oder ADHS diagnostiziert sind, nicht an Epilepsie leiden, Zugang zu einem iPad oder einem Android-Tablet haben und sich sprachlich verständigen können. Sobald das noch ausstehende Qualitätsmanagementsystem-Zertifikat gemäß der neuen Medizinprodukteverordnung MDR ausgestellt ist, geht es los. Nach derzeitigem Stand wird das bereits im Juni der Fall sein.

Zulassungshürden.
Gründer Christof Götz kämpft mit den Anforderungen der neuen Medizinprodukte-Verordnung.
Die Hardware muss zwei Dutzend Normen erfüllen.

Soziale Interaktion als Ziel

Zum Nachweis der Wirksamkeit der Neurofeedback-Therapie stützt sich das Unternehmen auf Studien, die mit fast 300 Kindern durchgeführt wurden. Demnach führt das Training bei Kindern mit Autismus zu verstärkter sozialer Interaktion und verbesserter Kommunikation oder Abnahme des hyperaktiven Verhaltens. „In allen Fällen berichteten Eltern subjektiv über Verhaltensverbesserungen“, berichtet Götz.

Die BrainHero-Therapie umfasst 20 Stunden Neurofeedback-Training über einen Zeitraum von sechs Monaten. Empfohlen werden drei Trainingssitzungen à 15 Minuten alle zwei Tage. Auf diese Weise kommt man auf eine Therapiedauer von ungefähr sechs Monaten. „Bei den meisten Kindern sind bereits nach der Hälfte der Zeit, also nach zehn Stunden reiner Trainingszeit, Verbesserungen bemerkbar“, erklärt Götz. Zehn bis 20 Prozent aller Menschen sind allerdings sogenannte Non-Responder, d.h. sie können ihre Gehirnaktivität nicht ändern, wenn sie mit Neurofeedback trainieren. Nach 20 Stunden Trainingszeit ist jedenfalls Schluss mit der Standardtherapie: Dann erfolgt zukünftig eine ausgiebige Gehirnanalyse, in deren Zug die Gehirnaktivität der Patienten mithilfe von QEEG-Landkarten (quantitatives EEG) mit der Gehirnaktivität von gesunden Menschen im gleichen Alter und mit dem gleichen Geschlecht verglichen wird.

„Der nächste Schritt ist eine personalisierte Therapie, bei der das Neurofeedback-Training individuell dort angesetzt wird, wo sich im QEEG die Bereiche der höchsten Überaktivität befinden“, blickt Götz in die Zukunft. Wie schon die Standardtherapie will er auch die personalisierte Neurofeedback-Therapie zu den Patienten nach Hause bringen.

Persönliche Erfahrungen

Dass Götz BrainHero ins Leben gerufen hat, ist auf persönliche Gründe zurückzuführen: Bei seiner eigenen Tochter wurde ASS diagnostiziert. Bekanntschaft mit Neurofeedback machte er auf der MedUni Wien, wo seinerzeit eine entsprechende Studie durchgeführt wurde – allerdings auf Buben eingegrenzt, also ungeeignet für seine Tochter. Zugleich hatte Götz gute Kontakte zur TU Wien, wo sich ebenfalls Forscher mit Autismus beschäftigten. Daraus resultierte ein Studentenprojekt, in dessen Verlauf ein Prototyp des Neurofeedback-Systems entwickelt wurde. „Diesen zu bauen war sehr einfach“, erinnert sich der Softwareentwickler. Den Prototyp testete Götz – natürlich entsprechend pilotiert – an seiner Tochter. Schnell stellte sich Erfolg ein: „Sie hat nach wenigen Monaten Training begonnen, auf andere Kinder zuzugehen, der Augenkontakt wurde intensiver, das Schlafverhalten hat sich verbessert, die Konzentrationsfähigkeit nahm zu, sie hat sich sprachlich deutlich weiterentwickelt und in der Schule besser mitgearbeitet.“ Als Götz das System schließlich auf dem Wiener Forschungsfest 2018 präsentierte, stieß es auf extrem großes Interesse. Da entschloss er sich, eine Firma zu gründen und das Neurofeedback-System für den Hausgebrauch zur Marktreife zu entwickeln. Schnell wurde klar: Bei dem Neurofeedback-System handelt es sich um ein Medizinprodukt. „Von dem Moment an wurde es wirklich mühsam. Die Anforderungen für Medizinprodukte sind enorm hoch“, seufzt Götz. Alleine die Hardware müsse zwei Dutzend Normen erfüllen. Und weil sie zu Hause verwendet wird, muss sie wasserdicht sein und auch in der Sonne liegen dürfen.

Als große Hürde erwies sich paradoxerweise der Ansatz, dass das Neurofeedback-System so einfach zu verwenden sein sollte wie ein Haushaltsgerät. Dazu gehörte die Idee, das Gerät – so wie etwa ein Mobiltelefon – über ein USB-C-Stecksystem mit Strom zu versorgen. Das ist aufgrund nicht zu überwindender Probleme mit der elektromagnetischen Kompatibilität gescheitert. Eine weitere Schwierigkeit stellten die Engpässe bei elektronischen Bauteilen dar. „Wir haben schon vor mehreren Monaten Bauteile für das nächste Jahr bestellt“, betont Götz.

Eine wahre Mammutaufgabe war die Implementierung des Qualitätsmanagements nach ISO 13485, erzählt Götz, der immerhin über eine gewisse Erfahrung im Prozessmanagement verfügte. Als Glücksfall erwiesen sich dabei zwei Mitarbeiter, die selbst Autisten sind: „Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten haben sie die entsprechenden Gesetzestexte und Normen in kürzester Zeit verinnerlicht und wussten sofort, ob unsere Ideen mit den legistischen Anforderungen kompatibel waren.“

Eine weiterer Chance war, dass eine Förderagentur dem Unternehmen geraten hatte, sich möglichst frühzeitig nach einer Aufsichtsbehörde umzusehen, um die notwendigen Abnahmen vorzubereiten. „Der Wechsel von der alten Medizinprodukteverordnung MDD zur neuen MDR hat bei den Behörden zu einem Riesenrückstau geführt, sodass viele Start-ups derzeit keinen ,Regulatory Body‘ finden.“ Dieser Rückstau, so Götz, ist auch der Grund dafür, dass das Zertifikat noch auf sich warten lässt. Doch sobald es vorliegt, stehen bereits Erweiterungen auf dem Programm. So sollen in Zukunft auch ältere Patienten von dem System profitieren.    //

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