Es interessiert nur niemanden

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Autor: Josef Ruhaltinger

ELGA ist Sinnbild für die kraftlose Entwicklung der Digital Health-Systeme in Österreich. Der kleine IT-Dienstleister erhielt von den Eigentümern kaum Geld und keine Unterstützung. Das Ergebnis ist eine beharrliche Kultur der Excel-Sheets.

Das Konzept eines digitalisierten Gesundheitssystems („Digital Health“, „eHealth“) weckt in Europas Bevölkerung unterschiedliche Erwartungen. 2021 verbrachte ein junger Norweger einige Monate bei seiner Freundin in Graz. Und weil sein Impfrhythmus danach verlangte, wollte er sich seine zweite Corona-Impfung in der Steiermark abholen. Für das österreichische Gesundheitssystem im Herbst 2021 war dies kein Problem. Er bekam seinen Impftermin und etwas später den Virus-Schutz. Die Probleme begannen, als sich der junge Skandinavier den Stich in seinen digitalen, norwegischen Impfpass eintragen lassen wollte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er dies verlangte, verunsicherte das Grazer Ordinationsteam. Es recherchierte lange, konnte dem Jung-Europäer letztendlich aber nicht helfen. In Österreich können keine Daten in norwegische Gesundheitsdokumente eingetragen werden. (Zur Information: Umgekehrt geht es auch nicht. Stichwort: European Health Data Space, siehe Quellen und Links)

Die kleine Geschichte zeigt, welches Zutrauen der norwegische Bürger in die Fähigkeiten eines digital entwickelten Gesundheitssystems hat. Ein gelernter Österreicher hätte an diese Möglichkeit gar nicht gedacht. Denn eHealth-Dienstleistungen haben in der Wahrnehmung der heimischen Patientenschaft keinen festen Platz. Und wenn, werden die Hoffnungen enttäuscht: Eine 83-jährige Patientin hatte bei einem lange vorbestimmten Besuch eines Wahlarztes einige Befunde zu Hause vergessen. Ihre zaghafte Hoffnung, dass der „Herr Professor irgendwo nachschauen könne“, wurde harsch enttäuscht. Sie wurde wieder heimgeschickt. „Bislang waren die Benefits von digitalen Public Health-Anwendungen für Patienten kaum spürbar“, urteilt Robert Mischak, Institutsleiter für Gesundheitsinformatik und eHealth am FH Joanneum. Sie haben nichts davon. Erst mit der elektronischen Rezeptverschreibung und – mit Abstrichen – dem Impfpass würden die Vorteile der digitalen Applikationen nachvollziehbar. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, Estland oder den Niederlanden sei Österreichs eHealth-System „unterentwickelt“, wie der Grazer FH-Professor kommentiert.

Keine Vorteile.

Für FH-Professor Robert Mischak kam ELGA nie ins Fliegen, „weil es weder für den Arzt noch für den Patienten einen Benefit verspricht“. Ein Plädoyer für den Allgemeinnutzen reiche für einen Roll-out nicht aus: „Es braucht Verbindlichkeit.“

Imageprobleme

Es ist ein kleines, kaum 30 Köpfe zählendes IT-Dienstleistungsunternehmen, das im 1. Stock eines schmucklosen Bürogebäudes in der Brigittenau untergebracht ist. Und doch ist es das Symbol für sämtliche österreichische eHealth-Projekte, die seit 2014 angeschoben wurden. Jeder Österreicher kennt ELGA. Gab es in den frühen Jahren noch Assoziationen mit der namensgebenden „elektronischen Gesundheitsakte, so steht ELGA heute in der Wahrnehmung der Patienten – und der meisten Gesundheitsdienstleister – in erster Linie für den digitalen Befundaustausch, „und der funktioniert nicht so, wie sich das jeder Patient erwartet“, weiß der scheidende ELGA-Geschäftsführer Franz Leisch. Er verlässt ELGA mit Ende des Jahres. Das behördennahe IT-Unternehmen – Eigentümer sind Bund, Länder und Dachverband der Sozialversicherungsträger – wurde zum Sinnbild „eines eHealth-Systems, dessen Entwicklungsgeschwindigkeit in den vergangenen Jahren nur mehr als Stillstand beschrieben werden kann“, greift Albert Frömel zur Sportmetapher. Der Healthcare-Spezialist bei Zühlke Austria (siehe Gastkommentar auf Seite 15) wird emotional, wenn er Vergleiche mit anderen Ländern anstellt: „Die Skandinavier oder Israelis haben sich im Bereich des Digital Health-Sektors zuletzt im Sprint bewegt.“ Dort hätten die Bürger und berechtigte Gesundheitsdienstleister (GDA) Zugriff „zu allen Gesundheitsdaten“.

Tatsächlich sind in den Referenzstaaten wie Dänemark, Estland oder Israel Anwendungen wie E-Medikation, Befunde, zentrale Gesundheitsportale, Telemedizin oder mo­bile-Health Anwendungen normale Bestandteile des öffentlichen Gesundheitssystems. Auch werden anonymisierte Gesundheitsdaten für institutionelle sowie – mit Einschränkungen – unternehmensassoziierte Forschung generiert und zur Verfügung gestellt. Martin Sprenger, streitbarer Public Health-Forscher an der Meduni Graz und FH Joanneum, beklagt die „Heterogenität, mit der digitale Technologien im heimischen Gesundheitswesen umgesetzt werden.“ Er kenne Abteilungen an Universitätskliniken, „die zeichnen Fieberkurven und Medikation noch per Hand ein und hängen es dem Patienten ans Bett“. Und völlig grantig wird er, wenn er nach der Verteilung chronischer Erkrankungen in der heimischen Bevölkerung fragt: „Wir wissen weder, wie viele Diabetes-Kranke wir haben, wie viele davon beim Augenarzt sind und bei welchen Medikamenten sich welche Erfolge einstellen.“ Der Grund: „Wir haben keine Ahnung, welche Diagnosen bei uns im niedergelassenen Bereich gestellt werden.“

Tatsächlich gibt es in Österreich keinen Überblick, welche Krankheiten im niedergelassenen Bereich behandelt werden. Jede Ordination dokumentiert nur für die eigene Patientenkartei. Rückschlüsse auf Diabeteszahlen, Hochdruck-Patienten oder Stoffwechselstörungen werden in Österreich nur aufgrund ausländischer Studien oder stichprobenartiger Untersuchungen mit anschließender Hochrechnung getroffen. Klassifizierungssysteme wie ICPC-2 oder ICD (siehe Kasten) sind in Österreich zwar bekannt – siehe Studien der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin ÖGAM –, gelten aber weithin als Hobby einiger Primärversorger und Public Health-Enthusiasten. „Wir müssen den Einsatz von ELGA und deren Standards für die gesamte Gesundheitswirtschaft verbindlicher machen“, fordert Mischak. Bislang stellen nur Krankenhäuser Entlassungsbriefe mit Befunden in ELGA ein. Die niedergelassene Ärzteschaft und Labore verzichten weitgehend auf ihre Mitwirkung. eHealth-Berater Albert Frömel zieht eine Parallele zur Einführung der Registrierkasse: „Da konnte sich auch keines der Unternehmen aussuchen, ob es seine Daten zur Verfügung stellt oder nicht.“

Das Problem der Diagnosen
ICPC-2 (International Classification of Primary Care) ist eine Diagnosen-Klassifizierung, die von einer Arbeitsgruppe der WONCA (Weltorganisation für Allgemein- und Familienmedizin) speziell für die Primärversorgung und Hausarztmedizin erarbeitet wurde. ICPC-2 berücksichtigt nur Diagnosen mit einer Prävalenz über 1, also das, was in der Praxis gelegentlich bis regelmäßig vorkommt. So werden circa 300 Diagnosen und 100 Symptome klassifiziert. Die Einordnung erfolgt nach mehr als 20 Kategorien („biaxiale Struktur“). Die Codes haben auf einem doppelseitig bedruckten A4-Blatt Platz. Die an einem laufenden Pilotprojekt der ÖGAM teilnehmenden Partner übersenden die Daten in einer Excel-Datei per Mail an die Projektleitung, wo sie händisch in das Datenregister eingetragen werden. Für die Digitalisierung ist noch viel zu tun.

Kein Gestaltungswille

In Österreich fand die Idee eines vernetzten Gesundheitssystems nur sporadische politische Unterstützung. 2006 wurden unter Maria Rauch-Kallat die gesetzlichen Fundamente für eine elektronische Gesundheitsakte gelegt. Sie zählt heute noch zu den Förderinnen eines digitalisierten Gesundheitssystems. 2014 wurde die ELGA GesmbH aus der Taufe gehoben. Der damals amtierende Gesundheitsminister Alois Stöger war nach Aussagen Beteiligter froh, dass sein Sektionschef Clemens Auer als Dynamo für dieses Projekt fungierte. Für spätere Regierungen und Ressortminister bedeuteten die Themen Digitalisierung und ELGA in erster Linie Schwierigkeiten. Akteure erinnern sich, dass die Funktionäre der Ärztekammer als todsichere Quertreiber von Digital Health-Lösungen galten. Sie wollten sich eine Kooperation nur teuer abkaufen lassen. „Für ein paar Gesundheitsdaten wollte niemand in den Ring steigen“, erzählt ein damaliger Entscheidungsträger.

Auf dem ELGA-System basieren heute drei Applikationen: e-Medikation, der Impfpass und das Befundaustauschsystem eBefund. Franz Leisch selbst bezeichnet die Infrastruktur als „Autobahn, auf der keine Autos fahren“. Dabei sichert die ELGA-Architektur neben Performance und hoher Verfügbarkeit vor allem den Datenschutz – eine Grundvoraussetzung für den Austausch von Gesundheitsdaten. ELGA bietet aber auch die Eta­blierung von medizinischen Standards wie IHE, HL7-CDA, DICOM, LOINC, was „langfristig wertvoll wird“, ist Robert Mischak überzeugt.

Und dennoch gibt es von den Entscheidern im Gesundheitssystem keine Unterstützung. Konzepte für weitere Anwendungen lägen zuhauf in den Schubläden. So seien die Voraussetzungen für ein abgesichertes Bildaustauschsystem für Röntgenologen erprobt und fertig. „Es interessiert nur niemanden.“

ELGA wird immer größer gemacht, als es ist. Seit zehn Jahren liegt das Budget bei 10 Millionen Euro für Personal und Wartung der laufenden Applikationen. Leisch beteuert, mit 30 Millionen Euro neue Applikationen auf den Weg bringen zu können – angesichts der Milliardenbeträge im Gesundheitsbereich eine machbare Summe.

Denn die Pandemie hat unterstrichen, welchen Stellenwert digitale Vernetzungen im Gesundheitsbereich haben. Dennoch gibt es in Österreich jede Menge digitaler Gesundheitsdaten, die ohne Wert für die Allgemeinheit bleiben – weil sie isoliert in einem Ordinations-PC, in einer Spitals-IT oder einem der Länder-Server der Sozialversicherung schlummern. Jede einzelne Information ist für sich bedeutungslos – in der Masse aber eine Macht.

Die in naher Zukunft wichtigste eHealth-Anwendung hat nichts mit den unmittelbaren ELGA-Plänen zu tun. Der Grazer Institutsvorstand Robert Mischak sieht die Zeit für telemedizinische Anwendungen gekommen: „Der ärztliche Erstkontakt wird in naher Zukunft über Tablet oder Smartphone erfolgen müssen, um die Versorgungsproblematik im ambulanten Bereich in den Griff zu bekommen.“ Dazu brauche es sichere Apps und leistungsfähige Datenleitungen.

Für die künftige ELGA-Geschäftsführung geht es nach Amtsantritt darum, die Daten-Infrastruktur für künftige Anforderungen fit zu machen. Healthcare-Experte Albert Frömel: „Die jüngsten Projekte von ELGA sind fünf Jahre alt. Da gibt es bis 2030 viel zu tun.“ Noch nicht entschieden ist, ob diese Herausforderungen von einer ELGA GesmbH im alten Kleid angenommen werden. Mit dem Gesundheitsinformationssystem GINA der Sozialversicherungen, besser bekannt als eCard-System, ist eine zweite potenzielle Datenautobahn im heimischen Gesundheitssystem installiert. Eine Bündelung der Kräfte in Form einer Digital Health-Agentur mit – ganz wichtig – einer einheitlichen Strategie ist in den Augen der eHealth-Community mehr als nur überlegenswert. Aber dazu gilt es, über viele Schatten zu springen.    //

Links und Quellen:
Europäischer Raum für Gesundheitsdaten (EHDS)
Ambulante Dokumentation: Nutzung der ICPC-2 in Österreich
GP Excellence programme

„Es war nie Geld da“

Herr Dr. Leisch, warum haben Sie sich nicht mehr um die Geschäftsführung von ELGA beworben?
Franz Leisch:
(denkt nach) Ich formuliere es so: Weil mir das Gefühl gegeben wurde, dass ich nicht mehr erwünscht bin. Als ich mich im April aus juristischen Gründen gegen die Impfpflicht ausgesprochen habe, wurde mir von allen Eigentümern das Misstrauen ausgesprochen. Und wenn man die Ausschreibungskriterien anschaut, habe ich nicht den Eindruck, dass meine Fähigkeiten mit Medizin und Informatik gesucht werden. Da macht es keinen Sinn, mich zu bewerben.

Haben Sie sich gegenüber Bundesminister Rauch zu sehr exponiert?
Das müssen andere beurteilen. Mir wurde von Eigentümerseite signalisiert, dass ich mich zu sehr erhöhe und dass meine Rolle als Geschäftsführer von ELGA keine politische sei. Ich solle meinen Job machen und fertig. Die bloße Umsetzung von Aufträgen war aber nie meine Perspektive. Mir ging es um ELGA und wie kann man eHealth-Systeme in Österreich forcieren. Manchmal ist das, was für ELGA und das Gesundheitssystem gut ist, nicht das, was aus Sicht der Eigentümer Priorität hat.

Zur Person:

DI Dr. Franz Leisch ist Mediziner und Med-Informatiker mit Studium des Software-Engineerings an der FH Oberösterreich (Hagenberg). Seit 2018 ist der
47-Jährige Geschäftsführer der ELGA GmbH. Sein Vertrag endet mit Jahresende 2022.

Fünf Jahre ELGA – was hat gehakt?
Die größten Probleme liegen mit Sicherheit bei der schwachen Finanzierung. Das ELGA-Budget ist seit 2010 bei 10 Mio. Euro gedeckelt. Bei dem Betrag sind die laufenden Kosten für die ELGA GmbH und für den Systempartner im Bundesrechenzentrum inkludiert. Das heißt: Je mehr Transaktionen ich habe, umso höher sind meine Betriebskosten. Wenn wir nur etwas mehr Budget gehabt hätten, hätten wir deutlich mehr anbieten können, als wir jetzt auf der Habenseite ausweisen.

Was meinen Sie damit?
Ein gutes Beispiel ist die Bilddatenübertragung für Röntgen- und MRT-Aufnahmen. Wir haben heuer im Echtfall nachgewiesen, dass wir Bilddaten über das ELGA-System speichern und zugänglich machen können. Der Röntgenologe speichert den Befund in ELGA ein. Anfordernde Ärzte erhalten einen gesicherten Link zum Streamen.

Wann kommt das in die Ordinationen?
In der Realität dauert das noch länger. Was noch fehlt, ist ein passender Netzausbau, damit die Leitungen zu den Arztpraxen die Datenmengen auch bewältigen. Die Applikation verlangt außerdem nach einer modifizierten Software, die auch ausgerollt werden muss.

Wenn es nach Ihnen geht: Wie viel Geld braucht ELGA?
Wir benötigen ein Budget von mindestens 30 Mio. Euro im Jahr, um unseren Aufgaben gerecht zu werden. Ein Drittel, zehn Millionen, erfordern die Personalkosten. 10 Mio. Euro sollten für die Betreuung und Verbesserung unserer Anwendungen gewidmet werden. Das wäre ausreichend, um neue Applikationen wie Bilddaten-Übertragung oder Ambulanzbefund auszurollen. Und für sehr wichtig halte ich, weitere 10 Mio. Euro für die Zukunftsplanung einzusetzen. Die technische Infrastruktur von ELGA braucht neuen Input. Dazu hatten wir nie Kapazitäten. Es war nie Geld da.

Kaum ein niedergelassener Mediziner speichert Patientenbefunde bei ELGA ab. Warum ist dies so?
Gute Frage. Dies ist ein Thema der Vertragspartner im Lassensystem. Es braucht Anreize oder Druck – je nachdem, wie Sie das sehen wollen. Die ÖGK muss bei den Verhandlungen zur Kammer sagen: Liebe Vertragspartner, ihr kriegt kein oder weniger Geld für den Befund, wenn ihr nicht in ELGA einspeichert. Wir verfügen mit ELGA über eine funktionierende Autobahn, aber die Autos finden die Auffahrt nicht.

Warum ist der eBefund nie ins Fliegen gekommen?
Da finden sich mehrere Gründe. Die Patienten haben beim Impfpass und der e-Medikation echte Benefits. Allen war klar: Wenn ich keinen gültigen Impfpass habe, komme ich nicht zum Wirten. Die Beteiligten hatten einen klaren Nutzen. Die eMedikation wurde binnen weniger Tage adaptiert und zur elektronischen Medikamentenverschreibung umfunktioniert. Das war ein voller Erfolg: Jetzt ruft der Patient beim Arzt an und erhält sein Rezept. Absoluter Nutzen für alle. Beim eBefund ist die Ausgangssituation komplizierter. Zum eBefund gibt es Alternativen. Es gibt Software-Produkte, die eine bessere Usability mit Suchfunktion und anderen Vorteilen aufweisen, die aber extra Geld kosten. Und das Haupthindernis sind die fehlenden Inhalte im eBefund: Wenn der Arzt keine Labor- und keine Radiologiebefunde findet, warum soll er sich die Kosten von ELGA leisten?

Warum klappt die Zusammenarbeit mit der niedergelassenen Ärzteschaft nicht?
Aus meiner Sicht funktioniert das Teamwork mit der Ärzteschaft nicht so schlecht. Es sind weniger die niedergelassenen Ärzte, die im Fokus der Contentlieferung stehen. Vorrangige Zielgruppe aus Sicht einer eHealth-Systematik sind die Labors und Radiologen. Wenn sich deren Befunde auf ELGA finden, lohnt es sich für die Fachärzteschaft, dort nachzuschauen. Wir sehen, dass etwas weniger als die Hälfte der Ärzte das Befundsystem schon mal genutzt hat. Sie suchen die Entlassungsbefunde der öffentlichen Krankenhäuser, die in der Regel lückenlos dort zu finden sind. Alles andere ist Glück.

Was sind die weiteren Gründe für die fehlende Akzeptanz des Befundsystems?
Der Grundfehler im Konzept war die Annahme, dass es reiche, der ELGA GmbH den Auftrag zu geben, eine Infrastruktur aufzubauen. Der Rest sollte sich von selber am Gesundheitsmarkt erledigen. Aber es braucht einen koordinierten Roll-out, es braucht Schulungen und eine hohe Usability der Anwendungen. Der User verlangt einen Benefit. Ich war selber Leiter von Gesundheitseinrichtungen der Rehabilitation. User wollen sicher sein, dass es gescheit ist, sich dort kostenpflichtig zu engagieren. Das Einspeichern von Befunden kostet den GDA (Gesundheitsdiensteanbieter, Red.) Geld, auch wenn es nur um ein paar Cent geht: Warum soll er das machen? Weil es für die Allgemeinheit gut ist? Die Ordination selbst hat gar nichts davon, wenn sie einen Befund einstellt. Der Arzt braucht einen Grund, den Content zu liefern.

Welcher könnte das sein?
Da gibt es schon Zugriffsmöglichkeiten. In Wahrheit könnte die Pensionsversicherungsanstalt den Reha-Kliniken vorgeben, die Befunde einzupflegen. Die ÖGK sollte im Vertrag festlegen, dass die Kassenärzte die Befunde einspeichern müssen. Sonst gibt es ein Problem bei den Honoraren.

Hat ELGA ein Imageproblem?
Wir haben ein Problem in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger. Sie spüren keinen direkten Nutzen. Der eBefund könnte dafür eine Quelle sein, funktioniert aber nicht. Impfpass und eMedikation werden nicht mit den klassischen ELGA-Anwendungen assoziiert. Unsere Kernfunktion – die Bereitstellung einer standardisierten und gesicherten Vernetzung großer Bereiche des Gesundheitssystems – wird von den wenigsten wahrgenommen. Wir haben die Schienen verlegt. Wir könnten auch die Züge und Wagons draufstellen. Aber dazu braucht es einen politischen Willen.

Benötigen wir in Österreich eine über­greifende Digital Health Agency?
Es gibt Überlegungen, aus der ELGA GmbH eine Digitalisierungsagentur zu machen. Das Projekt des „European Health Data Space“ ist dafür ein guter Anlass. Dort werden auf europäischer Ebene Standards entwickelt, um Gesundheitsdaten sicher und übergreifend nutzbar zu machen. Die Idee, ELGA GmbH aufzuwerten und in eHealth Austria Agentur zu etablieren, hat für mich einen gewissen Charme.

Sollte ELGA mit dem eCard-System gebündelt werden?
Das eCard-System hat eine absolute Berechtigung. Ich verstehe das Bestreben der Sozialversicherungen, Anwendungen ihres Einflussbereiches eigenständig umzusetzen. Denn eines ist klar: Wenn sie Projekte auf ELGA-Basis stellen, wird es aufgrund seiner Eigentümerstruktur schwerfällig und komplex. Dann reden Bund und Länder mit. Wenn ich Dinge alleine stemmen kann, dann mache ich das. Die Probleme beginnen, wenn man beim Nachbarn wildert. Es gibt im Bereich von eHealth gesamtstaatliche Perspektiven, die von einem einzigen Stakeholder nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden. Und wir haben das Finanzierungs- und Kompetenzproblem, in dem wir unser Gesundheitssystem dual mit Steuergeldern und durch ein Sozialversicherungssystem finanzieren. In Europa haben nur Griechenland und Österreich dieses System. Das Problem ist: ELGA wird zwischen den beiden Systemen zerrissen.

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