Die Krebs-GmbH: Kampf gegen seltene Tumore bei Kindern

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Autor: Martin Hehemann

Universitäten und Privatunternehmen aus der EU haben eine GmbH gegründet, die sich dem Kampf gegen seltene Tumore bei Kindern verschrieben hat. Mit dabei in diesem europäischen Leuchtturmprojekt: die MedUni Wien.

Johannes Gojo will seine Freude nicht verbergen: „Das ist ein großer Schritt. Er erlaubt, dass wir die Arbeit der vergangenen sieben Jahre weiterführen und dass wir noch besser zusammenarbeiten werden“, meint der Professor für Pädiatrische Neuro-Onkologie der MedUni Wien.

Der Schritt, über den Gojo sich freut, ist formal gesehen eine Eintragung ins deutsche Unternehmensregister. Dort wurde vor einigen Monaten eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in Heidelberg eingetragen. Sie trägt den wenig marketing-affinen Namen „ITCC-P4“. Ihr Zweck: Die GmbH soll in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten, effiziente Therapien für die aggressivsten Arten von Tumoren bei Kindern zu entwickeln. An ITCC-P4 sind zwölf Universitäten und drei Auftragsforschungsinstitute – Unternehmen, die im Auftrag von Pharmaunternehmen klinische Studien durchführen – aus der EU beteiligt. Darunter befinden sich unter anderem das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, das Institut Gustave Roussy in Paris, das Princess Maxima Zentrum in Utrecht oder die Charité in Berlin.

Klotzen, nicht kleckern. Seltene Krebsarten werden durch ein schwarz-weißes Zebradruckband symbolisiert. Die europäische Forschungs-GmbH soll Modelle sammeln, um endlich Therapien gegen die aggressivsten Arten von Tumoren bei Kindern zu entwickeln.

Kampf gegen hochaggressiven Krebs

Ebenfalls beteiligt: das Comprehensive Cancer Center (CCC), in dem MedUni Wien und AKH Wien ihr Know-how zur Krebsbekämpfung gebündelt haben. Die Rolle der Wiener darf als federführend bezeichnet werden. Denn das CCC verfügt über eine ausgewiesene Expertise in der Etablierung sogenannter Modelle im Bereich von Hirntumoren bei Kindern und ist an vielbeachteten Studien zur besseren molekularen Charakterisierung dieser teils hochaggressiven Tumore beteiligt. „Wir sind eines der größten Zentren für Hirntumore bei Kindern im deutschsprachigen Raum“, meint Onkologe Gojo und ergänzt: „Wir haben eine umfangreiche Datenbasis mit Falldaten und einzigartigen Forschungstools, die wir zur Verfügung stellen können.“

Bei ITCC-P4 handelt es sich um die Fortführung eines EU-Projekts mit gleichem Namen, das 2015 gestartet worden war. In dem mit 16 Millionen Euro dotierten EU-Projekt waren neben den verschiedenen Universitäten auch namhafte Industriepartner wie Pfizer, Bayer oder Pharma Mar beteiligt. Der Name war Programm. ITCC steht für Innovative Therapies for Children with Cancer, P4 für Paediatric Preclincal Proof-of-Concept Platform. Auf Deutsch und halbwegs für Laien ausgedrückt: Das Projekt hatte das Ziel, eine präklinische Testplattform zur Erforschung von Tumoren bei Kindern aufzubauen.

„Obwohl viele Kinderkrebsarten schon gut therapiert werden können, gibt es sehr aggressive Formen, die bis heute nicht heilbar sind“, so Onkologe Gojo. In Österreich erkranken pro Jahr etwa 100 Kinder an einem primären Hirntumor, die häufigste Krebsart bei Kindern. Zudem gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Arten, die jeweils mit eigenen Therapien behandelt werden müssen.

Komplexer, aber auch effektiver

Die rasanten Fortschritte, die in den vergangenen Jahren im Bereich der molekularen Diagnostik gemacht wurden, haben dazu geführt, dass die Forscherinnen und Forscher die einzelnen Krebsarten mittlerweile sehr präzise definieren können. Dadurch ergibt sich aber eine Herausforderung: Denn „die Zahl der unterschiedlichen Arten ist damit noch größer geworden und die Fallzahl pro Art noch kleiner“, erläutert Gojo. „Damit wird es komplexer, allerdings auch effektiver, die richtige Therapie für die richtige Mutation zu finden.“

Um genau das zu bewerkstelligen – nämlich das passende Medikament zu finden, mit dem sich die jeweilige Krebsart am besten bekämpfen lässt – benötigen die Pharmaunternehmen sogenannte Tumormodelle. Diese Modelle werden entwickelt, indem man Tumorzellen von einem Patienten entnimmt und sie im Labor weiterzüchtet. Anhand der Modelle lässt sich dann erforschen und testen, wie die Tumorzellen am wirkungsvollsten bekämpft werden können. Was in der Theorie einfach klingt, hatte in der Praxis bislang einen großen Haken: Es gab viel zu wenig Tumormodelle.

Hier setzte das EU-Forschungsprojekt ITCC-P4 an, das von „Innovative Medicines Initiative 2“ (IMI-2) finanziert wurde, einer Kooperation der EU und der pharmazeutischen Industrie: Um die bestmöglichen Therapiestrategien für Tumorerkrankungen bei Kindern herauszufiltern, wurde europaweit eine Plattform für Tumormodelle aufgebaut. „Die präklinische Plattform, die wir mitetabliert haben, kann für aussagekräftige, präklinische Substanztestungen herangezogen werden“, meint der Onkologe Walter Berger von der MedUni Wien, der ebenfalls an dem Projekt mitgearbeitet hat.

Daten gegen Krebs. Johannes Gojo ist frisch berufener Professor für Pädiatrische Neuro-Onkologie an der MedUni Wien. Das Comprehensive Cancer Center (CCC) bringt seine umfangreiche Datenbasis mit Falldaten und Forschungstools in die Krebs-GmbH ein.

300 Modelle

Im Zuge des Vorhabens entwickelten die Wissenschaftler hunderte von Modellen. So entstand die weltweit größte Plattform von molekularen Modellen von Kindertumoren. Die neu gegründete GmbH nimmt mit einem Pool von rund 300 Modellen ihre Arbeit auf. Weitere rund 300 Modelle sind bereits in der Pipeline. „Die GmbH verschafft uns große Vorteile: Erstens ist damit gesichert, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können“, so Krebsexperte Gojo. „Zweitens, und das ist noch wichtiger, können wir Forscherinnen und Forscher noch enger zusammenarbeiten und unser Know-how vertiefen. Und wir können noch besser und gezielter mit den Pharmaunternehmen zusammenarbeiten und sie bei der Entwicklung von Therapien unterstützen.“

Die gemeinnützige GmbH hat sich dazu verpflichtet, dass die von ihr etablierten Tumormodelle nicht nur innerhalb des Konsortiums, sondern auch von anderen Forschenden kooperativ genutzt werden können. Zudem sollen die erwirtschafteten Gelder auch in Zukunft für Forschungszwecke in diesem Bereich eingesetzt werden. Dazu Gojo: „Wir wollen, dass neue Medikamente für Kinderkrebs schneller und besser getestet werden und damit von den Pharmaunternehmen entwickelt werden können.“

Die Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen funktioniert folgendermaßen: Die Hersteller entwickeln potenzielle Medikamente gegen Kindertumore. Die vielversprechendsten Produkte lassen sie von den Auftragsforschungsinstituten, die in der GmbH vertreten sind, in sogenannten „vorklinischen Studien“ testen – und zwar anhand der Modelle im Pool der GmbH, der laufend weiter ausgebaut wird. Im Idealfall findet sich dabei eine passende Kombination: ein Medikament, das eine bestimmte Krebsart wirkungsvoll bekämpft. Ist das der Fall, kann das Pharmaunternehmen das Medikament in einer klinischen Studie testen, um eine Zulassung zu erhalten und das Medikament auf den Markt zu bringen.

Präzisionsmedizin gegen Tumore

Für die jungen Patientinnen und Patienten hat die Plattform von ITCC-P4 einen weiteren unschätzbaren Vorteil: Die Aktivität der getesteten Therapie kann mit den genetischen Veränderungen und anderen Biomarkern abgeglichen werden. „Dadurch können wir jene Kinder herausfiltern, bei denen die Therapie die größten Chancen auf einen Erfolg hat“, erläutert Gojo. Sein Kollege Berger ergänzt: „Damit kann man auch seltenen Erkrankungen mittelfristig den Zugang zur Präzisionsmedizin öffnen.“

Aus Sicht von Experten ist die Gründung von ITCC-P4 ein echtes europäisches Leuchtturmprojekt. Der Stolz, bei diesem Projekt dabei zu sein, ist in Wien daher dementsprechend groß: „Die Medizinische Universität Wien beteiligt sich aufgrund des hohen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Impacts an diesem Projekt. Wir möchten die Forschung in diesem Bereich schneller vorantreiben und deren Ergebnisse zu den Patientinnen und Patienten bringen“, meint Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation an der MedUni Wien. 

Quellen und Links:

Information der MedUni Wien zur Gründung der GmbH ITCC P4

Website des Projekts ITCC P4

Website des Comprehensive Cancer Centers

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