Johannes Rauch: „Wir müssen die Barriere zwischen Spital und Pflege niederreißen“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Herr Minister Rauch, Sie verhandeln seit Weihnachten 2022 die Gesundheitsreform im Rahmen des Finanzausgleichs. Einzelne Wortmeldungen waren oft rau. Wie haben Sie die Gespräche erlebt?
Johannes Rauch: Es war die herausforderndste Verhandlungssituation, der ich je begegnet bin. Ich hatte neun Bundesländer unterschiedlicher Couleur und die Sozialversicherung als Verhandlungspartner unter einen Hut zu bringen, ich musste mich eng mit dem Finanzministerium abstimmen, dann die Ärztekammer und die Apothekerkammer einbinden. Die Anzahl der Verhandlungspartner hat die Gespräche nicht erleichtert. Auch die unterschiedlichen Perspektiven machten die Verhandlungen sehr schwierig. Es hat bei allen Verhandlungspartnern aber eine übereinstimmende Sicht auf die Probleme gegeben. Dass die bevorzugten Lösungswege oft sehr unterschiedlich waren, liegt in der Natur der Sache. Die wichtigste Voraussetzung für alle Verhandlungen war aber die Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium. Auch wenn es abgedroschen klingt: Zwischen Finanzminister Brunner und mir hat kein Blatt Papier gepasst. Allen genannten Parteien war klar, dass wir ohne Änderungen das System nicht länger finanzieren können. Dann müssten wir in fünf Jahren mit dem Rasenmäher drüberfahren.

Entspannt. Gesundheitsminister
Johannes Rauch plant, sich nach Ende der Legislaturperiode nicht länger um die Politik zu bemühen. Für viele ist dies die ideale Voraussetzung, um sich auf eine Gesundheitsreform einzulassen.

Die Ärztekammer empfindet dies anders.
Natürlich existieren unterschiedliche Auffassungen. Aber es gibt das gemeinsame Verständnis, dass die Patienten im Mittelpunkt der Gespräche stehen müssen. Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt zu dem Thema nicht sagen. Aber es kommen für Gesundheit und Pflege insgesamt 2,1 Mrd. Euro frisches Geld ins System. Über die generelle Ausrichtung der Maßnahmen besteht Einigkeit.

Sie haben oft die Vielschichtigkeit des heimischen Gesundheitssystems kritisiert. Dieses Thema wurde nicht angegriffen. Waren Sie in Ihren Zielen zu vorsichtig?
Es gibt Themen wie die Verbindlichkeit der Stellenpläne und der Zielsteuerungsvereinbarungen, die die Dinge wesentlich vereinfachen. Der Finanzausgleich schreibt die Mittelaufteilung auf die Jahre genau fest. Wir haben ein Übereinkommen, dass die Bundeszielsteuerungskommission zentrales Steuerungscockpit werden soll. Wenn alles so kommt, wie wir das besprochen haben, dann werden wir uns in der Bundeszielsteuerungskommission nicht mehr streiten müssen, wie wir Impfungen in Österreich finanzieren. In der Vergangenheit war das ein Elend. Das sind Fortschritte in der Struktur, die ich als wesentlich bezeichne.

Kernpunkt Ihrer Reform ist der Ausbau des ambulanten Bereiches, um den statio­nären Bereich zu entlasten. Jetzt erhalten die Länder 600 Millionen Euro, um die Spitalsambulanzen umzugestalten, und die Sozialversicherung die Hälfte, nämlich 300 Millionen Euro, um die favorisierte Stärkung des niedergelassenen Bereichs auf Schiene zu bringen. Ist dies nicht eine Umkehrung der Schwerpunkte?
Es kommt erstmals direktes Geld aus dem Budget an die Sozialversicherungen. Das ist ein Novum. Diese Mittel sind dazu da, damit die Kassen den niedergelassenen Bereich ausbauen und für die Ärztinnen und Ärzte attraktiver machen. Und für die Länder haben die frischen Zuschüsse eine Zweckbindung. Es gibt Themen wie die Übergangspflege oder ambulante Reha, die sich nicht im herkömmlichen klinischen Bereich abbilden lassen, aber im Umfeld eines Spitals anzusiedeln sind. Und es gibt heute viele Eingriffe, bei denen die Patienten am gleichen Tag wieder nach Hause gehen können. Diese frischen Mittel werden dazu eingesetzt, um die Infrastruktur diesen Bedürfnissen anzupassen. Die Patienten sollen aus den teuren Spitalbetten in den tagesmedizinischen Bereich ausweichen können. Wir müssen die bisherige Barriere zwischen Spital und Pflege niederreißen.

Wird der Beruf des Allgemeinmediziners mit Kassenvertrag durch die Reform wirklich attraktiver?
Es kommt mehr Geld in das System, die PVZ werden gestärkt. Die ÖGK wird mit ihren frischen Mitteln die Kassenverträge attraktiver machen. Es darf nicht länger sein, dass sich der Hausarzt am unteren Ende einer Einkommenshierarchie fühlt. Und das Format der Primärversorgung wird weiterwachsen. Moderne Lebenswirklichkeiten wie der Wunsch nach Teilzeitarbeit, verlässliche Arbeitszeiten und Kindererziehung dürfen kein Hindernis sein, am ärztlichen oder pflegerischen Berufsleben teilzuhaben.

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