Pflegekräfte­mangel: Recruiting für die Alpenrepublik

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Autor: Norbert Peter

Pflegekräfte aus der ganzen Welt sollen den österreichischen Personalmangel lindern. Ein Pflegekongress liefert ein Stimmungsbild – und die Idee, wie es funktionieren könnte.

Ende Oktober kehrte eine hochrangige österreichische Delegation aus Manila heim. Mit im Gepäck: ein Abkommen, das es erleichtert, Personal für die Bereiche Gesundheit, IT und Ingenieurswesen von den Philippinen nach Österreich zu lotsen. „Die österreichische Bundesregierung will für die heimischen Unternehmen die bestmögliche Grundlage schaffen, um auch in Zukunft international die besten Talente anzuwerben“, sagt Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, die das Schriftstück in Vertretung von Minister Martin Kocher unterzeichnete. In dem Papier werden Bereiche der Fachkräfteanwerbung und Zusammenarbeit in der Berufsbildung sowie Regelungen zur Vermeidung von irregulärer Migration geregelt.

Machen solche Reisen Sinn? Beim Pflegekongress im Wiener Austria Center diskutierten Expertinnen und Experten das Thema „Internationalisierung der Pflegeberufe.

Unkoordiniert. Jede heimische Gesundheitseinrichtung angelt auf eigene Faust nach internationalen Kollegen und Kolleginnen. Das Bild zeigt den oberösterreichischen Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (Mitte), der im vorigen Sommer in Perg den ersten zehn philippinischen Pflegekräften zur Ergänzungsprüfung zur Pflegefachassistenz gratuliert.

Unzufriedenheit und Angst

„Easy cheesy läuft das überhaupt nicht“, zieht Silvia Neumann-Ponesch Bilanz. Seit über zehn Jahren bildet sie als Leiterin des Lehrgangs „Interkulturelles Pflegemanagement“ Führungskräfte an der FH Oberösterreich aus. Dort bemüht sie sich um die Weiterbildung von Führungspersonen in der Pflege. Sie vermittelt Kompetenzen, die der kulturellen Herkunft der Patientinnen und Patienten aber auch des Personals gerecht werden: Interkulturelles Management soll eine kultursensible Pflege ermöglichen.

Die Studierenden von Neumann-Ponesch sind durchschnittlich zwischen 40 und 50 Jahre alt, aus ganz Österreich, berufserfahren und wollen künftig als Pflegedirektorin oder -direktor arbeiten. Von diesen bekommt die Lehrgangsleiterin ein Bild vermittelt, das von Unzufriedenheit und Angst zeugt. Sie fühlen sich im Stich gelassen, Pflegende mit Migrationshintergrund werden als Konkurrenz gesehen. Diese wiederum klagen über Probleme bei der Nostrifizierung, aber auch über mangelnde Integration und Anerkennung am Arbeitsplatz. Eine Beschwerde, die man auch zu hören bekommt: Es werde mit viel Aufwand um Pflegekräfte aus dem Ausland gebuhlt, anstatt die Ressourcen zu verwenden, um die Rahmenbedingungen für jene zu verbessern, die bereits in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen arbeiten.

Entwicklung verschlafen

Internationale Arbeitskräfte sind im heimischen Pflegedienst unverzichtbar geworden. Daher der Rat von Neumann-Ponesch: Wenn man sie halten will, wäre es wichtig, ihnen das Gefühl zu geben, angenommen zu werden, und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Die Organisationen sollten sich interkulturell öffnen und Teamfähigkeit kommunizieren. Es sei wichtig, sich an einen Tisch zu setzen, sich Zeit zu nehmen und kulturelle Befindlichkeiten auszutauschen. Eine Möglichkeit ist das Arbeiten in Tandems: Dabei werden neu hinzugekommene Pflegekräfte von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen begleitet. „Die Politik und die Träger haben die Entwicklung verschlafen, obwohl das Problem des Personalmangels lange bekannt war,“ analysiert Neumann-Ponesch. Generell kommt die Gesundheitsmanagerin zu dem Schluss, dass für die Rekrutierung internationaler Pflegekräfte ein Gesamtkonzept fehle. Jeder Träger arbeite für sich und sei bemüht, Personal zu rekrutieren: „Aber die nötige Integration danach kommt zu kurz.“

Inhaltliche Unterstützung bekommt die Lehrgangsleiterin von der Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) Elisabeth Potzmann: „Wir müssen dem Wildwuchs entgegentreten. Es braucht eine einheitliche Regelung. Es muss eine Anmeldung über eine Website möglich sein, einen single Point of entry.“ Sie wünscht sich eine Vereinheitlichung des Systems statt neun verschiedener Systeme bei der Nostrifikation. Die Interessenvertreterin sieht einen hohen Bedarf: Bis 2030 werden mindestens 75.000 Pflegekräfte benötigt, die Vollzeit arbeiten. „Wie viele davon aus dem Ausland kommen sollen oder können, ist meines Wissens nicht definiert“, erläutert Potzmann.

Volles Programm. Beate Czegka leitet das Projekt „Pflege International“ der Tirol Kliniken. Derzeit bemühen sich die Tiroler stark um kolumbianische Bewerber. Der dortige
Bachelor für Pflege verlangt nach vier Jahren Ausbildung.

Wiener Willkommenskultur

Auch Andrea Kapounek, Geschäftsführerin der Wiener Pflegeeinrichtungen des Hauses der Barmherzigkeit, sieht ohne gezielte Migration schwarz. Als Grund führt sie die Pensionierung der Babyboomer an. Sie meint, dass man sogar 100.000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen wird, da auch viele dabei sein werden, die nur Teilzeit arbeiten wollen. „Ein Drittel davon wird aus dem Ausland kommen müssen. Dabei ist es egal, ob diese aus der Europäischen Union oder aus Drittstaaten, wie den Philippinen oder Kolumbien, kommen“, schätzt Kapounek auch mit Blick auf die Entwicklung im eigenen Unternehmen: Für die Wiener Häuser wurden heuer 25 solcher Arbeitskräfte gewonnen. Deswegen ist für sie die optimale Integration der Menschen wesentlich. Denn diese kämen „nicht nur, um zu arbeiten, sondern um dem Land aus dem Personalmangel herauszuhelfen.“ Dazu gehören eine freundliche und wertschätzende Willkommenskultur – und die möge bei einer niederschwelligen bürokratischen Integration beginnen: „Derzeit warten wir Monate bis teilweise über ein Jahr auf Arbeitsgenehmigungen. Das kann nicht sein. Auf die Nostrifikationsbescheide der Fachhochschulen warten wir ebenso oft viel zu lange.“ Andrea Kapounek sieht den Bund gefordert: „Die Kosten für die Relocation-Programme muss der Staat übernehmen. Die Träger können diese Integrationskosten, die uns mehr als 10.000 Euro pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter kosten, nicht aus den laufenden Budgets tragen.“

Tiroler Perspektiven

Generell bemüht man sich, das Beste aus der Situation zu machen. Auf Erfolge verweist zum Beispiel Beate Czegka von den Tirol Kliniken, zu denen unter anderem die Uniklinik Innsbruck gehört: „Die Leute haben mich mit ihrem positiven Zugang echt geflasht. Wir sind aber auch noch in der Honeymoon-Phase.“ Der Grund für diese positive Gefühlslage sind die ersten drei von 24 Pflegekräften aus Kolumbien, die bei ihr den besten Eindruck hinterlassen. Czegka, die seit zehn Jahren als Abteilungsvorstand für das Entwickeln von Strategien und Konzepten für die Zukunft der Pflege zuständig ist, sitzt auch als Mitglied im Gesundheits- und Krankenpflege-Beirat des Gesundheitsministeriums.

Seit einem Jahr leitet sie das Projekt „Pflege International“: Wobei die Pflegemanagerin ganz bewusst das Wort „international“ dem Wort „ausländisch“ vorzieht. Das gilt schon als erste Maßnahme, um Vorurteile zu überwinden. Bereits jetzt arbeiten 428 internationale Pflegekräfte aus 30 Nationen bei den Tirol Kliniken, was etwas über elf Prozent aller Pflegekräfte im Unternehmen ausmacht.

Auch Czegka verweist auf die herausfordernde Ausgangslage bei der Finanzierung: „Für eine Pflegekraft aus Österreich bezahlt die öffentliche Hand die Ausbildung. Beim internationalen Recruiting wird die Vermittlungsgebühr von den Unternehmen übernommen.“ Gemeinden oder kleine Pflegeeinrichtungen hätten plötzlich einen Posten drinnen, den sie bis jetzt nicht finanzieren mussten.

Die Beiträge sind je nach Agentur unterschiedlich. Das niedrigste Angebot betrug im Zuge einer Markterkundung laut Czegka 8.700 Euro, das teuerste 15.920 Euro. Damit waren unterschiedliche Leistungen verbunden: So sind da zum Beispiel Punkte wie das Dokumentenmanagement, die Personalauswahl, Sprachkurse bis zum B2-Zertifikat oder eine Garantieleistung (wer übernimmt das Risiko, wenn ein Arbeitnehmer die Sprache nicht ausreichend erlernt?) zu beachten.

Kolumbien lernt Deutsch

Die Rekrutierung in Kolumbien ist ein neuer Versuch, die heimische Pflegemisere mit externer Hilfe zu lindern. Die Anwerbe-Strategie der Tiroler Landeskliniken startet mit Online-Interviews mit den Bewerbern. Dabei ist immer eine Agentur involviert, die Anwerbung und Abwicklung administriert. Die fachliche Ausbildung der Interviewten ist hoch: Den kolumbianischen Bachelor für Pflege erhält man nach vier Jahren Ausbildung. Bei einer Zusage muss noch im Heimatland eine Sprachausbildung bis zum Sprachniveau B2 absolviert werden. In vier Online-Workshops mit dem gesamten Team und allen internationalen Kolleginnen und Kollegen der Gruppe wurde mit der Integration begonnen, bevor die Arbeitskräfte auch nur einen Fuß nach Österreich gesetzt haben. Über Mails wurde laufend Kontakt gehalten, auch mit zukünftigen Kollegen. Broschüren und Filme bringen den zukünftigen Arbeitgeber und das Leben und Arbeiten in Tirol näher: So stellt sich etwa die Landespflegeklinik Tirol in Hall mit ihrem Pflegealltag per Youtube-Video vor. Nach der Ankunft gibt es nicht nur Sightseeing und Hilfe bei den Behördengängen, sondern auch zusätzliche Deutschkurse in Form von Bed-Side Teaching. Im Umgang mit Patienten werden die Sprachkenntnisse mit einer Lehrkraft vertieft: Ist der Schmerz bohrend, stechend oder ziehend? Feinheiten werden ausgelotet. So wird die Integration der Internationalen sozial, fachlich und sprachlich vorangetrieben.

Familiennachzug erwünscht

Nach spätestens zwei Wochen halten die internationalen Pflegekräfte die Österreich-Card in der Hand und können ihre Arbeit aufnehmen. Um die Bindung an den neuen Arbeitsplatz und den neuen Lebensmittelpunkt zu festigen, wird der Familiennachzug ausdrücklich unterstützt und ist Teil des Integrationskonzeptes. Damit will man auch vermeiden, dass Pflegekräfte nach zwei Jahren zu einem anderen Arbeitgeber weiterziehen. Den „Braindrain“ in den Heimatländern der neuen Kolleginnen und Kollegen sieht Beate Czegka nicht als Gefahr: 50 Prozent der ausgebildeten Pflegekräfte würden in ihrer Heimat keine oder nur eine prekäre Anstellung bekommen, da es nicht genug Arbeitsplätze im Gesundheitsbereich gäbe.

Für eine Begegnung auf Augenhöhe könnte sie sich vorstellen, dass in Österreich ein Gütesiegel eingeführt wird, ähnlich jenem in unserem nördlichen Nachbarland: „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“, hohe ethische Standards inklusive. 

Quellen und Links:

Österreichisches Abkommen zur Anwerbung von qualifizierten Fachkräften aus den Philippinen unterzeichnet

Lehrgang Interkulturelles Pflegemanagement der FH OÖ

Haus der Barmherzigkeit

Tirol Kliniken

Gütesiegel: Faire Anwerbung Pflege Deutschland

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