Wiener Biotech-Start-up HeartBeat.bio – Ein Herz wie ein Baby

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Autor: Alexandra Keller

Das Wiener Biotech-Start-up HeartBeat.bio forscht an millimetergroßen Miniaturausgaben des menschlichen Herzens. Mit ihrer Hilfe soll die Wirkstoff- und Medikamentenentwicklung für den kardiovaskulären Bereich neu geordnet werden.

Sie sind wenige Millimeter klein und haben großes Potenzial. Linsengroße Kardioide zeigen in der Petrischale die Essenz dessen, was die Gattung Mensch definiert: Sie sind Miniaturausgaben von Organen – im Fall der Kardioide eine Ansammlung an Zellen, die die Grundfunktionen eines winzigen Herzens abbilden. „Die Erweiterungs- und Skalierungsmöglichkeiten unserer Herz-Organoide sind enorm. Dazu kommt, dass mit der Technologie die medizinischen Tierversuche verringert werden können“, sagt Michael Krebs.

Michael Krebs ist ein intimer Kenner der Biotech-Szene. Er war Mitgründer und Co-Direktor des IMBA (Institute of Molecular Biotechnology) und ist seit 2021 CEO des Wiener Biotech-Start-ups HeartBeat.bio. Wenn er von einem technologischen Quantensprung spricht, tut er das nicht nur aus Marketing-Zwecken. „Wir haben ein stabiles Protokoll. Wenn wir Anfang nächsten Jahres die entsprechenden Gerätschaften haben, können wir mit einem Gerät 50.000 Kardioide pro Monat herstellen“, setzt er auf die Massentauglichkeit seiner Entwicklung. Für Biotech-Start-ups im Allgemeinen und die Herstellung von Organoiden im Speziellen stelle dies einen Wendepunkt dar. Für Erkrankte bedeute dies, dass mithilfe dieser Technologie schneller wirk­samere und sicherere Medikamente gefunden werden können.

Herzschlag-Forschung. Die Anfänge eines Herz-Organoids unter dem Mikroskop: Es bildet die menschliche Physiologie des Herzens nach. Damit wird die Modellierung von Krankheiten wie Herzinsuffizienz, Kardiomyopathien und – wichtig für die Pharmaforschung – Kardiotoxizität möglich.

Organ-Modelle verkürzen Entwicklungszeit

Organoide sind aus humanen Stammzellen gezüchtete, meist wenige Millimeter große Modelle, mit denen das Verhalten und die Funktion menschlicher Organe nachgeahmt werden können. Weltweit wird an der Entwicklung dieser Mini-Organe geforscht, um mit ihrer Hilfe die Erkenntnisse und Therapieansätze zu Krankheiten zu erweitern und in vielerlei Hinsicht auf nächste Ebenen zu heben. Potenzielle Medikamente werden direkt in den Organmodellen aus menschlichem Gewebe getestet.

Am Wiener IMBA wird schon seit vielen Jahren auf diese Zukunft gesetzt. 2013 war es IMBA-Direktor Jürgen Knoblich und seinem Team gelungen, erstmals Gehirn-Organoide aus menschlichen Stammzellen herzustellen. 2015 erweiterte der Molekularbiologe Sasha Mendjan das IMBA-Team und begann mit seiner Gruppe daran zu arbeiten, selbstorganisierende, dreidimensionale Herz-Organoide zu entwickeln – wobei selbstorganisierend heißt, dass sich das Organoid „allein“ aus Stammzellen entwickelt und in der Lage ist, Herzkammern und Herzgefäße auszubilden.

Ein bahnbrechendes Ergebnis dieser Forschung wurde 2021 im renommierten Fachmagazin Cell veröffentlicht. „Pablo Hofbauer war einer der Postdocs in der Gruppe von Sasha Mendjan. Er ist Erstautor des Papers und seit Gründung der Firma CSO von HeartBeat.bio“, erzählt Michael Krebs. Zwischen Veröffentlichung des Artikels und Firmengründung ist nicht viel Zeit vergangen. Mendjan hatte die Idee, auf Basis der Forschungsergebnisse eine Firma auszugründen. Krebs sagte ihm seine Hilfe beim Aufbau der Firma zu. Im Juli 2021 wurde sie gegründet.

HeartBeat.bio hat mit IMBA einen exklusiven Lizenz- und Kooperationsvertrag abgeschlossen und wird für die Weiterentwicklung der Technologie eng mit der Forschungsgruppe von Sasha Mendjan zusammenarbeiten. Wie für die 15 Mitarbeiter des Start-ups dreht sich seine Welt derzeit voll um die kleinen, aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) hergestellten Herzen, die denen eines Embryos in einem frühen Stadium entsprechen. Sie enthalten nicht nur die wichtigsten Zelltypen, sondern repräsentieren auch die linke Herzkammer, die das Blut in den Körper pumpt. Schon nach sieben bis 10 Tagen beginnen die in Laborschalen gezüchteten Herz-Organoide zu pumpen. „Wir haben allerdings gemerkt, dass wir sie für ein gleichmäßiges Verhalten künstlich altern müssen“, so Krebs. In zirka 28 Tagen sind die Kardioide fertig, um für die Forschung und Medikamentenentwicklung eingesetzt zu werden.

Auf eigene Rechnung. Michael Krebs war Mitgründer und Co-Direktor des IMBA. Seine Management-Fähigkeiten und die Forschung von CSO Sasha Mendjan sollen der Organoid-
Technologie zum weltweiten Durchbruch verhelfen.

Miniaturorgane zeigen Wirkstoff-Verträglichkeit

Der erste Einsatzbereich der Kardioide zielt auf die Kardiotoxizität ab. Daran, dass Wirkstoffe für das Herz „giftig“ sind und es auf verschiedenste Weise beeinträchtigen oder schädigen, scheitern nicht wenige potenzielle Medikamente. Kardiotoxizität ist eine der häufigsten Ursachen für das Versagen von Arzneimittelkandidaten und die Sicherheitsbewertung beziehungsweise -prüfung ist ein essenzieller Baustein in der Medikamentenentwicklung. Selbst wenn die präklinische Phase, in die auch die Tierversuche fallen, erfolgreich verlaufen ist, scheiden danach rund 90 Prozent der Medikamente in klinischen Versuchen am Menschen aus. Die Tests mit Kardioiden verkürzen diese kosten- und zeitintensive Testschleife: Unverträgliche Wirkstoffe werden durch den Kardioid-Einsatz bereits in der präklinischen Phase ausgesiebt. Dass sie „giftige Effekte“ zeigen können, ist ein Anwendungs- und Geschäftsmodell, für welches HeartBeat.bio recht schnell eine Kooperation mit dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim eingehen konnte.

Die Kooperation startete im Herbst 2022: Dabei wird der Einsatz der Kardioide im Hochdurchsatzverfahren in der frühen Sicherheitsbewertung und der Entwicklung neuer Wirkstoffe vorangetrieben. Mit jedem dabei getesteten Referenzwirkstoff steigt die Lernkurve im Unternehmen und reift die Technologie-Plattform. „Diese Plattform soll Anfang nächsten Jahres in einen Prototyp gehen. In einer fertigen Version sollen Anfang 2025 bereits 100.000-plus Screens vollautomatisiert gemacht werden können“, so CEO Krebs.

Parallel dazu arbeitet das HeartBeat.bio-Team an Krankheitsmodellen, die ebenfalls Basis für Medikamentenentwicklungsprojekte sein sollen. Das Prinzip dieses Standbeins liegt darin, Krankheiten in die Kardioide zu bauen, sodass sie die Situation im Menschen repräsentieren. Im Focus steht dabei etwa die dilatative Kardiomyopathie, also die krankhafte Erweiterung des Herzmuskels, aber auch der Herzinfarkt. Um ein Modell des geschädigten Herzens nach einem Infarkt zu „bauen“ wird das Organoid künstlich verletzt. Krebs: „Das Modell wollen wir dafür verwenden, um Therapien für Infarktpatienten zu entwickeln.“

Die Forscher von HeartBeat.bio arbeiten mithilfe des Kardioid-Modells auch auf anderen Gebieten: Babys, die kurz vor oder während der Geburt einen Herzinfarkt entwickelten, haben molekularbiologische Mechanismen, um die Herzschädigung zu reparieren. Diese Fähigkeit wird kurz nach der Geburt offenkundig stillgelegt. „Wenn wir die Fragen beantworten könnten, warum diese Eigenschaft verloren geht, wäre das natürlich ein Durchbruch für das ganze Feld“, sagt Michael Krebs, der auch in der jüngsten Erfindung des Molekularbiologen Sasha Mendjan großes Potenzial sieht. 2022 ist es Mendjan gelungen, ein Multikammerherzmodell zu bauen. Gerade wird ein FFG-Antrag eingereicht mit dem Ziel, die Möglichkeiten dieses Modells auszuloten, das die Komplexität des Herzens in bislang unbekannter Weise zu repräsentieren vermag. Vorerst konzentriert sich HeartBeat.bio aber auf die Pilotprojekte, die Plattform und die Ausweitung des Netzwerks – hin zu Kardiologen beispielsweise, die über entsprechendes „Patientenmaterial“ verfügen und an neuen Technologien interessiert sind. „Irgendwann 2024 wollen wir so gut aufgestellt sein, um Pharmapartnerschaften einzugehen und 2025 die nächste Finanzierungsrunde einzuleiten“, so CEO Krebs. „Wir sind fest davon überzeugt, dass die Plattform das Potenzial hat, das gesamte Paradigma der kardiovaskulären Arzneimittelforschung radikal zu ändern.“