Wieso die wertorientierte Beschaffung in Österreichs Spitälern keine Freunde hat: Herwig Wetzlinger, Vorstand des Wiener Gesundheitsverbundes, im Interview.
Während der Pandemie sind die Forderungen nach Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit in Gesundheitseinrichtungen sehr laut geworden. Was ist von diesen Vorsätzen übriggeblieben?
Herwig Wetzlinger: Versorgungssicherheit hat bei uns nach den Logistikbrüchen in der Pandemie einen hohen Stellenwert behalten. Wir haben uns vor allem bei jenen Artikeln, die nicht unmittelbar zur Patientenversorgung dienen, einen gesunden Polster zugelegt. Wir haben die Tage der Pandemie nicht vergessen.
Sie bauen sich Lager auf?
Ja. Wir gehen bei der Bevorratung jetzt weit über die zwei Wochen hinaus, die bei vielen Gebrauchsartikeln früher die Norm waren. Die Mengen, die wir ins Depot legen, sind von Artikel zu Artikel unterschiedlich. Aber wir haben unsere Erfahrungen gemacht, die teilweise konträr zu den Geschichten waren, die anderswo geschrieben wurden.
Das müssen Sie erklären …
Bei den Artikeln, die in der Pandemie symbolhaft geworden sind – Schutzmasken und Schutzausrüstung – mussten wir lernen, dass die Produktion in westlichen Industrienationen keine Garantie für Lieferbereitschaft ist. Bei Ausbruch der Pandemie waren unsere bisherigen Geschäftspartner – zwei deutsche Handelsagenturen, die jeweils bei Produzenten in Großbritannien und den USA eingekauft haben – nicht mehr lieferfähig. Wenn Sie sich erinnern: Der Beginn der Pandemie war von geschlossenen Grenzen und Exportstopps für medizinische Güter gekennzeichnet. Die LKWs wurden an der deutschen Grenze aufgehalten und kontrolliert. Eine Belieferung mit Schutzausrüstung war in den ersten Wochen unmöglich. Wir mussten rasch reagieren und haben über Kontakte einer chinesischen Bank Zugang zu Herstellern in China erhalten. Mit Hilfe der Partner gab es Sicherheitsbewertungen in Bezug auf Lieferfähigkeit und Liquidität der chinesischen Lieferanten und – wichtig – die Bank sorgte am Flughafen für die Qualitätsabnahme der Produkte. Der Transport der Ausrüstung erfolgte ab Shanghai über die Austrian Airlines, die damals nicht allzu viel zu tun hatte.
Dipl. Ing. Herwig Wetzlinger ist GD-Stellvertreter und Vorstand für Finanz, Recht, Einkauf und Nicht klinischer Bereich – so der volle Titel – und Direktor des AKH Wien. Der gebürtige Kärntner und Elektrotechniker kam 2011 als Stellvertretender Direktor des AKH nach Wien, 2014 übernahm er dessen Leitung. Seit November 2017 gehört Herwig Wetzlinger auch dem Vorstand des Wiener Gesundheitsverbundes an. Seit 2018 ist er Generaldirektorin-Stellvertreter.
Haben die Geschäftsbeziehungen gehalten?
Derartige Aktionen setzt du nur in Krisenzeiten. Heute verlaufen die Dinge geordneter. Strategisch haben wir die Lagerkapazitäten des WiGEV deutlich ausgebaut. Früher hatte jedes unserer Häuser ein Zentrallager, von denen die einzelnen Sublager bestückt worden sind. Seit dem Vorjahr sind wir gemeinsam mit dem Wiener Hafen als Logistikpartner dabei, ein Zentrallager für den gesamten WiGEV hochzuziehen. Von dort wird sukzessive die Belieferung und auch die Bevorratung unserer Kliniken gesteuert. Zwei Spitäler – Floridsdorf und das Donauspital – sind bereits integriert. Und auch das Pandemielager, das wir für Krisenzeiten angelegt haben, ist übersiedelt. Die Lieferanten liefern alle an die neue Zentrale. Die Kliniken werden stadtweit per E-Mobilität beliefert. So haben wir Lagerkapazitäten, die Logistik und die Distribution auf einem völlig neuen, zukunftsfähigen Niveau.
Wie macht ein Logistikzentrum – und wenn es noch so modern ist – die Versorgung eines Krankenhauses sicherer?
Die Lagerkapazitäten sind höher. Wir haben 34.000 Artikel gelistet, die nach Ende der Reorganisation in zwei Jahren im Wiener Hafen konzentriert sein werden. Dabei sind die Vorhaltezeiten je nach Artikel verschieden. Vor der Pandemie hatten wir Masken für 14 Tage auf Lager. Mittlerweile haben wir den Bedarf von drei bis vier Monaten auf Vorrat – und das ist die Untergrenze. Bei den Mänteln und anderen Schutzausrüstungen reicht der Vorrat noch deutlich länger. Da ist noch viel aus der Pandemie übrig.
Was dürfen Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit bei der Beschaffung von Klinik-Bedarf kosten?
Es wäre zu kurz gegriffen, die Pandemie als einzigen Auslöser für eine derartige Entwicklung zu sehen. Wir setzen den Preis schon seit Längerem mit 40 bis maximal 60 Prozent der Entscheidungsfaktoren an. Mit den Erfahrungen der Pandemie hat sich – jetzt auch wieder artikelabhängig – der Einfluss des Preises bei vielen Artikeln bei 40 Prozent festgesetzt. Der Rest der Kriterien wird von der Qualitätsbewertung bestimmt, in die auch Anforderungen wie Lieferfähigkeit und Nachhaltigkeit einfließen.
Teilen Ihre Procurement-Manager Anschaffungen auf mehrere Lose auf, um mehr als einen Lieferanten beauftragen zu können?
Im Bereich der Medizintechnik ist dies üblich. Wir habe kein Interesse, dass sich Anbieter aus einem Segment zurückziehen, weil der Mitbewerber den Markt abräumt. Es sollen auch Nischenanbieter die Möglichkeit haben, ihre Chancen in einer Ausschreibung zu finden. Da geht es nicht nur um die Abstufung nach Mengen. Es kann auch sein, dass ich von einem Gerät nur einen gewissen Prozentsatz in der höchsten Qualitätsstufe brauche, dafür aber etliche Modelle mit anderen Eigenschaften suche. Eine derartige Aufteilung der Einkaufsgröße kann mitunter die Preise aufgrund der mangelnden Skaleneffekte etwas verteuern. Dafür sind wir nicht nur von einem Anbieter abhängig.
Welchen Einfluss hat die Ärzteschaft auf die Beschaffung in Kliniken?
Sie können keine Beschaffung eines medizinisch-technischen Gerätes durchführen, ohne den Nutzer miteinzubeziehen. Ärztinnen und Ärzte, Pflegkräfte und Med. Technische Gesundheitsberufe müssen damit arbeiten. Auch der Patient muss davon profitieren. Mit Hilfe der Ärzte wird ein Bedarfsprofil einer Anschaffung erstellt. Worauf unsere Einkäufer aber achten, ist der Umstand, dass keine produktspezifischen Merkmale einfließen. Eine Bestellung eines Gerätes nach Modellnummer und Marke, die gibt es nicht.
Lesetipp:
Lesen Sie hier die Titelstory in der ÖKZ 1/2024 zum Thema „Zwischen Preis und Wert“