Jugend-Reha: Happy Birthday, Wiesing!

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Autor: Michael Krassnitzer

Rund ein Jahr ist es her, dass das Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrum Wiesing eröffnet wurde. Die Warteliste ist lang, insbesondere im Bereich Mental Health.

Schneemänner aus Holz an beiden Seiten des Eingangs: Das Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrum Wiesing bietet seinen Besuchern Ende Jänner eine herzerwärmende Begrüßung. Die Figuren wurden von den jungen Patienten der Einrichtung im Zuge der Ergotherapie aus Baumscheiben, alten Schals und Hauben gebastelt. Die Statuetten zaubern ein Lächeln auf die Lippen jedes Menschen, der den modernen Zweckbau betritt, welcher hier im Tiroler Unterinntal am Fuße eines beeindruckenden Gebirgsstockes liegt.

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde das Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrum Wiesing eröffnet. Es war das letzte von insgesamt sechs derartigen Zentren, die seit 2017 in Österreich ihre Tore öffneten. Bis dahin gab es hierzulande keine Nachsorgezentren, die ausschließlich auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet waren; die jungen Patienten mussten in eine Reha-Einrichtung für Erwachsene oder ins Ausland.

Kinderlachen wird selten. Das Reha-Zentrum Wiesing ist das Modernste, was das österreichischen Reha-System für Kinder und Jugendliche zu bieten hat. Schon nach einem Jahr des Bestandes ist das Mental-Health-Angebot völlig überlastet.

Spezielle Bedürfnisse

Das neu errichtete Rehabilitationszentrum wurde entsprechend den Bedürfnissen der jungen Patienten geplant und ausgestattet. Großzügige Grünflächen mit Spielplätzen und Spielgeräten laden zur Bewegung ein. Im Gebäude steht ein Turnsaal für Ballspiele, Yoga und Entspannungstechniken zur Verfügung. Der Saal, in dem sich auch eine Kletterwand befindet, kann auch außerhalb der Therapien genutzt werden. Sogar bei der Gestaltung der Gänge wurde auf die Bedürfnisse der Kinder Rücksicht genommen: In den oberen Geschoßen sind sie als Rundgänge ausgeführt, was ebenfalls dazu dient, die Kinder zu körperlicher Bewegung anzuregen. Gemeinschaftsräume mit Spiele- und Leseecken laden zum Austausch ein. Das Zentrum umfasst 22 Plätze für mobilisierende Rehabilitation, 15 Plätze für psychosoziale Rehabilitation sowie 22 Plätze für Begleitpersonen. Bislang wurden 215 Patienten in Wiesing behandelt: 160 aus dem Bereich Mental Health, 55 aus dem Bereich Remobilisation. Dazu kamen 98 Begleitpersonen und Begleitkinder, die ebenfalls mitbetreut wurden.

Ziel der Kinder- und Jugend-Reha ist es, die Gesundheit der Patienten zu bessern bzw. wiederherzustellen, einer Verschlechterung vorzubeugen und Krankheitsbeschwerden zu lindern. „Im Mittelpunkt steht die bestmögliche Steigerung der Lebensqualität“, betont Dr. Sven Thomas Falle-Mair, medizinischer und operativer Direktor von OptimaMed, des Betreibers des Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrums Wiesing. Die Kinder und Jugendlichen sollen im Zuge der Reha neue Konzepte und Strategien für sich entdecken, Zugang zu neuen Ressourcen finden und eigene Stärken erkennen. Wichtig ist auch, dass sie positive soziale Kontakte erleben und ihr Selbstbewusstsein stärken.

Im Bereich Mental-Health-Rehabilitation bzw. psychosomatische Rehabilitation geht es um die Nachsorge bei depressiven Störungen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen, somatoformen Störungen, Entwicklungsstörungen, Essstörungen in Remission, Krankheitsbewältigung chronischer Erkrankungen, ADHS und tiefgehenden Entwicklungsstörungen in geringer Ausprägung. Kontraindikationen sind selbst- und fremdgefährdendes Verhalten, akute psychotische Zustände, ansteckende Erkrankungen, Dialyse- und Beatmungspflicht, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, frühkindlicher Autismus sowie schwere kognitive und körperliche Einschränkungen. Die mobilisierende Rehabilitation umfasst die orthopädischen, rheumatischen und neurologischen Indikationsbereiche: Erkrankungen, angeborene Fehlbildungen und Folgezustände nach Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparats, Folgezustände nach kinder- und jugendchirurgischen Eingriffen, Erkrankungen, angeborene Fehlbildungen und Folgezustände nach Verletzungen des zentralen und peripheren Nervensystems sowie Post- und Long-COVID.

Bewegung und Ernährung

Dazu steht ein etwa 50-köpfiges multiprofessionelles Team aus Fachärzten für Pädiatrie sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Allgemeinmedizinern, Konsiliarärzten, Psychologen, Pflegepersonal, Pädagogen, Therapeuten und Sozialarbeitern zur Verfügung. Für jeden Patienten wird individuell ein ganzheitlicher Therapieplan erstellt. Zu diesem gehören Einzel- und Gruppentherapien (inklusive Angehörigen- und Familiengesprächen, wenn dies indiziert ist), Sport und Bewegung, Erlebnispädagogik, diätologische Beratung, sozialpädagogische Betreuung, Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie nach Bedarf. Im Haus wird auch Schulunterricht durchgeführt, sodass sich die Patienten nach dem mehrwöchigen Aufenthalt (Mental-Health-Reha: fünf Wochen; mobilisierende Reha: drei bis sechs Wochen) wieder einigermaßen in ihre Heimatklassen und Lehrberufe integrieren können. Gemeinsames Kochen und Essen soll die Kinder und Jugendlichen dazu bringen, sich mit gesunder Ernährung auseinander zu setzen. Ein Freizeitprogramm sorgt für Spiel und Spaß, soll aber auch die Sozialkompetenz stärken.

Ein Kubus kommt selten allein. Das Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrum Wiesing war das letzte von insgesamt sechs derartigen
Einrichtungen, die seit 2017 in Österreich errichtet wurden.

Individueller Therapieplan

„Die Besonderheit an der Kinder- und Jugend-Rehabilitation ist, dass man es mit sehr vielen verschiedenen Entwicklungsstufen zu tun hat. Ein standardmäßiges Programm kann man hier nicht durchziehen“, erklärt Falle-Mair. Auch die Zusammenstellung von Therapiegruppen wird dadurch schwieriger: Ein Dreijähriger hat klarerweise komplett unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse als ein 16-Jähriger. Bei vergleichsweise geringeren Altersabständen ergeben sich jedoch auch Vorteile, wenn Ältere und Jüngere gemeinsam in einer Gruppe sind. So unterstützen die Älteren oft die Jüngeren. Da die Therapiegruppen in Wiesing nicht nur alters-, sondern auch indikationsübergreifend sind, unterstützen zum Beispiel Kinder mit psychischen Problemen andere Kinder mit Bewegungseinschränkungen, etwa indem sie ihren Rollstuhl schieben. „So etwas sieht man im Erwachsenensetting eher selten. Kinder sind viel offener und haben einen ganz anderen Zugang zueinander“, erzählt der Sporttraumatologe und Unfallchirurg.

Im Land Tirol sei das Kinder- und Jugend-Rehabilitationszentrum Wiesing extrem gut angenommen worden, freut sich Falle-Mair. Das Reha-Zentrum wurde binnen kürzester Zeit in die bestehenden intra- und extramuralen Gesundheitsstrukturen integriert. Die Zusammenarbeit mit der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im nahegelegenen Hall, der Kinder- und Jugendklinik in Innsbruck mit ihren unterschiedlichen Abteilungen sowie den niedergelassenen Ärzten laufe bestens, schwärmt er. Auch die Bevölkerung bringe der neuen Reha-Einrichtung viel Vertrauen entgegen.

Mehr Betten gefordert

Die aktuell sehr begrenzte Bettenanzahl von 37 Betten stellt den Betreiber allerdings vor große strukturelle, organisatorische und ökonomische Herausforderungen. „Aus Erfahrung wissen wir, dass sich eine Reha-Einrichtung erst ab einer Kapazität von über 100 Betten wirtschaftlich rechtfertigbar und nachhaltig sinnvoll betreiben lässt“, unterstreicht Falle-Mair. Dazu kommt der Umstand, dass es bei den Kindern und Jugendlichen mit der Indikation Mental Health in wesentlich größerem Umfang als bei anderen Indikationen zum vorzeitigen Abbruch der Reha kommt. Das erschwert nicht nur die Organisation, sondern auch die ökonomische Betriebsführung der Einrichtung.

Der medizinische Direktor von OptimaMed fordert daher eine möglichst rasche Aufstockung der Bettenzahl in Wiesing. Bedarf nach Kinder- und Jugend-Rehabilitation, vor allem in der Indikation Mental Health, gebe es jedenfalls mehr als genug: „Wir haben massive Wartezeiten.“ Baulich wäre die Erweiterung kein Problem. Es ist genügend Platz da, um das Gebäude zu vergrößern. Auch die Konzepte dafür liegen bereits in der Schublade. 

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