Richard Brodnig, Obmann der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ), spricht über die neue Ausbildung zum „Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin – was ihn freut, was ihn stört und was er fordert.
Herr Brodnig, der Hausarzt wird als Facharzt anerkannt. Zugleich wird die Ausbildung von derzeit knapp vier auf fünf Jahre verlängert. Sehen Sie das mit einem lachenden und einem weinenden Auge?
Richard Brodnig: Wir begrüßen beides. Das eine geht nicht ohne das andere. Die Gesetzesnovelle ist ein Meilenstein zur Anerkennung der Allgemeinmedizin als eigenständiges Fachgebiet. Dazu gehört aber auch, dass die Qualität der Ausbildung verbessert wird. Und das geht nur, wenn man die Ausbildungszeit verlängert. Sie wird nun mit fünf Jahren in etwa auf dem Niveau der anderen Facharztausbildungen liegen. Wir sehen das super positiv.
Bestens. Sie wirken aber nicht super begeistert. Oder täusche ich mich?
Es gibt Punkte, die wir kritisch sehen. Dabei geht es um die Qualität der Ausbildung. Die Novelle enthält Ansätze, die man bei Ausarbeitung der Details dringend korrigieren sollte.
Richard Brodnig ist Obmann der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ) – einer Vereinigung von Studenten und Jungmedizinern, die sich der Förderung von Ausbildung, Weiterbildung und Forschung in der Allgemeinmedizin verschrieben hat. Brodnig verfügt über einen Abschluss an der Medizinischen Universität Graz Humanmedizin und absolviert derzeit eine Ausbildung als Allgemeinmediziner.
Was stört Sie am meisten?
Der wichtigste Hebel zur Verbesserung der Ausbildungsqualität ist die Lehrpraxis. Sie wird in den nächsten Jahren von neun auf 24 Monate verlängert. Das ist gut. Die Allgemein- und Familienmedizin wird am besten dort erlernt, wo sie auch tatsächlich praktiziert wird. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Ich absolviere gerade den zweiten Teil meiner Lehrpraxis bei einer Landärztin in Hartberg.
Wo bleibt das „Aber“?
Genau genommen gibt es zwei. Das erste: Die Novelle sieht vor, dass die Lehrpraxis auch in einer zentralen Notaufnahme und Erstversorgung stattfinden darf. Das halten wir für falsch. Ein Automechaniker erlernt seinen Beruf ja auch in einer Kfz-Werkstatt und nicht bei einem IT-Techniker.
Hinkt der Vergleich nicht? Immerhin werden in der Notfallaufnahme auch Menschen behandelt.
Die notfallmedizinische Versorgung ist Teil der internistischen Ausbildung. Sie ist also bereits abgedeckt. Die Lehrpraxis sollte sich voll und ganz auf die Allgemein- und Familienmedizin konzentrieren. Zu meinem Vergleich: Der hinkt weniger als Sie denken. Notfallversorgung ist nicht gleich Familienmedizin. Natürlich gibt es bei der Hauärztin oder dem Hausarzt auch notfallmedizinische Behandlungsanlässe. Aber das Spektrum ist viel breiter. Meine Lehrpraxisleiterin in Hartberg kennt ihre Patienten sehr gut. Sie weiß zum Beispiel: Da kommt eine Person mit einer Panikattacke. Die hat sie aber immer wieder einmal, und das ist noch nicht gefährlich. In der Notaufnahme kennt man die Patienten gar nicht. Da ist der Zugang ganz anders.
Wie lautet das zweite „Aber“?
Die Novelle legt nicht fest, wann die Lehrpraxis absolviert werden muss. Sie kann irgendwann während der fünfjährigen Ausbildung stattfinden. Das halten wir für falsch. Wenn das optional bleibt, dann werden die Ausbildungen weiter so geplant, dass zuerst die Zeit im Spital absolviert wird und erst anschließend die Lehrpraxis erfolgt. Wir haben daher eine klare Forderung: Die Lehrpraxis muss verpflichtend unmittelbar am Anfang der Ausbildung verankert werden.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Viele Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Ausbildung in der Allgemeinmedizin entschieden haben, wechseln während der Ausbildung doch noch in eine andere Facharztausbildung. Das ist auch gar nicht so verwunderlich, da sie den Großteil der Ausbildung im Spital verbringen und dort mit den unterschiedlichen Fachrichtungen in Kontakt kommen. So finden die Famulaturen und das Klinisch-Praktische-Jahr hauptsächlich im Spital statt. Vergleichbare Anknüpfungspunkte mit Hausarzt-Ordinationen gibt es viel weniger.
Gegenargument: Die Auszubildenden haben sich ja bereits bewusst für die Allgemein- und Familienmedizin entschieden.
Warum sollten sie während der Ausbildung noch wechseln?
Sie tun es. Wir wissen aber aus Studien, dass die Wahrscheinlichkeit dafür deutlich sinkt, wenn die Lehrpraxis an den Anfang der Ausbildung gesetzt wird. Das ist auch verständlich: Je besser ich den Beruf kennenlerne und ihn im Alltag erlebe, desto leichter fällt es mir, eine Entscheidung für ihn zu treffen. Bei mir war es jedenfalls so.
Also der Vergleich macht Sie sicher?
Ja, genau. Und es gibt noch einen weiteren Aspekt: Einige Kolleginnen und Kollegen beginnen mit der Ausbildung in der Allgemein- und Familienmedizin, weil Sie noch auf den Ausbildungsplatz in einer anderen Fachrichtung warten. Je früher sie die Praxis in der Allgemeinmedizin kennenlernen, desto mehr steigen die Chancen, dass sie sich anders entscheiden und dabeibleiben.
Gut, das waren Ihre zwei Kritikpunkte …
… in Bezug auf die Lehrpraxis. Es gibt aber weitere wichtige Themen, die man aus unserer Sicht bei der Ausarbeitung der Details adressieren muss. Wie gesagt: Erste Priorität muss es sein, eine möglichst hohe Qualität der Ausbildung zu erreichen – eine Ausbildung, die die junge Ärztin oder den jungen Arzt möglichst gut auf den Arbeitsalltag vorbereitet. Dazu gehört das Thema „Wahlfächer“. Die Liste der Wahlfächer muss unbedingt an den evidenzbasierten, echten Bedarf in der Allgemein- und Familienmedizin angeglichen werden. Fächergruppen HNO, Dermatologie und Neurologie haben in der Praxis mehr Relevanz als Gynäkologie. Daher fordern wir, dass diese drei Fächer zu den Pflichtfächern gehören und die Gynäkologie ein Wahlfach wird.
Sie fordern zudem auch mehr Geld für die Allgemeinmediziner während der Ausbildung. Richtig?
Wir fordern, dass die Finanzierung während der Lehrpraxis adressiert wird. Worum geht es hier? Bereits in der Vergangenheit hat sich dieses Thema als großer politischer Diskussionspunkt erwiesen. Damals ging es aber nur um eine Zeit von sechs Monaten. In Zukunft sollen es ja zwei Jahre sein. Bislang ist es so, dass die Turnusärztinnen und -ärzte enorme Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, wenn sie vom Spital in die Lehrpraxis gehen. Das ist vor allem für Alleinerzieher:innen ein echtes Problem.
Wie kommt es zu diesen Einbußen und wie hoch sind sie?
Im Spital gibt es die Möglichkeit, durch Überstunden und Nachtdienste das Einkommen aufzubessern. Das fällt in der Lehrpraxis weg. Zudem beträgt die Arbeitszeit in der Lehrpraxis nur 30 Stunden im Vergleich zu 40 Stunden im Spital. Die Einbußen betragen bis zu 40 Prozent – falls man im Spital sehr viele Nachtdienste geleistet hat. Die genauen Beträge sind je nach Bundesland unterschiedlich.
Was schlagen Sie als Lösung vor?
Man könnte den Kolleginnen und Kollegen während der Lehrpraxis die Möglichkeit für Zuverdienste schaffen – und zwar in Bereichen, die für die Versorgung der Bevölkerung relevant und der Ausbildung dienlich sind. Das könnten zum Beispiel Visitendienste oder Bereitschaftsdienste sein. Man könnte es so regeln, dass die Turnusärztinnen und -ärzte diese Dienste nach sechs Monaten Lehrpraxis leisten dürfen. Bei den Notärzten ist das bereits jetzt schon so geregelt: Sie dürfen ab einem bestimmten Zeitpunkt der Ausbildung selbstständig fahren.
Stichwort „bestimmter Zeitpunkt“: Zum 1. Juni 2026 soll die neue Ausbildung in Kraft treten. Wie geht es jetzt weiter?
Jetzt muss auf Basis der Gesetzesnovelle eine Verordnung ausgearbeitet werden, in der die Details der Ausbildung definiert werden. Ich wünsche mir, dass wir als Betroffene dabei eng einbezogen werden.
Quellen und Links:
Website der JAMÖ:
jamoe.at
Stellungnahme der JAMÖ zur neuen Ausbildung zum Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin:
jamoe.at/artikel/stellungnahme-zum-gesetzesentwurf-zur-facharztausbildung
LinkedIn-Account von Richard Brodnig:
at.linkedin.com/in/richard-brodnig