Im Kampf gegen nosokomiale Infektionen – Fachterminus HAI – werden High Tech-Tools immer wichtiger. Elektronisches Monitoring von Hygienemaßnahmen und Big Data sollen den Kampf gegen die Keime effizienter machen.
Wir müssen die Zahl der Infektionen in den Spitälern senken“, fordert Simone Scheithauer, Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). „Dabei ist es sehr wichtig, dass das Personal die Regeln zur Händehygiene einhält.“ Händehygiene sei das Um und Auf jeder klinischen Hygienestrategie. Scheithauer hat mit ihrem Institut eine Studie angestoßen, in der untersucht wird, ob sich durch den Einsatz eines elektronischen Monitoring-Systems (EMS) die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenhäusern bei der Einhaltung der Hygienevorschriften steigern lässt – und damit in weiterer Folge die Zahl der Patienten sinkt, die sich im Krankenhaus infizieren.
An der Studie nehmen drei Kliniken innerhalb der Universitätsmedizin Göttingen teil. Sie wurde im vergangenen Sommer gestartet und läuft drei Jahre. Die Studie trägt den Namen „Optimierung der Händehygiene Compliance mit dem Electronic Hand Hygiene Monitoring System – kurz OPTICOMS. Getestet wird das System des schwedischen Herstellers Essity. Die Ergebnisse der Studie werden von Krankenhausmedizinern mit großem Interesse erwartet. Laut Schätzungen auf Basis von Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) infizieren sich allein in Österreich jedes Jahr 95.000 Menschen mit sogenannten Krankenhauskeimen. Für 4.500 bis 5.000 von ihnen endet das tödlich. Fachleute verwenden für diese Infektionen die Termini „Nosokomiale Infektionen“ oder „HAI“: Healthcare-Associated Infection oder Hospital-Acquired Infection.

Unberechenbar. Der Kampf gegen Hospital-Acquired Infections (HAI) zählt in jeder Gesundheitseinrichtung zu den zentralen Herausforderungen jedes Betriebsmanagements. Technische Tools und Datamining sollen die Effizienz der Gegenmaßnahmen steigern.
Bis zu 50 Prozent vermeidbar
Laut dem österreichischen Gesundheitsministerium könnte eine erhebliche Zahl dieser HAI durch „konsequente Umsetzung von Hygienevorgaben und Prozessoptimierungen“ verhindert werden. Manche Studien gehen von 20 bis 30 Prozent aus, andere sogar von 50 Prozent. Unter Hygiene-Experten wird diskutiert, ob sich die Infektionsprävention durch den Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln deutlich steigern lässt. „Wir wollen das Potenzial derartiger Systeme mit OPTICOMS wissenschaftlich untersuchen und belegen“, so UMG-Medizinerin Scheithauer.
An der Studie nehmen jeweils zwei Intensivstationen und zwei normale Stationen in der Universitätsmedizin Göttingen teil. Diese Stationen werden mit speziellen Spendern zur Händedesinfektion ausgestattet. Das Spezielle: Sie verfügen über einen Funksender, der ein Signal übermittelt, sobald er verwendet wird. Gleichzeitig erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Transponder. Dieser erfasst im Zusammenspiel mit auf den Stationen installierten Antennen und den Spendern, wann ein Mitglied des Personals einen Händehygiene-pflichtigen Bereich betritt – und ob er oder sie sich vorher und nachher die Hände desinfiziert hat. Wichtig dabei: „Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig, und die Daten werden strikt anonymisiert“, so Projektleiterin Scheithauer. „Die Verfahren dafür haben wir zwei Jahre lang entwickelt. Datenschutz hat oberste Priorität.“
Beim Testen der sogenannten „Adhärenz“ – auf Deutsch: Wie sehr hält sich das Personal an die Regeln? – orientieren sich Scheithauer und ihre Kollegen an den Vorgaben der WHO. Die WHO hat fünf „Momente der Händehygiene“ definiert: Vor dem Kontakt mit dem Patienten, vor einer aseptischen Tätigkeit wie dem Legen eines Katheters oder dem Versorgen einer Wunde, nach dem Kontakt mit potenziell infektiösem Material, nach dem Kontakt mit dem Patienten und nach dem abschließenden Kontakt mit der Umgebung.
Moment der Wahrheit
Im Fokus der Studie liegt vor allem Moment zwei – dem Augenblick vor einem aseptischen Eingriff. „Das ist der Moment mit dem höchsten Risikofaktor für die Patientinnen und Patienten“, erläutert Hygiene-Medizinerin Scheithauer. Im Arbeitsalltag sei häufig folgendes Verhalten zu beobachten: „Die Kollegin desinfiziert sich vor dem Betreten des Zimmers die Hände. Unter Umständen trägt sie auch Handschuhe. Das vermittelt das Gefühl von Sicherheit“, so Scheithauer. „Bevor sie den Eingriff vornimmt, hat sie aber auf der Station bereits diverse Gegenstände berührt – und sich möglicherweise kontaminiert. Daher ist die Desinfektion vor dem Eingriff so wichtig.“
Die Studie besteht im Wesentlichen aus zwei Abschnitten: In Abschnitt 1 wird getestet, wie gut das System funktioniert und was es kann. Der Vorteil der automatischen Erfassung ist potenziell hoch. „Bislang muss für derartige Untersuchungen eine Hygienefachkraft die Daten händisch erfassen. Das ist nicht nur aufwendig. Wir könnten diese Fachkraft auch für andere Tätigkeiten viel sinnvoller einsetzen.“ In Abschnitt 2 erhalten die Beteiligten Feedback. Scheithauer: „Das ist die Phase, die uns wirklich weiterbringt.“ Das System gibt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Gruppenebene Informationen – und zwar täglich rollierend für jeweils sieben Tage. „Das Team sieht: Sind wir als Gruppe besser oder schlechter geworden? Wie schlagen wir uns im Vergleich mit den anderen Stationen? Wie schaut es im Vergleich mit anderen Schichten aus?“ Zudem können sich die Teilnehmenden individuelle Daten ausweisen lassen – auf freiwilliger Basis und vertraulich.
Das Ergebnis der Studie, samt gründlicher Auswertung der gesammelten Daten, soll 2026 vorliegen. Projektleiterin Scheithauer hat dabei eine klare Erwartungshaltung: „Wir möchten in Abstimmung mit den beteiligten Kliniken (Kardiologie & Pneumologie, Allgemein-, Viszeral- & Kinderchirurgie, Anästhesiologie) eine eindeutige Empfehlung abgeben können: Lohnt sich der Einsatz des Systems oder nicht?“, meint Scheithauer. Dabei gehe es darum, wie gut die Qualität der Daten sei und wie hoch die Kosten – auch im Vergleich zu den Personalkosten, die man dadurch spare, dass die händische Erfassung durch spezialisierte Hygienefachkräfte wegfalle.

Mit Daten gegen Infektionen. Die Infektiologin Simone Scheithauer und Datenschürfer Manuel Heurich nützen die Kraft der Daten, um die immer resistenter werdenden Krankenhauskeime im Zaum zu halten.

Big Data gegen Infektionen
Als eine Ergänzung zu bestehenden Methoden der Identifikation und Erfassung nosokomialer Infektionen im Krankenhaus sieht Manuel Heurich, Geschäftsführer des deutschen Softwareunternehmens BinDoc, sein System. BinDoc hat sich auf die Analyse von Krankenhausdaten spezialisiert. Dabei setzt das Unternehmen auf Big-Data-Analysen. Es bietet Krankenhäusern unter anderem ein Tool namens „Mission Infection Prevention“ (MIP) an. Dessen Stoßrichtung: Bislang basieren die Dokumentations- und Erfassungsmethoden von nosokomialen Infektionen auf Stichproben-Erhebungen. „Wir können den Hygiene-Verantwortlichen dazu eine sinnvolle Ergänzung anbieten, die auf umfangreichen Daten basiert und das gesamte Krankenhaus in wenigen Sekunden screenen kann“, so Heurich.
Dazu untersucht BinDoc für ihre deutschen Kunden vorhandene Abrechnungsdaten, die im sogenannten „Standard-Datensatz“ zusammengefasst sind – dem Gegenstück zum österreichischen LKF. Diese Datensätze enthalten umfangreiche Informationen, die für die Hygiene-Experten relevant sein können. Zum Bespiel: „Wie lautete die Diagnose? Wie die Nebendiagnose? Welche diagnostischen Maßnahmen wurden durchgeführt? Welche Eingriffe und Therapien? In welchen Fachabteilungen wurde der Patient behandelt?“, erläutert Heurich. BinDoc analysiert diese und andere Daten mithilfe eines Algorithmus. Dadurch werde „ersichtlich, in welchen Abteilungen und Arbeitsprozessen es Probleme gibt“, so Heurich.
Die Technologie von BinDoc macht sich auch der deutsche Medizinproduktehersteller Hartmann zunutze, der ein umfangreiches Programm zur Reduktion von HAI entwickelt hat. Dessen etwas sperrige Bezeichnung: „Mission: Infection Prevention“ (M: IP). Das Programm umfasst verschiedene Methoden zur Infektionsprävention, vor allem gegen bakterielle Risiken durch Kontaktübertragung. Dazu zählen Schutzausrüstung wie Masken und Handschuhe, Händedesinfektion und Flächenreinigung. Digitale Lösungen wie Apps verbessern die Hygiene-Compliance, und prädiktive Software hilft bei der Früherkennung von Infektionen.
Ein Modul von BinDoc kommt bei der Analyse von vorhandenen Daten zu den Prozeduren und Operationen zum Einsatz. Diese Daten werden automatisiert ausgewertet und bieten dem Hygieniker eine Basis für gezielte Analysen und Maßnahmen. Thomas Häni, der Leiter des M: IP-Programms, zu den Vorteilen der BinDoc-Technologie: „In anderen Überwachungssystemen wie dem Krankenhaus- oder Gesundheitseinrichtungsinfektions-Surveillance-System (KISS) müssen die unstrukturierten Daten mühsam zusammengesucht werden aus Labordaten, aus den Symptombeschreibungen in Patientenberichten oder aus den Fieberkurven in der Patientenakte.“
Die Verknüpfung von Abrechnungsdaten mit Kostenanalysen biete zudem die Möglichkeit, den finanziellen Aufwand für nosokomiale Infektionen genau zu ermitteln und Optimierungspotenziale aufzudecken. Dadurch könne man Prozesse verbessern und Kosten senken. Häni nennt das Beispiel einer Krankenhausgruppe, bei der Hartmann 13 Häuser analysiert und Optimierungspotenziale identifiziert habe: „Die klinikeigenen Datenanalysten haben mittels unserer Best Practice-Hinweise eigene Analysen durchgeführt. In einem Beispiel ist uns ein 90-prozentiger Rückgang der nosokomialen Infektionen in der Urologie aufgefallen. Dies konnte im Gespräch mit der Klinikleitung einem Chefarztwechsel und der Einführung minimalinvasiver Techniken mit Robotik zugesprochen werden.“
Auf Basis der Analysen mit dem BinDoc-Modul könne man den Kunden gezielte Angebote zur Verbesserung der Hygiene anbieten. „Gut ist jeweils auch die Möglichkeit, die Resultate einer Klinik im Vergleich zum Benchmark zu stellen. Dies kann dazu beitragen, dass man sich kontinuierlich verbessern will“, so Häni weiter. Er verweist auf die USA. Dort sei die Nutzung von Benchmarks Teil der Qualitätskriterien für Krankenhäuser. „Das könnte auch in Deutschland in Zukunft ein Modell werden“, meint der Hartmann-Manager.
BinDoc-Geschäftsführer Heurich hält seine Technologie für ein „Must Have“ für die Hygiene-Verantwortlichen der Kliniken. Bislang nutzen es 50 Krankenhäuser in Deutschland. Österreichische Häuser sollen demnächst dazukommen. Heurich: „Wir starten mit den ersten Gesprächen in Österreich.“
Quellen und Links:
Ärztezeitung: Elektronisches Monitoring soll Händehygiene verbessern helfen