Das Institut für Chemie der Polymere an der Johannes Kepler Universität Linz entwickelt einen Wundverband, der anzeigt, ob eine Verletzung gut verheilt. Außerdem arbeiten die Wissenschaftler an einer Lösung, die die Nebenwirkungen von Chemotherapien reduziert.
Die Idee stammt vom Chamäleon: Das in Afrika beheimatete Schuppenkriechtier hat eine ganz besondere Fähigkeit, für die es sprichwörtliche Prominenz erlangt hat. Es kann sein Aussehen verändern, genauer gesagt: seine Farbe.
Das Chamäleon besitzt verschiedene Zelltypen in seiner Haut – unter anderem winzige Kristallblöcke, die das Licht farbig zurückwerfen, wie bei einem Spiegel. Indem es die Struktur seiner Haut verändert, und zwar den Abstand zwischen diesen Kristallblöcken, verändert das Tier die Farbe. Forscher haben zudem herausgefunden, dass es das nicht macht, um sich zu tarnen. Das ist nur ein Nebeneffekt. Die verschiedenen Farben sind eine Art von Sprache. Sie dienen vor allem der Kommunikation mit anderen Tieren. Das männliche Chamäleon wird beispielsweise rot, wenn es angriffslustig ist, schwarz, wenn ein anderes Männchen es belästigt.
Farbenfrohe Kommunikation. Ein Chamäleon wird schwarz, wenn es sich bedrängt fühlt. Es nutzt den Farbwechsel, um sich mitzuteilen. Die Linzer Forscher entwickeln einen Kunststoff, der seine Farbe verändert, wenn er mit bestimmten Substanzen in Kontakt tritt.
Die farbenfrohe Kommunikation der Echsen hat Oliver Brüggemann, Leiter des Instituts für Chemie der Polymere an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), und sein Team von Forscherinnen und Forschern zu einer medizinischen Innovation inspiriert. Sie arbeiten an einer Innovation, die den Alltag von vielen Patienten erleichtern könnte. Der bezeichnende Name, den die Chemiker ihr gegeben haben: „Chamäleomer“ – abgeleitet aus dem Namen besagter Echse und dem Wort
„Polymer“. Bei einem Polymer handelt es sich um eine lange Kette von Molekülen. Polymere sind der Hauptbestandteil von Kunststoffen.
Laienhaft ausgedrückt handelt es sich bei „Chamäleomer“ daher um einen Kunststoff, der seine Farbe verändert, wenn er mit bestimmten Substanzen in Kontakt tritt. Das geplante Einsatzgebiet: Wundverbände und -pflaster. Brüggemann: „Unser Ziel ist es, eine Art Sensor aus Kunststoff auf einen Wundverband aufzubringen. Das kann man sich wie ein kleines Fenster auf dem Verband vorstellen.“
Der Sensor kommt mit der Wunde in Kontakt. Je nachdem, wie der Zustand der Wunde ist, verändert sich seine Farbe. „Wenn sich in der Wunde Collagen gebildet hat, sie also gut verheilt, verfärbt sich der Kunststoff beispielsweise grün. Sind in der Wunde aber Bakterien vorhanden, die auf eine Infektion hinweisen, verfärbt er sich rot“, so Brüggemann. Der Vorteil für Patienten, Arzt und Pflegepersonal ist offensichtlich. Der Institutsleiter weiter: „Eine Wunde muss unter Umständen regelmäßig kontrolliert werden. Dazu ist es bislang notwendig, den Verband zu entfernen und neu anzubringen. Das ist aber eine beträchtliche Störung des Heilungsprozesses. Ein Verband mit Chamälomer-Sensor macht das überflüssig.“
Bei der Entwicklung des innovativen Sensor-Verbandes setzen die Linzer Chemiker eine Technologie ein, die sich „molekulares Prägen“ nennt. Brüggemann vergleicht das mit dem Eingipsen einer Hand. „In den Gipsabdruck passt nur diese eine bestimmte Hand exakt hinein. Man kann also mit dem Abdruck die spezifische Hand identifizieren.“ Beim molekularen Prägen erstellen die Chemiker einen Abdruck von dem Molekül, das sie später nachweisen wollen. Die Fachleute sprechen hier von dem „Templat“.
Bei diesem Templat-Molekül kann es sich beispielsweise um das bei der Wundheilung auftretende Collagen handeln oder um ein Bakterium, das im Zuge einer Infektion aufzufinden ist. Sobald das Templat-Molekül mit dem Sensormaterial in Berührung kommt, verändert sich die Struktur des Sensormaterials und damit seine Farbe.
Ampelalarm. Der Linzer Chemieprofessor Oliver Brüggemann arbeitet mit seinem Team an einem Alarmsystem für Wundverbände. Je nachdem, wie der Zustand
der Wunde ist, verändert sich die Farbe.
Enormes Potenzial
Brüggemann ist überzeugt davon, dass der Sensor-Verband „enormes Potenzial hat“. Von der Marktreife ist dieser aber noch einige Jahre entfernt. Brüggemann: „Wir machen hier Grundlagenforschung.“ Er und sein Team arbeiten seit 2018 an ihrem Vorhaben. Das erste Projekt ist mittlerweile ausgelaufen. Nun bemüht Brüggemann sich um die Finanzierung für ein Nachfolgeprojekt, in dem das verwendete Material – das Chamäleomer – optimiert werden soll. Für den nächsten Schritt benötigt man einen medizinischen Partner, um den Kunststoff in einen Wundverband einzuarbeiten. Danach sind Zelltests in der Forschungsabteilung eines Krankenhauses notwendig, bis es schließlich zu klinischen Studien für die Zulassung des neuen Produkts kommen kann. Brüggemann: „In sieben bis acht Jahren könnte unser neuartiger Verband auf den Markt kommen.“
Noch weiter ist man von der Marktreife bei einem anderen Forschungsvorhaben entfernt. Aber auch diese Innovation würde für die betroffenen Patientinnen und Patienten große Erleichterungen bringen. „Es geht hier um die Zukunft der Chemotherapie“, meint der Institutsleiter. „Bislang leiden Krebspatienten bei einer Chemotherapie unter den relativ starken Nebenwirkungen – von Übelkeit über Haarausfall bis zu Herzbeschwerden. Wir arbeiten an einer Lösung, bei der diese Nebenwirkungen deutlich reduziert werden.“
Taxi aus Kunststoff
Dazu entwickeln die Polymer-Experten um Brüggemann ein Kunststoff-Material, das als Träger für Antikrebsmedikamente verwendet werden kann. Die Idee: Der Wirkstoff wird nicht, wie bislang oftmals noch üblich, direkt in die Blutbahn des Patienten gebracht, sondern auf einem Träger platziert, der ihn „wie ein Taxi“, so Brüggemann, zu den Tumorzellen transportiert. Die Linzer nutzen dabei einen Effekt, der vor einigen Jahren von einem japanischen Forscher entdeckt worden ist: Als Paket sind Träger und Wirkstoff gemeinsam so groß, dass die Moleküle zwar in das löchrige, vom Krebs befallene Gewebe eindringen können, nicht aber in das gesunde Gewebe. Das reduziert die Nebenwirkungen. Zudem – und das ist die echte Innovation – entwickeln Brüggemann und sein Team einen Träger aus einem Material, das vom menschlichen Körper abgebaut werden kann. Dies führt zu einer weiteren, deutlichen Senkung der Nebenwirkungen. Das einzige Manko an dieser grundsätzlich bestechenden Idee: Sie ist noch relativ weit von der Umsetzung in die Praxis entfernt. Brüggemann rechnet mit „zehn bis 15 Jahren, die bis zur Kommerzialisierung notwendig sind“.
Schneller soll das bei dem weiteren Projekt gehen, mit dem die Chemiker aus Oberösterreich sich derzeit befassen. Brüggemanns Institut ist an einem spektakulären EU-Projekt im Bereich „Tissue Engineering“ beteiligt. Das Projekt wird von Profactor – einem Forschungsunternehmen aus Steyr – koordiniert. Zu den insgesamt 18 Projektmitgliedern gehören unter anderem der weltweit größte 3D-Drucker-Hersteller Stratasys und die Berliner Charité. Das Projekt hat das Ziel, mittels 3D-Druck ein Gerüst herzustellen, auf dem menschliches Gewebe gezüchtet werden kann. Das Gerüst mit den darauf wachsenden Zellen – zum Beispiel die Vorform eines Knochens – soll dem Patienten eingepflanzt werden.
„Während der Knochen im menschlichen Körper weiterwächst, wird das Gerüst abgebaut. Das dauert ungefähr ein Jahr“, erläutert Brüggemann. Er ist mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Entwicklung der 3D-Drucker-Tinte verantwortlich, mit der das Gerüst gedruckt werden soll. Die Experten nennen dieses Teilprojekt „Inkplant“, ein Kunstwort aus „Ink“ für die 3D-Drucker-Tinte und „Implant“ für Implantat. Die Anforderungen an die Tinte sind groß: Sie muss einerseits dünnflüssig genug für den Druck sein. Andererseits muss man sie mit UV-Licht aushärten können, damit das Gerüst erzeugt werden kann. Und schließlich muss sie biologisch kompatibel und im Körper abbaubar sein. So vielseitig wie die Tinte sind auch die Einsatzmöglichkeiten der neuen Technologie. Brüggemann: „Das reicht von einem Patienten mit einer Hasenscharte, dem ein Teil des Knochengerüsts fehlt, bis hin zu einem Patienten, dem die Meniskusplatte im Knie ersetzt werden muss.“
Quellen und Links:
Johannes Kepler Universität Linz – Institut für Chemie der Polymere
Healthcare in Europe: “Wundheilung: Biologisches Pflaster als Hoffnung“