Studie: Gewaltschutzmaßnahmen hocheffektiv

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Autor: Scho

Weiß jemand, dass Sie hier sind? Darf jemand nicht wissen, dass Sie hier sind? Gibt es in Ihrer Umgebung jemanden, der Ihnen Unbehagen oder Angst bereitet? Diese Fragen werden jeder/m PatientIn der Ambulanz vom Pflegepersonal gestellt. Unabhängig vom Verletzungsmuster oder dem Grund des Besuchs. Die Opferschutzgruppe des LKI hat diese Fragen 2019 nach einem schwedischen Vorbild eingeführt und seither auch evaluiert.

In einer größeren Studie, an der 102 PatientInnen teilnahmen, konnte das Team rund um Thomas Beck, Leiter der Opferschutzgruppe am LKI und Psychologe an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie II, zeigen, dass insbesondere die dritte Frage Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sehr zuverlässig anspricht. Zwei Drittel der Befragten, die die Frage Gibt es in Ihrer Umgebung jemanden, der Ihnen Unbehagen oder Angst bereitet, mit JA beantworteten, hatten in den vergangenen zwei Jahren Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht. „Das ist insofern bedeutend, als dass es zeigt, dass Personen, die auf diese Fragen mit Ja antworten, eine um 30-mal höhere Wahrscheinlichkeit haben, dass sie häusliche Gewalt erlebt haben. Dieses Ergebnis ist von einer Deutlichkeit, die wir so gar nicht erwartet haben“, so Beck. „Das Wichtigste: die Frage ist richtig gestellt und erfüllt ihren Zweck“.

Hohe Hemmschwelle beim Krankenhauspersonal

In einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2015/16 hatte sich gezeigt, dass nur 5% aller PatientInnen auf häusliche Gewalt angesprochen wurden. Seit der Einführung der Fragen stieg diese Zahl auf fast 96%! Damit wird deutlich, wie hoch die Hemmschwelle beim Krankenhauspersonal früher war und wie gut diese drei Fragen als Werkzeug helfen, dieses Thema anzusprechen. Mit den Fragen wird genau die „Zielgruppe“, nämlich jene, die in den letzten beiden Jahren Gewalterfahrungen gemacht haben, herausgefiltert. Fast 93% der Gewaltbetroffenen fanden die Frage angemessen, und befanden es gut, angesprochen zu werden. Das persönliche Gespräch ist eindeutig einem unpersönlichen Fragebogen vorzuziehen. Und das Pflegepersonal ist die richtige Personengruppe, um die Frage zu stellen.

Klaus Kapelari, Leitender Oberarzt an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Leiter der Kinderschutzgruppe am LKI, verweist im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt auf die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen, die oft im Schatten der häuslichen Gewalt vergessen werden. Alleine die Zeugenschaft von Gewalt daheim, ist eine Belastung, die viele psychische und körperliche Folgen haben kann. Je älter die Kinder werden umso mehr geraten sie zwischen die Fronten und werden selbst Opfer von Misshandlungen.

„Daher sind wir dabei, auch in der Notfallambulanz der Kinderklinik die drei Screening-Fragen einzuführen“, so Kapelari. Kinder und Jugendliche, die alleine bzw. ohne die Begleitung ihrer Eltern kommen, sollen im Rahmen der Ersteinschätzung befragt werden – jedenfalls ab dem Alter der Teilrechtsfähigkeit, also ab 14 Jahren.

Dr. Viola

Seit fast einem Jahr gibt es an der Innsbrucker Klinik (und seit kurzem auch am Bezirkskrankenhaus Schwaz) den Code „Ich muss zu Dr.Viola“. Mit diesem Satz wird akut von Gewalt betroffenen Personen (Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen) an der Klinik sofort geholfen. In Innsbruck wurden der Satz bis heute 21 Mal ausgesprochen. 19 Frauen und 2 Männer machten davon Gebrauch. „Jedes einzelne Schicksal, das hinter dem Ausspruch dieses Satzes steht, ist eines zu viel. Wir sind jedoch froh, dass dieser Hilferuf auch Dank der Medien in der Bevölkerung immer mehr bekannt wird und mittlerweile über die Grenzen Tirols und Österreichs hinaus Interesse in anderen Krankenhäusern geweckt hat“, so Alexandra Kofler, Ärztliche Direktorin der Klinik Innsbruck.

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