Zur besseren Diagnostik und Behandlung von Erbkrankheiten hat die britische Regierung ein groß angelegtes Forschungsprogramm angekündigt, bei dem das Erbgut von 100.000 Neugeborenen analysiert werden soll. Das Programm werde mit 105 Millionen Pfund (122 Millionen Euro) finanziert und sei die größte derartige Studie weltweit, teilten die britischen Gesundheitsbehörden am Dienstag mit.
Untersucht wird das Erbgut auf rund 200 Erbkrankheiten, mit denen in Großbritannien jährlich rund 3.000 Kinder zur Welt kommen. „Wir werden nur nach Leiden suchen, die behandelbar sind und in der frühen Kindheit auftreten“, erklärte Rich Scott vom staatlichen Erbforschungsunternehmen Genomics England. Bei den Erbgut-Analysen, die Ende kommendes Jahr beginnen und zwei Jahre lang vorgenommen werden sollen, geht es auch um die Frage, ob es künftig routinemäßig landesweite Genom-Sequenzierung geben soll, um von Erbkrankheiten betroffenen Kindern frühzeitig helfen zu können.
Zu den Krankheiten, auf die das Erbgut der Babys untersucht wird, gehört etwa der Biotinidasemangel. Bei dieser erblich bedingten Stoffwechselstörung kann der Körper das Vitamin Biotin nicht umwandeln, was wiederum zu schweren neurologischen und Hautproblemen führen kann. Durch die regelmäßige Einnahme von Biotin lassen sich diese Folgeschäden ohne großen Aufwand verhindern.
David Bick, klinischer Berater des Genom-Forschungsprogramms: Ziele des Programms ist auch herauszufinden, wie die Bevölkerung einer lebenslangen Speicherung von Erbgutdaten gegenüber steht
„Wir wollen nicht warten, bis sie auftreten, bis wir sie behandeln“, beschrieb der klinische Berater des Genom-Forschungsprogramm, David Bick, den Ansatz. Außerdem gehe es darum zu erfahren, wie die Bevölkerung einer lebenslangen Speicherung von Erbgutdaten gegenüber steht. Seit der Geburt aufbewahrte Erbgut-Sequenzierung könne dem einzelnen Betroffenen helfen, später in seinem Leben „Leiden vorherzusagen, zu diagnostizieren oder zu behandeln“, erläuterte Bick.
Damit die Studie möglichst aussagekräftig ist, wollen die Forscher Teilnehmer mit unterschiedlichen Lebensbedingungen finden. Dies bedeute, „dass viele der Eltern, an die wir herantreten, nicht notwendigerweise irgendwelche Vorkenntnisse über Erbkrankheiten und erblich bedingte Leiden in ihrer Familie haben“, erklärte die Genetikerin Amanda Pichini von Genomics England.
Revolutionierung der Vorsorge?
Sollte das Forschungsprogramm erfolgreich sein, will Genomics England künftig bei allen Neugeborenen im Rahmen des routinemäßigen Guthrie-Test auch Blut für die Genom-Sequenzierung abnehmen. Solche Analysen böten ein großes Potenzial, „die Art, wie wir gesundheitliche Versorgung leisten, zu revolutionieren“, erklärte der britische Gesundheitsminister Steve Barclay. „Wenn wir behandelbare Krankheiten früher erkennen und sicherstellen, dass Patienten früher Zugang zu einer potenziell lebensrettenden Behandlung haben, könnte dies das Leben der Menschen im ganzen Land verbessern, darunter tausende Babys bei diesem neuen Pilotprogramm“, fügte Barclay hinzu.
Die Regierung kündigte überdies zwei weitere Forschungsprojekte an. Eines mit einem Etat von 22 Millionen Pfund dient der Sequenzierung des Erbguts von bis zu 25.000 Menschen mit nicht-europäischem Hintergrund. Diese Gruppe sei in der medizinischen Forschung „derzeit unterrepräsentiert“, erklärte das Gesundheitsministerium zur Begründung. Bei einem anderen Forschungsprojekt mit einem Budget von zunächst 26 Millionen Pfund geht es um Erbgut-Sequenzierungen für schnellere und genauere Krebs-Diagnosen. Zusammengenommen sagte die britische Regierung 175 Millionen Pfund für die Gen-Forschung zu.