Die St. Anna Kinderkrebsforschung (CCRI) in Wien begeht ihr 35-jähriges Jubiläum. „Vor 35 Jahren war die Welt der Kinderkrebsforschung viel dunkler“, sagte der wissenschaftliche CCRI-Direktor, Kaan Boztug bei einem Laborrundgang. Bei Kinderkrebserkrankungen sei die Überlebensrate damals bei etwa 20 Prozent gelegen, heute sind es rund 80 Prozent – für Boztug ein „Paradebeispiel“ dafür, wie Forschung in der Medizin „zu enormen Fortschritten“ führen kann.
Einen Beitrag dazu leistet die St. Anna Kinderkrebsforschung, seit sie im Jahr 1988 als eines der ersten Institute zur strukturierten und fokussierten Forschung zu dem Thema gegründet wurde, sagte Boztug zu den anwesenden Journalisten. Heute zähle die zu 100 Prozent spendenbasierte Einrichtung rund 250 Mitarbeitende, ergänzte der Kaufmännische Direktor Jörg Bürger.
Ein Institut für die Forschung in dem speziellen Bereich sei notwendig, da viele Tumore, die bei Kindern vorkommen, bei Erwachsenen entweder gar nicht oder in biologisch und genetisch sehr unterschiedlicher Form auftreten, so Boztug weiter. Weil die Erkrankungen recht selten sind, sei zudem die Kooperation mit anderen nationalen und internationalen Institutionen unverzichtbar, etwa um statistische Signifikanz bei klinischen Studien erreichen zu können.
Die „ganze Spannbreite“
Die Forschenden bei St. Anna beschäftigen sich mit allen Formen von Kinderkrebs. Außerdem decke man die „ganze Spannbreite“ der Forschung ab, von dem grundlegenden Verständnis der Entstehung von Tumoren über die Entwicklung neuer Therapien bis zu klinischen Studien und modernen, präzisionsmedizinischen Ansätzen, erläuterte Boztug.
„Wir möchten Krebs bei Kindern, wenn möglich, verhindern. Wo das unmöglich ist, wollen wir Erkrankungen, sowie etwaige Rückfälle, früher erkennen. Diese möchten wir schneller, effizienter und weniger toxisch therapieren“, gab Boztug einen Einblick in die „Zukunftsvisionen“ des Instituts. Erfolgsrezepte zu deren Erreichen seien gesellschaftliche Solidarität, das Zusammenbringen von nationalen und internationalen Wissenschaftern, sowie die Förderung von Forschung an den „Grenzflächen“ der Disziplinen.
Ein Beispiel für aktuelle Bemühungen liefert die Forschungsgruppe von Sabine Taschner-Mandl. Sie untersucht die Pathogenese von Neuroblastomen, also bösartigen Tumoren des peripheren Nervensystems. „Das Neuroblastom ist eine der Tumorarten, bei denen Patienten leider noch sehr schlechte Überlebenschancen haben“, so Taschner-Mandl. Außerdem treten häufig sogenannte Rezidive auf, bei denen der Tumor nach Behandlung wiederkommt und herkömmliche Therapien nicht mehr greifen.
Flüssigbiopsie
Ein Forschungsschwerpunkt des Teams ist die Flüssigbiopsie: Dabei werden in Blutproben von Patienten kleine Stückchen der DNA des Tumors nachgewiesen. Durch die minimalinvasive Methode, die für die Kinder eine geringere Belastung darstellt als die Biopsie, könne man herausfinden, welche Mutationen vorliegen, sagte Taschner-Mandl. Das helfe zu erkennen, wie aggressiv die vorliegende Tumorart ist und auf welche Art zielgerichtet therapeutisch eingegriffen werden kann.
In der Forschung entwickelte Neuheiten gehen so in die Diagnostik über und umgekehrt besteht die Möglichkeit, an diagnostischen Ergebnissen zu forschen. „Im geteilten Labor erhalten wir Proben von Patienten und Patientinnen aus ganz Österreich und führen diagnostische Tests durch. Durch Mikroskopieverfahren können wir beispielsweise nachweisen, ob Metastasenbildung vorliegt“, erklärte die Molekularbiologin Marie Bernkopf.
Heinrich Kovar entwickelt hingegen in seiner Forschungsgruppe zusammen mit Branka Radic-Sarikas Lungen-Organoide, um herauszufinden, warum das Ewing-Sarkom, ein besonders aggressiver und bösartiger Knochentumor, der vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftritt, in die Lunge metastasiert. „90 Prozent aller assoziierten Todesfälle treten durch die Metastasierung der Krankheit auf“, sagte Kovar.
Organoide als Dummys
Bisher seien für Medikamententests meistens Mausmodelle verwendet worden. Weil jene den Menschen nicht vollständig widerspiegeln, brauche es Alternativen. Da kommen Organoide, also Zellgruppen, die selbstständig Strukturen von Organen bilden, ins Spiel. Auf Organoiden basierende Modelle haben als „Crashtest-Dummy“ den große Vorteil, dass sie dem Patienten sehr nahekommen und außerdem im Rahmen der Testungen regulierbar sind, erklärte Kovar.
„Wir konzentrieren uns auf die Lunge, da sie bei fast allen soliden Tumoren am häufigsten von Metastasen betroffen ist“, sagte Radic-Sarikas. Die Modelle, die auf dem Zellmaterial von Patienten basieren, erlauben ein besseres Verständnis der metastatischen Prozesse an der Lunge, können aber letztendlich auch verwendet werden, um Medikamente und Therapien zu testen.
(APA/red.)